Berlin. Was im Prism-Skandal fast unterging: Auch der Bundesnachrichtendienst überwacht die Internet-Kommunikation. Der Umfang ist viel geringer, das Prinzip ist dasselbe: Ausländer sind nicht geschützt.
Die Geheimdienste sind ins Gerede gekommen. Das US-Projekt „Prism“ und das britische „Tempora“ werfen die Frage auf, wie stark die Kommunikation überwacht wird und was der Bundesnachrichtendienst (BND) darf. Gibt es nicht mal in der Demokratie geschützte Freiräume?
Wer es wissen wollte
Allein beim US-Dienst NSA sollen an die 40 000 Menschen aktiv sein. Dass sie technische Aufklärung betreiben, war klar – und oft zum beiderseitigen Nutzen. Man kennt sich und hilft sich. Im Mai besuchte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, die NSA in Fort Meade. Wenig später war dann der NSA-Chef Keith Alexander in Berlin.
Das Gleiche ist nicht dasselbe
Alle Dienste überwachen die Kommunikation. Der BND begnügt sich aber mit kleineren Datenmengen als andere und klammert die Nato-Partner aus. Noch ein Unterschied: Das Verständnis vom Datenschutz. Die Amerikaner sehen kein Problem darin, Informationen zu speichern. Erst wenn sie gelesen werden, stellt sich dort auch die Datenschutzfrage.
Virtuelle Apartheid
Die Auslandsdienste sollen nicht die eigenen Bürger überwachen. Wenn eine Mail-Adresse oder Internetseite auf „de“ endet, die IP-Adresse oder die Telefonnummer aus Deutschland ist, dann klinkt sich der BND aus. Ähnlich schützen Amerikaner und Briten ihre Bürger. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zweifelt nicht daran, dass man sich dort an Gesetze hält. Die erlauben den Geheimdiensten, strategische Aufklärung im Ausland zu betreiben. Ein Bundesbürger wird im Regelfall nicht erfahren, wenn ihn die NSA abhört, und sich nicht wehren können.
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Der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar fordert gleiches Schutzniveau für Inländer wie Ausländer und dass Bürger die Chance erhalten, vor US-Gerichten für ihre Rechte einzutreten. Die Regierung in Berlin hat nicht die Überwachung infrage gestellt. Sie empörte sich, weil Deutsche betroffen sein könnten. Es gilt das Sankt-Florians-Prinzip: Abhören, nur bitte nicht vor der eigenen Haustür.
Der Kunde ist die Regierung
Die Kommunikation daheim ist tabu, der Rest der Welt steht offen. Die elektronische Aufklärung macht einen großen Teil der Arbeit des BND aus. Wie aktiv er im Ausland ist, wird nicht mal genau erfasst. Der Kunde ist die Regierung, und die bewertet den BND nach den Ergebnissen: Nach seinen Analysen, Warnungen, Szenarien. Was planen andere Regierungen, wo zeichnen sich neue Bedrohungen ab, welchen Verlauf nimmt eine Krise?
Rote Linien
Ein spezieller Fall sind die Gespräche von Deutschland ins Ausland, im Jargon der Dienste: G-10-Verkehr. Der Name leitet sich aus Artikel 10 Grundgesetz ab, Post- und Fernmeldegeheimnis. Bei bestimmten Bedrohungen darf der BND daheim abhören: Wenn es um Waffenhandel, Terrorangriffe oder um kriminelle Schleuserbanden geht. Jede Aktion muss sich der Dienst genehmigen lassen – von der vierköpfigen G-10-Kommisison. Ihre Mitglieder sind Hans de With (SPD), Erwin Marschewski (CDU), Rainer Funke (FDP) und Ulrich Maurer (Linke). Maurer ist mit 64 Jahren der Benjamin und einziger aktiver Parlamentarier.
Mit der Technik Schritt halten
Das G-10-Gesetz wurde im Jahr 2001 geändert. Seither darf der BND auch Kommunikation überwachen, „soweit eine gebündelte Übertragung erfolgt“. Gemeint sind Kabel aus Kupfer oder Glas. Bis 2001 hörte der BND nur Satelliten- und Richtfunkverkehr ab. Damit allein käme er heute nicht weit. Die Kommunikation - Fax, Telefon, Mails, Skype - läuft immer mehr, immer schneller über Glasfaser - 100.000 GBit pro Sekunde. Diese Kabel zapfen die Geheimdienste an. Sie brauchen dazu nicht die Provider.
Die Nadel im Heuhaufen
Aus dem G-10-Verkehr fischte der BND im letzten Jahr weniger als eine Million Daten. Bei „Prism“ sollen es – jeden Monat – 100 Milliarden sein. Auch beim BND war die Menge schon mal größer: 37 Millionen in 2010. Die Differenz zeigt, dass der Dienst sich umgestellt hat: Er filtert jetzt heraus, was ihn interessiert. „Schleppnetz und Harpune“, beschrieb die „FAZ am Sonntag“ die Methode. Der BND - selbstredend der Harpunier - hätte das nicht besser ausdrücken können.
Wie der Harpunier den richtigen Fisch trifft, ist sein Betriebsgeheimnis; auf jeden Fall nicht nur mit Suchbegriffen. Man muss genau eingrenzen, was oder wen man sucht. 100 Millionen Euro hätte BND-Präsident Gerhard Schindler gern in Technik investiert. Genehmigt wurden ihm fünf Millionen. Es geht auch eine Nummer kleiner.