Washington. . Der 30-jährige IT-Experte Edward Snowden hat nach reiflicher Planung hunderttausende Daten über weltumspannende Spähprogramme kopiert und an Journalisten weitergegeben. Kurz vor den ersten Berichten Anfang Juni floh er und ließ Freundin, Job und sein bisheriges Leben zurück. Jetzt sitzt er in Moskau fest – was wird aus dem Enthüller, was trieb ihn an und wer ist er?

Edward Snowden, der Mann, der am 9. Juni Amerikas Datenstaubsaugervertreter mit gezielten Enthüllungen weltweit bloßgestellt hat und dem Begriff „staatliche Totalüberwachung“ eine neue Dimension gab, sitzt weiter zwischen allen Stühlen – mutmaßlich irgendwo im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo.

Einem Auslieferungsbegehren Amerikas entging der 30-jährige IT-Experte durch einen Flug nach Russland, anschließend bat er Ecuador um Asyl. Um dort als politischer Flüchtling anerkannt zu werden, muss der Computer-Spezialist ecuadorianischen Boden unter den Füßen haben; etwa den in der Botschaft des Andenstaates in Moskau. Ob er dort hingelangt?

Stellt sich Snowden?

Ein Ende der Hängepartie scheint nicht in Sicht. Im Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assange, der sich in der Londoner Botschaft Ecuadors verschanzt, hat die Regierung acht Wochen lang über dessen Asylantrag gebrütet. Schneller wird es bei Snowden auch nicht gehen, sagt das Außenministerium in Quito. Snowdens Vater deutete am Freitag an, dass sich sein Sohn eventuell den US-Behörden stellen würde. Voraussetzung: keine unmittelbare Haft.

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Von Dirk Hautkapp

In seiner Heimat hat der ohne Schul- und Universitätsabschluss zuletzt zu einem Job mit 200.000 Dollar Jahresgehalt gekommene Snowden den anfänglichen Helden-Status als „Whistleblower“, als selbstloser Einzelkämpfer, der zum Frommen der Demokratie staatliches Fehlverhalten offenlegt, weitgehend eingebüßt.

Hilfe undemokratischer Staaten

Geleitschutz erst in Hongkong/China, später in Moskau und perspektivisch dann auch noch beim Anti-Gringo-Staat Ecuador zu suchen, hat dem in North Carolina geborenen Asien-Fan selbst in liberaleren Medien das Etikett des Verräters eingetragen. „Wer undemokratische Staaten, die Transparenz und Pressefreiheit mit Füßen treten, als Fluchthelfer benutzt, setzt seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel“, schreibt stellvertretend für viele ein Leser der „New York Times“.

Konservative Publizisten geben zudem, wenn auch ohne jeden Beleg, weiter der giftigen These Nahrung, der selbst ernannte Aufklärer könnte einen Teil seiner auf vier tragbaren Computern deponierten digitalen Ware an chinesische oder russische Geheimdienste weitergereicht haben; gegen Entgelt. Snowden hat solche Verdächtigungen mehrfach heftig dementiert.

Obama redet den Fall klein

Dennoch geht der Versuch, den Sohn einer Gerichtsangestellten und eines Offiziers der Küstenwache systematisch zu entzaubern und als kriminellen Daten-Dieb zu stilisieren, weiter.

Auf seiner Afrika-Reise setzte sich Barack Obama persönlich an die Spitze derer, die den Fall kleinreden wollen. Das Schlimmste sei überstanden, sagte der Präsident sinngemäß. Von nun an werde die Causa Snowden nach festgelegter Routine behandelt. Ein Spezialeinsatz zu seiner Ergreifung sei nicht geplant.

Andere Stimmen in der US-Regierung sind sich dagegen nicht so sicher, ob das Ende der Fahnenstange schon erreicht ist. Sie erinnern daran, dass Snowden seit sechs Jahren für die Geheimdienste CIA und NSA in Genf, Japan, im Hauptquartier Fort Meade bei Washington und in Hawaii gearbeitet hat und ein „hoch intelligenter Profi ist, der eine Mission verfolgt – Enttarnung des staatlichen Sicherheitsapparates“. Botschaft: da kommt noch mehr...

Snowdens Anliegen geht unter

Glenn Greenwald, Autor des britischen „Guardian“ und einer der wenigen Journalisten, denen sich Snowden offenbart hat, sagt, dass der IT-Spezialist weitere verschlüsselte Datensätze über geheime Überwachungsprogramme weltweit hinterlegt hat. „Wird er inhaftiert oder ermordet“, zitiert Greenwald seinen Informanten, „wird die US-Regierung die Sache nicht verschleiern können. Die Wahrheit kommt und sie kann nicht gestoppt werden.“

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Für den in seinem Londoner Zwangs-Exil lahmgelegten Wiki­leaks-Gründer Julian Assange ist Snowden wie eine Frischzellenkur. Er stellte den Kontakt zu Ecuadors Präsident Correa her, beschaffte Rechtsbeistand und erweckt den Eindruck, für Snowden Pressesprecher, Mentor und Schutzpatron zu sein.

Eine Vereinnahmung, die in den USA weiter Zweifel an der Lauterkeit Snowdens aufkommen lässt. Dessen Kern-Anliegen, der Welt zu zeigen, welchen Preis „wir alle zahlen“ für den geheimen Kampf des Staates gegen den Terrorismus, ist in der öffentlichen Debatte fast untergegangen.