Moskau/Washington/Berlin. . Mit deutlichen Worten fordert Berlin von den USA Aufklärung über Abhöraktivitäten. Kanzlerin Merkel will direkt mit Obama sprechen. Auch in anderen Ländern schlägt die Affäre Wellen. Moskau bietet dem Informanten Snowden Asyl an - unter Bedingungen. Der nutzt offenbar die Gelegenheit.
Sichtlich verärgert über die mutmaßlichen US-Spionageaktivitäten in Deutschland und Europa fordert Kanzlerin Angela Merkel von Präsident Barack Obama rasche Aufklärung. Merkel werde die Affäre zur Chefsache machen und "in nächster Zeit" mit Obama telefonieren, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Wenn sich bestätige, dass der US-Geheimdienst NSA diplomatische Vertretungen der EU und europäischer Länder ausgespäht habe, "dann müssen wir ganz klar sagen: Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel", sagte Seibert. "Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg."
Auch Bundespräsident Joachim Gauck und andere EU-Staaten forderten von den USA Aufklärung. Obama selbst sagte während seiner Afrikareise in Tansania, man werde die Verbündeten "angemessen unterrichten". In Bezug auf Deutschland fügte Obama hinzu: "Wenn ich wissen will, was Kanzlerin Merkel denkt, dann rufe ich Kanzlerin Merkel an. Letztlich arbeiten wir so eng zusammen, dass es fast keine Informationen gibt, die wir nicht zwischen unseren Ländern teilen".
Putin ist im Fall Snowden bemüht um Beziehung zu den USA
Unterdessen hat der von den USA gejagte Ex-Geheimdienstler Edward Snowden politisches Asyl in Russland beantragt. Das teilte die Konsularabteilung des russischen Außenministeriums auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo mit, wie die Agentur Interfax am Montag meldete. Die britische Journalistin Sarah Harrison, die Snowden auf der Flucht begleitet, habe ein entsprechendes Gesuch am Sonntagabend übergeben, sagte der diensthabende Konsul Kim Schewtschenko. Er habe den Antrag des Amerikaners per Kurier an das russische Außenministerium weitergeleitet.
Der Sprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Dmitri Peskow, wollte die Nachricht nicht kommentieren. Kremlchef Wladimir Putin hatte dem früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden am Montag Asyl in Russland angeboten. Bedingung sei allerdings, dass Snowden aufhöre, den USA Schaden zuzufügen.
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Der 30-Jährige, auf dessen Enthüllungen die Berichte über die Affäre zurückgehen, hält sich seit Sonntag vergangener Woche am Moskauer Flughafen auf. Er hat kein russisches Visum und keinen gültigen Pass. Die USA und Russland verhandelten auf hoher Ebene über eine Auslieferung Snowdens, bestätigte Obama in Tansania. Nach einem Bericht der Zeitung "Los Angeles Times" hat Snowden Asyl in 15 Ländern beantragt.
Schon bei Obamas Besuch vor zwei Wochen in Berlin waren erste Berichte über Ausspäh-Aktivitäten der USA Thema gewesen. Damals hatte Obama Transparenz zugesagt. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" vom Wochenende hat der US-Geheimdienst NSA nicht nur in EU-Gebäuden Wanzen installiert, sondern auch die Bundesregierung ausgeforscht. Die EU-Kommission ordnete aktuelle Sicherheitskontrollen von Büros, Telefonanlagen und Computernetzen an.
US-Außenminister nennt Informations-Sammeln "nichts Ungewöhnliches"
US-Außenminister John Kerry bezeichnete am Montag das Sammeln von Informationen in anderen Ländern als "nichts Ungewöhnliches". "Jedes Land, das sich international mit Fragen der nationalen Sicherheit befasst, unternimmt jede Menge Aktivitäten, um seine nationale Sicherheit zu schützen, und dazu gehört (das Sammeln) von allen möglichen Informationen", sagte Kerry.
In Deutschland forderte die SPD Merkel zu einer persönlichen Erklärung auf. Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte, Merkels defensiver Umgang mit den Informationen "könnte den Eindruck nähren, dass sie mehr weiß, als bisher bekanntgeworden ist". Parteichef Sigmar Gabriel sagte, die Reaktion der Kanzlerin lasse den Verdacht zu, dass ihr die Ausspähung zumindest dem Grunde nach bekanntgewesen sei. Seibert wies den Vorwurf als "zynisch" zurück. Der Grünen- Politiker Hans-Christian Ströbele sagte im Sender n-tv: "Das ist Spionage übelster Art." Unions-Fraktionschef Volker Kauder meinte: "Das macht man unter Partnern nicht."
Hollande fordert sofortiges Ende der US-Spionageaktivitäten
Ob und seit wann die deutschen Nachrichtendienste über die US-Abhöraktivitäten gewusst haben, blieb offen. Seibert verwies lediglich auf das parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages, das informiert werden müsste. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann kündigte eine Sitzung des Gremiums am Mittwoch an. Die Linksfraktion forderte wegen der Berichte über die Abhöraktivitäten eine Sondersitzung des Bundestages.
Frankreichs Präsident François Hollande forderte ein sofortiges Ende mutmaßlicher US-Spionageaktivitäten gegen EU-Einrichtungen. "Wir können ein solches Verhalten zwischen Partnern und Alliierten nicht akzeptieren", sagte er. Die italienische Außenministerin Emma Bonino sprach von "sehr heiklen Geschehnissen".
FDP-Chef fordert Untersuchungsausschuss zu US-Spionage
Gauck äußerte große Sorge im Zusammenhang mit den Berichten über US-Abhöraktivitäten. "Ich halte es für unverzichtbar, dass diese Vorgänge aufgeklärt werden", sagte er vor Diplomaten in Freiburg. Gefahrenabwehr durch die Geheimdienste müsse immer verhältnismäßig sein. Zugleich forderte er einen internationalen Rechtsrahmen für das Internet und die neuen Kommunikationsformen. FDP-Parteichef Philipp Rösler forderte einen Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, sagte, es müsse Hinweisen auf möglicherweise unrechtmäßiges Verhalten deutscher Stellen nachgegangen werden.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin schlug vor, dem Informanten Snowden in der EU Unterschlupf zu gewähren. Dies könne auch in Deutschland geschehen. Zudem forderte er ernste Konsequenzen im europäisch-amerikanischen Verhältnis. Über das angestrebte Freihandelsabkommen könne man nur verhandeln, wenn klar sei, dass Betriebsgeheimnisse gewahrt und nicht durch Spionage ausgekundschaftet werden. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) stellte in "Spiegel Online" das Freihandelsabkommen infrage. (dpa)