Brüssel/Moskau. Der US-Geheimdienst NSA soll auch bei der EU spioniert haben. Das geht aus einem Medienbericht hervor, der auf Informationen von Whistleblower Edward Snowden beruht. Die Bundesanwaltschaft geht den Berichten nach. Politiker und Regierung reagierten empört auf die neuen Spitzel-Meldungen.
Die Bundesanwaltschaft prüft Berichte über die weltweite Datenspionage der US-Geheimdienste. Damit soll geklärt werden, ob die Karlsruher Behörde für mögliche Ermittlungen zuständig ist. "Die Bundesanwaltschaft wertet die öffentliche Berichterstattung im Hinblick auf ihre gesetzlichen Aufgaben sorgsam aus", sagte eine Sprecherin am Sonntag und bestätigte damit Angaben von "Spiegel Online". Formale Ermittlungen sind damit nicht aufgenommen.
Zunächst müsse die Bundesanwaltschaft eine zuverlässige Tatsachengrundlage schaffen, sagte die Sprecherin. Zudem sei in dem Zusammenhang mit Strafanzeigen zu rechnen. Eine Anzeige liegt nach "Spiegel"-Informationen bereits vor. Bei der Staatsanwaltschaft Gießen erstattete demnach ein Hesse Anzeige gegen unbekannt.
NSA-Dokument klassifiziert Deutschland als "Angriffsziel"
Die Überwachung Deutschlands durch den US-Geheimdienst NSA ist Berichten zufolge offenbar viel umfangreicher als bislang angenommen. Geheime NSA-Dokumente offenbaren laut "Spiegel", dass der Geheimdienst systematisch einen Großteil der Telefon- und Internetverbindungsdaten kontrolliert und speichert. Ein Papier der NSA vom September 2010 beschreibe dies genau.
Demnach habe der Geheimdienst die diplomatische Vertretung der EU in Washington sowie bei den Vereinten Nationen in New York mit Wanzen versehen und das interne Computernetzwerk infiltriert. Somit hätten die Amerikaner Besprechungen abhören und Dokumente sowie Mails auf den Computern lesen können. In dem NSA-Dokument würden die Europäer ausdrücklich als "Angriffsziel" benannt.
Angela Merkel soll auf Aufklärung dringen
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) reagierte bestürzt: "Es sprengt jede Vorstellung, dass unsere Freunde in den USA die Europäer als Feinde ansehen." Der CDU-Innenexperte Clemens Binninger forderte die US-Behörden zur raschen Aufklärung auf. "Ein solches Verhalten unter befreundeten Staaten ist geeignet, das gegenseitige Vertrauen zu erschüttern." Bundespräsident Joachim Gauck sagte im ZDF: "Was ist wichtiger, die Bürgerrechte oder die Freiheitsrechte?" Mit US-Präsident Barack Obama habe er darüber offen geredet. Man dürfe die Freiheit nicht verlieren. "Das ist die Gefahr, vor der ich warne", sagte Gauck am Samstag - vor den "Spiegel"-Enthüllungen zu Deutschland.
SPD, Grüne und Linke forderten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dringend auf, in Washington auf Aufklärung zu dringen. "Die Bundesregierung muss den Sachverhalt schnellstens klären", sagte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück dem Portal Spiegel Online. "Wenn sich die Vorwürfe bestätigen sollten, ginge das über legitime Sicherheitsinteressen weit hinaus." SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann kritisierte, die Überwachungstätigkeit der USA sei offenbar völlig außer Kontrolle geraten: "Der Staat darf nicht alles machen, was technisch möglich ist. Genau dies scheinen die USA aber zu tun - ohne Rücksicht auf Freund oder Feind."
Auch Führende EU-Politiker sind empört
Eine Sprecherin der EU-Kommission wollte den Bericht am Samstag auf Anfrage nicht kommentieren. Die USA schweigen zu dem Bericht. "Ich kann das nicht kommentieren", sagte der stellvertretende US-Sicherheitsberater Ben Rhodes am Samstag vor Journalisten in Pretoria. Er sage nichts zu derartigen "unautorisierten Berichten", fügte Rhodes auf eine Frage hinzu.
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Dagegen reagierten führende EU-Politiker empört. "Wenn diese Berichte wahr sind, ist das abscheulich", sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn "Spiegel Online". "Die USA sollten lieber ihre Geheimdienste überwachen statt ihre Verbündeten. Wir müssen jetzt von allerhöchster Stelle eine Garantie bekommen, dass das sofort aufhört."
EU-Parlamentspräsident fordert weitere Informationen
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) forderte genauere Informationen. "Aber wenn das stimmt, dann bedeutet das eine große Belastung für die Beziehungen der EU und der USA", sagte er dem Nachrichtenportal. Manfred Weber (CSU), stellvertretender Fraktionsvorsitzender der EVP und Sicherheitsexperte im Europaparlament, nannte es inakzeptabel, wenn europäische Diplomaten und Politiker in ihrem Alltag ausspioniert werden. "Das Vertrauen ist erschüttert."
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" Das Ausspionieren hat Dimensionen angenommen, die ich von einem demokratischen Staat nicht für möglich gehalten habe", sagte Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments. Europas geplantes Freihandelsabkommen mit den USA hält er für gefährdet. "Wie soll man noch verhandeln, wenn man Angst haben muss, dass die eigene Verhandlungsposition vorab abgehört wird?", sagte er "Spiegel Online".
NSA-Lauschangriff am Sitz der EU in Brüssel
Laut dem Nachrichtenmagazin hat die NSA vor etwas mehr als fünf Jahren auch am Sitz der EU in Brüssel einen Lauschangriff gestartet. So seien den EU-Sicherheitsexperten mehrere fehlgeschlagene Anrufe aufgefallen, die offenbar einer Fernwartungsanlage im Justus-Lipsius-Gebäude - also dem Sitz des Ministerrates - gegolten hatten.
Die Spur des Anrufers habe ins Nato-Hauptquartier im Brüsseler Vorort Evere geführt, wo in einem abgeschirmten Bereich Experten der NSA säßen. In dem EU-Ratsgebäude hat jeder EU-Mitgliedstaat Räume mit Telefon- und Internetanschluss, in die sich Minister zurückziehen können.
Snowden muss für Entscheidung über Asylantrag auf dem Boden Ecuadors sein
Snowden hielt sich fast eine Woche nach seiner spektakulären Flucht aus Hongkong weiter im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo auf. Möglicherweise kommt aber Bewegung in den Fall. Die Behörden von Ecuador, bei denen Snowden Asyl beantragt hat, und Russland verhandelten über das Schicksal des 30-Jährigen, berichtete der Staatssender Rossija 24 am Samstag. Außenminister Ricardo Patiño habe sich persönlich in die Gespräche eingeschaltet.
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Der Andenstaat hatte zuvor betont, Snowden müsse auf dem Boden Ecuadors sein, um als Flüchtling anerkannt zu werden. Nach Meinung von Experten könnte das auch die Botschaft des südamerikanischen Landes in Moskau sein.
Der ecuadorianische Staatschef Rafael Correa sagte, US-Vizepräsident Joe Biden habe ihn gebeten, das Asylgesuch Snowdens abzulehnen. Biden habe in einem "höflichen" Telefongespräch erklärt, der ehemalige US-Geheimdienstler werde von der Justiz gesucht und habe keinen gültigen Pass, teilte Correa mit.
Pensionierter General lässt Berichte über Geheimnisverrat dementieren
In einem möglichen weiteren Enthüllungsskandal um den pensionierten US-General James Cartwright wies dessen Anwalt Greg Craig Anschuldigungen gegen seinen Mandanten zurück. US-Medien hatten übereinstimmend berichtet, das Justizministerium ermittle gegen den pensionierten Viersterne-General. Er stehe im Verdacht, geheime Informationen über eine Cyberattacke der USA gegen den Iran an die Presse gegeben zu haben.
"General Jim Cartwright ist ein amerikanischer Held, der seinem Land vier Jahrzehnte lang mit Auszeichnung gedient hat", erklärte Craig, der früher Top-Rechtsberater von Präsident Barack Obama war. "Jede Andeutung, dass er sein Land, das er liebt, verraten haben könnte, ist absurd." (dpa)