Berlin. Die Zwickauer Terror-Zelle war offenbar doch bereits Ende der 90er-Jahre im Visier der Ermittler. Ein im Jahr 1998 geplanter Zugriff auf die drei Neonazis wurde einem MDR-Bericht zufolge jedoch in letzter Minute gestoppt. Das betroffene Einsatzkommando soll fassungslos gewesen sein - bis es vom thüringischen Innenministerium besänftigt wurde. Ob der Grund für den Abbruch eine Panne war, ist unklar. Die inhaftierte Beate Z. schweigt.

Das Thüringer Landeskriminalamt gerät wegen möglicher Pannen in seinen frühen Ermittlungen gegen die rechtsextremistische Zwickauer Terrorzelle zunehmend unter Druck. So habe zwischen 1998 und 1999 offenbar die konkrete Möglichkeit für einen Zugriff bestanden, berichtete der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) Thüringen am Freitag. Die Aktion sei jedoch abgebrochen worden. Ein LKA-Sprecher wollte sich dazu nicht äußern und verwies auf die laufenden Ermittlungen der Bundesanwaltschaft.

Wie der MDR unter Berufung auf Kreise des Landeskriminalamts weiter berichtete, soll es damals massive Beschwerden der zurückgepfiffenen Einsatzkräfte gegeben haben. Daraufhin habe ein Gespräch zwischen hohen Vertretern des Thüringer Innenministeriums und den betroffenen Polizisten stattgefunden. Nicht bekannt sei aber, ob die Beamten über den Grund des Abbruchs informiert wurden.

Der damalige Innenminister Richard Dewes (SPD) sagte dem MDR, er werde wegen der für ihn als damaligen Amtsträger geltenden rechtlichen Regeln keine Stellungnahme abgeben. Er werde aber uneingeschränkt mit der zur Aufarbeitung der Vorgänge um das Untertauchen des Trios eingesetzten Kommission zusammen arbeiten.

Vier weitere Verdächtige

Am Vormittag war bekannt geworden, dass im Zusammenhang mit der Zwickauer Neonazi-Zelle die Ermittler vier weitere Verdächtige im Visier haben. Dies habe der neue Generalbundesanwalt Harald Range beim Krisengipfel zu der Affäre am Freitag in Berlin berichtet, sagte ein Teilnehmer. Gegen zwei der vier Verdächtigen liege mehr vor, sie würden bereits als Beschuldigte geführt. Das heißt, gegen sie wird ermittelt. Überwachungsmaßnahmen liefen, hieß es. Weitere Details habe Range aus ermittlungstaktischen Gründen nicht genannt. Das bereits inhaftierte Mitglied der rechtsextremen Terrorgruppe NSU, Beate Z., will vorerst nicht aussagen. Ihr Anwalt Wolfgang Heer sagte, er habe seiner Mandantin geraten, "zunächst keine Erklärungen zur Sache abzugeben". Beate Z. hatte sich am 8. November der Polizei gestellt und sitzt in Untersuchungshaft.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich kündigte derweil die Einrichtung einer zentralen Datei über Rechtsextremisten an. Darauf hätten sich die Innen- und Justizminister von Bund und Ländern bei ihrem Sondertreffen in Berlin geeinigt, sagte der CSU-Politiker am Freitag nach Ende der Gespräche. Er verwies auf die bereits existierende ähnliche Datei über Islamisten. Diese funktioniere "sehr gut".

Außerdem werde ein "Abwehrzentrum Rechts" gegründet, sagte Friedrich. Daran sollten sich das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt (BKA) beteiligen. Noch besprochen werde, inwieweit die Polizei- und Verfassungsschutzbehörden der Länder und die Bundesanwaltschaft dabei mitarbeiten sollten.

Opposition kritisiert Krisengipfel gegen Rechts als aktionistisch

Die Opposition wirft den Sicherheitsbehörden und der Bundesregierung vor, Rechtsextremisten mit den falschen Mitteln zu bekämpfen. Der Berliner Krisengipfel sei Beleg für aktionistische Schaufensterpolitik, sagte der Linken-Rechtspolitiker Wolfgang Neskovic, der "Berliner Zeitung". Er erwarte keine sinnvollen Ergebnisse von dem Treffen.

Neskovic sagte, Forderungen nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung, einer Zentraldatei für gewaltbereite Rechtsextremisten oder einer Aufweichung des Trennungsgebotes zwischen Polizei und Verfassungsschutz seien fehl am Platz. "Es ist alles da. Der Gabentisch der staatlichen Überwachungsinstrumente ist übervoll. Man muss sich nur bedienen", sagte er.

Justizministerin fordert Zusammenlegung von Verfassungsschutzämtern

Vor dem Gipfeltreffen zum Neonazi-Terror im Kanzleramt sind Forderungen nach wirksameren Strukturen bei Polizei und Verfassungsschutz laut geworden. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) plädierte in der "Süddeutschen Zeitung" vom Freitag für eine Zusammenlegung der 16 Landes-Verfassungsschutzämter. BKA-Chef Jörg Ziercke forderte eine engere Verzahnung der Sicherheitsbehörden.

Statt über 16 Landesämter "könnte man auch über drei oder vier nachdenken", sagte Leutheusser-Schnarrenberger der "SZ". Sie rügte "Doppelzuständigkeiten" und "Effizienzverluste" zwischen den Behörden, die voneinander nicht wüssten "welche V-Leute der andere hat". Daher müssten die Verfassungsschutz- und Kriminalämter der Länder "stärker konzentriert" werden.

Hart kritisierte die Ministerin die Arbeit der Sicherheitsbehörden im Fall der Zwickauer Zelle: "Das gesamte Alarmsystem gegen Rechts hat nicht funktioniert", sagte sie der "SZ". "Wir haben eine Skandal, der sich ausweitet." Es sei "unfassbar", dass die Zwickauer Zelle mehr als zehn Jahre morden konnte. "32 Landeskriminal- und Verfassungsschutzämter haben es nicht geschafft, eine rechtsextreme Mordserie zu verhindern." Leutheusser-Schnarrenberger räumte auch ein, dass die Politik "die Dimension des Rechtsextremismus unterschätzt" habe. (dapd/rtr/afp)