Essen. Rechtsextreme töten in Deutschland ein Jahrzehnt lang mindestens zehn Menschen und niemand hat etwas geahnt? Das kann nicht sein, sagt der Extremismus-Forscher Christoph Butterwegge. Er erhebt schwere Vorwürfe gegen Polizei und Verfassungsschutz. Doch auch für die Polizei waren die Verbrechen nicht überraschend.

Die Serie rechtsextremer Morde hat Frank Richter nicht überrascht. Der NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat schon lange Anzeichen für solche Verbrechen gesehen. "Die Zahl rechtsextremer Straftaten steigt. Die Eskalation war eine Frage der Zeit", sagt er gegenüber DerWesten.

Im Vorwort des Verfassungsschutzberichtes 2010 warnt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich vor „autonomen Nationalisten“, zu denen auch das Trio zählt, das für die "Döner-Morde" verantwortlich sein soll. „Besorgniserregend" sei deren steigende Zahl.

Für Gewerkschafts-Chef Richter ist der Gipfel des Eisbergs deshalb noch nicht erreicht. Er befürchtet weitere Verbrechen. „Wenn wir nicht schleunigst handeln, müssen wir mit weiteren Taten rechnen“, sagt Richter. Mit „handeln“ meint er: neue Polizisten einstellen. Die Personaldecke sei zu dünn, um im Vorfeld ausreichend Erkenntnisse zu gewinnen, mit denen sich Verbrechen verhindern ließen.

"Auf dem rechten Auge blind"

Auch der Kölner Rechtsextremismus-Forscher Christoph Butterwegge sieht in der Mordserie keine neue Entwicklung. Für ihn ist die Polizei allerdings nicht der Schlüssel zur Lösung, sondern vielmehr Teil des Problems. Er beklagt, dass rechte Verbrechen zu häufig ignoriert würden. „Auf dem rechten Auge sind gerade Polizei und Sicherheitskräfte in Deutschland häufig blind“, sagt er und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Polizei: „In Teilen der Polizei gibt es Sympathien für rechtes Gedankengut.“ Seiner Meinung nach führt das dazu, dass rechte Straftaten gelegentlich weniger konsequent verfolgt würden.

Doch auch die Politik trage Verantwortung, sagt Butterwegge. Er beklagt die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus, für ihn eine Verharmlosung rechter Straftaten.

Der Extremismusforscher Christoph Butterwegge.
Der Extremismusforscher Christoph Butterwegge.

Mindestens 46 Tote durch rechte Gewalt

Seit der Wiedervereinigung hat es mindestens 46 Todesopfer rechter Gewalt gegeben, berichtet die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage. Andere rechnen mit deutlich höheren Zahlen: 147 Tote infolge rechtsradikaler Verbrechen haben die Zeitungen „Der Tagesspiegel“ und „Die Zeit“ in eigener Recherche errechnet.

Laut Verfassungsschutzbericht wurden im vergangenen Jahr etwas über 16.000 politisch rechtsmotivierte Straftaten begangen, davon 806 Gewalttaten. Im rechtsextremistischen Bereich, einer Untergruppe der rechtsmotivierten Straftaten, verzeichnet der Bericht noch 762 Gewalttaten. Insgesamt ist die Zahl rechter Straftaten im Vergleich zum Vorjahr gesunken.

"Organisierte Neonazis, die zu Morden bereit sind"

Der Regierung wirft Gewerkschaftschef Richter vor, den Fokus der Terrorismusbekämpfung zu sehr auf islamistische Terrorgruppen gelegt zu haben. „Es war falsch, dass die Politik in den vergangenen Jahren Polizei und Verfassungsschutz nicht im gleichen Umfang Ressourcen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus zur Verfügung gestellt hat“, sagte Richter.

Denn die Ermittlungsarbeit im rechtsextremen Milieu ist laut Richter in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden: „Es haben sich viele kleine autonome Gruppen gebildet, die schwierig zu überblicken sind und bei denen es noch schwieriger ist, V-Leute einzuschleusen.“ Gleichzeitig seien diese Gruppen sehr gut vernetzt. Dem stimmt auch Butterwegge zu: „Das sind keine wild gewordenen Einzeltäter. Wir müssen uns klarmachen: Es gibt in Deutschland organisierte Neonazis, die zu Morden bereit sind.“