Berlin. . Mindestens zehn Morde sollen auf das Konto der Bande von Rechtsextremisten gehen, die zuletzt eine Polizistin in Heilbronn ermordet haben sollen. Doch nicht nur auf sie richtet sich die Aufmerksamkeit. Auch die Rolle des Verfassungsschutzes in dem Fall wird sehr kritisch beäugt. Wussten die Staatsschützer schon länger über die Bande Bescheid?
Die überraschende Wende in der sogenannten Döner-Mordserie hat bundesweit Entsetzen ausgelöst. Insgesamt zehn Morde, ein Bombenanschlag in Köln sowie womöglich weitere Anschläge sollen auf das Konto einer Gruppierung gehen, die sich "Nationalsozialistischer Untergrund" nennt - einem Trupp offenbar zu allem bereiter Neonazis. Selbst Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) spricht mittlerweile von Rechtsterrorismus.
Zwischen 2000 und 2006 sollen Beate Z., Uwe B. und Uwe M. kaltblütig acht türkischstämmige Männer sowie einen Griechen umgebracht haben. Auch für den Mord an der Heilbronner Polizistin Michele K. im Jahr 2007 sollen sie verantwortlich sein. Die beiden Männer sind tot. Doch gegen die in Haft befindliche Beschuldigte Beate Z. besteht nach Angaben der Bundesanwaltschaft "der Anfangsverdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung". Am Sonntag wurde eine vierte Person festgenommen, der 37-jährige Holger G.. Auch er soll Mitglied der Gruppierung gewesen sein.
Experten sind alarmiert. Und Bundesinnenminister Friedrich sprach am Sonntag in Berlin von "einer neuen Form des rechtsextremistischen Terrors" - noch Ende Juli, nach den verheerenden Anschlägen des Rechtsextremisten Anders Behring Breivik in Norwegen hatte er erklärt, es gebe keine Hinweise auf rechtsterroristische Aktivitäten in Deutschland.
Verfassungsschutz schließt Einzeltaten nicht aus
Der Rechtsextremismusforscher Hajo Funke warnte vor weiteren rechtsterroristischen Aktionen. Es sei nachweisbar, dass Beate Z., Uwe B. und Uwe M. Kontakt zu Mitgliedern sogenannte freier Netze in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hatten, sagte der Politikwissenschaftler der Freien Universität Berlin der Nachrichtenagentur dapd. Ein Teil der Szene sei identisch. Offen sei, ob sich diese Gruppierungen systematisch rechtsterroristisch organisieren würden. Das Gewaltpotenzial sei jedoch vorhanden.
Insgesamt geht der Verfassungsschutz von 9.500 gewaltbereiten Rechtsextremisten aus. Während die Zahl der Rechtsextremisten insgesamt zurückgegangen sei, stieg die Zahl der Gewaltbereiten, heißt es im Verfassungsschutzbericht 2010. Besonders hoch ist das Gewaltpotenzial den Angaben zufolge in der neonazistischen Szene sowie bei den sogenannten Autonomen Nationalisten.
In seinem Bericht geht der Verfassungsschutz davon aus, dass "in Deutschland keine rechtsterroristischen Strukturen feststellbar" seien. Die meiste Gewalt entzünde sich zwischen Anhängern des linksextremen und des rechtsextremen Spektrums. Allerdings schließen die Verfassungsschützer Einzeltaten nicht aus. "Die Affinität von Rechtsextremisten zu Waffen und Sprengstoff bildet weiterhin ein latentes Gefährdungspotenzial, insofern sind Taten von Einzelaktivisten nicht auszuschließen", heißt es im Bericht.
Der Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner von der Aussteiger-Organisation "Exit" sagte dem "Kölner Stadt-Anzeiger": "Wir haben immer darauf aufmerksam gemacht, dass sich aus der Szene heraus Gruppierungen entwickeln, die sehr militant sind und möglicherweise den Übergang zum Terrorismus vollziehen". Schon in den neunziger Jahren habe es mehrere entsprechende Hinweise gegeben. "Sie wurden aber von den Sicherheitsbehörden mit spitzen Fingern angefasst", fügte Wagner hinzu.
Was wusste der Verfassungsschutz?
Wagner ist nicht der einzige, der die Rolle der Sicherheitsbehörden für zweifelhaft hält. Auch der Vorsitzende des Bund Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, äußerte sich skeptisch. Es sei verwunderlich, wie schnell sich die Bundesanwaltschaft "nach der Explosion des Hauses in Zwickau und dem Auffinden der Leichen der beiden Täter zur Gruppierung der Täter festgelegt hat und wie schnell über zwei Dutzend Aktenordner mit Erkenntnisse über die Täter präsentiert werden konnten", sagte er. Er sei gespannt auf die Ermittlungen, "speziell zur Rolle des Verfassungsschutzes".
Auch Funke nannte es überraschend, dass staatliche Institutionen die Machenschaften der Gruppierung 13 Jahre nicht aufdecken konnten. Offenbar sei der Verfassungsschutz dazu "entweder nicht fähig, nicht willens oder verstrickt" gewesen. Funke verwies darauf, dass ein V-Mann des thüringischen Verfassungsschutz ein enger Freund der Gruppe um Beate Z. gewesen sei.
Friedrich will alle ungeklärten Straftaten mit fremdenfeindlichen Hintergrund seit 1998 nun noch einmal daraufhin überprüfen, ob sie der sogenannten Döner-Mordserie zugeordnet werden können. Ob die Gefahr unterschätzt wurde oder ob es sogar Verstrickungen des Verfassungsschutzes in den Fall gab, wird auch Thema im Bundestag. Eine Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums wurde bereits angesetzt. (dapd)