Berlin. Mit Blick auf den deutschen Wahlkampf verwickeln die Taliban deutsche Soldaten immer häufiger in Gefechte. Der Einsatz der Bundeswehr, lange als Beitrag zur friedlichen Stabilisierung Afghanistans verharmlost, ist längst zum Krieg geworden.

Am fernen Hindukusch haben die Taliban den deutschen Wahlkampf fest im Visier. Im Norden Afghanistans, dem Stationierungsgebiet der über 3 500 Soldaten der Bundeswehr, bahnt sich eine militärische Offensive der Aufständischen an. Immer wieder verwickeln die Taliban deutsche Soldaten in massive Feuergefechte - zuletzt beschossen sie eine Routine-Patrouille mit Kalaschnikows und Panzerfäusten. Die Deutschen wehrten sich und erhielten für ihr Gefecht die Unterstützung amerikanischer Kampfjets.

Es herrscht längst Krieg

„Unser Blutzoll wird steigen“, prophezeit ein verantwortlicher deutscher General in Berlin angesichts wachsender Verluste. Der Einsatz der Bundeswehr, lange als Beitrag zur friedlichen Stabilisierung Afghanistans verharmlost, ist längst zum Krieg geworden. Von „Unfällen“ spricht nicht einmal mehr der überforderte Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU). Sondern von „Gefallenen“. Bisher sind 35 tote deutsche Soldaten zu beklagen. Längst ist der Kampf gegen den Terrorismus, der vor acht Jahren nach dem Angriff auf die Zwillingstürme in New York als Blitzkrieg begann, in einem Abnutzungskrieg gemündet, der von den westlichen Streitkräften militärisch nicht zu gewinnen ist.

An Sprengfallen, Selbstmordattentate und Raketenbeschuss ihrer Feldlager in Kundus und Mazar-e-Sharif sind die deutschen Soldaten gewohnt. Seit wenigen Wochen aber suchen die erstarkten Taliban sie in Gefechte zu zwingen – auch, so wird im Kanzleramt vermutet, um an der deutschen Wahlfront die ohnehin skeptische Haltung der Bürger zum Afghanistan-Einsatz zu erschüttern.

Der Bundeswehrverband, die Interessenvertretung der Soldaten, spricht von einer „neuen Qualität“ des Kampfes, weil die Taliban „zunehmend taktisch geordnet“ vorgehen und in der Lage sind, Feuergefechte mit den Deutschen über einen längeren Zeitraum durchzustehen. Wie viele Taliban dabei auf der Strecke bleiben, wissen die Deutschen nicht: In aller Regel lassen die Aufständischen ihre getöteten oder verwundeten Kämpfer nicht zurück.

Das Bündnis mit der Bevölkerung wird brüchig

Erschwerend kommt hinzu, dass die bislang verlässlichen Informationsquellen in den Dörfern zu versiegen drohen, weil deren Bewohner von den Aufständischen eingeschüchtert und bedroht werden. Deshalb wird die von der Bundeswehr gepflegte operative Zurückhaltung schwieriger, werden die Bündnisse mit regionalen tadschikischen oder usbekischen regionalen Clans brüchiger.

Noch gibt die Berliner Politik die Parole aus: „Starke Nerven und langer Atem“. Denn eine Exit-Strategie ist nicht in Sicht, auch wenn manche Militärs das Jahr 2011 als Beginn des Rückzugs im Auge haben. Einseitig kann sich die Bundeswehr nicht aus dem militärischen Engagement der 41 westlichen Staaten verabschieden. Noch gilt das Wort des amerikanischen Ex-Außenministers Collin Powell: „Zusammen hinein, zusammen wieder raus“.

Ein Rückzug der ISAF-Streitmacht aber setzt voraus, dass die Last der Verteidigung auf die afghanische Armee und Polizei übertragen werden kann. In deren Ausbildung sind zwar Milliarden von US-Dollar geflossen. Besonders bei der Polizei hat die Staatengemeinschaft – so der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold – „versagt“. Und auch Deutschland, fügt er hinzu, „hat sich hier nicht immer mit Ruhm bekleckert“. Der deutsche General Ammon wertet das bisherige Ausbildungsprogramm gar als „jämmerlichen Misserfolg“.

Die Lage ist "psychologisch angespannt"

Die unzureichende öffentliche Unterstützung daheim lässt die deutschen Soldaten, die vor Ort ihren Kopf hinhalten, nicht unberührt. Sie mühen sich nach Kräften und leisten einen vorbildlichen Job – gerade beim zivilen Aufbau. Dennoch nennt der Militärexperte Lothar Rühl die Lage der Soldaten „psychologisch angespannt“: Militärische Erfolgsmeldungen bleiben in Afghanistan aus, die Zeit scheint für die Taliban zu arbeiten. Der US-Oberbefehlshaber General David McKiernan spricht denn auch von einer „Abwärtsspirale“. Und Präsident Obamas Sonderbotschafter Richard Holbrooke hat den Erfolg oder Misserfolg der Nato in Südwestasien zur „Existenzfrage“ der westlichen Allianz erklärt.

In deren Jargon heißt das neue Code-Wort längst „AfPak“ – die Zukunft Afghanistans entscheidet sich in Pakistan, dem mit Atomwaffen bestückten, von inneren Aufständen zerrissenen derzeit gefährlichstem Land der Welt. Die fortschreitende „Talibanisierung“ dort, sagte letzte Woche Robert Blackwell, früher US-Botschafter in Indien, „ist die gefährlichste internationale Situation seit der Kuba-Krise von 1962“.

Der Westen wird den Krieg gegen die Islamisten dort nicht führen können. Doch immer öfter verfolgen US-Truppen Taliban-Kämpfer über die Grenze und beschießen Al-Kaida-Stützpunkte mit Drohnen. Rutscht Barack Obama in einen noch unerklärten neuen Krieg? Die Regierenden in Berlin, die schon ungern offen über Afghanistan reden, hüllen sich in Schweigen.

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