Essen. Soldaten bringen Entwicklungshelfer in Afghanistan immer öfter in Lebensgefahr, beklagen Hilfsorganisationen. Der Grund: Die Truppen treten selbst als Helfer auf und verwischen dadurch die Grenzen zwischen Militäraktionen und Aufbauhilfe. Die Caritas fordert den Abzug der Einsatzkräfte.

Organisationen wie Caritas international und Deutsche Welthungerhilfe fordern die westlichen Truppen in Afghanistan auf, nicht mehr als Entwicklungshelfer aufzutreten. Das Vermischen von zivilem Aufbau und militärischen Projekten bringe unabhängige Entwicklungshelfer immer mehr in Lebensgefahr. Sie fordern außerdem den schnellstmöglichen Abzug der ISAF-Soldaten und ein Ende der „Operation Enduring Freedom”. „Die Internationale Afghanistan-Politik hat ihre Ziele nicht erreicht”, sagt Jürgen Lieser von Caritas international dieser Zeitung. „Die Militärkontingente wachsen, die Sicherheit nimmt ab.” Viele Afghanen hielten die Soldaten für Besatzer.

Kein Kontakt mit den Soldaten

Die Entwicklungshelfer halten ein baldiges Scheitern des Westens in Afghanistan für möglich. „Es wird immer gefährlicher. Für die Soldaten, für die Zivilisten und für uns”, sagt Hans-Joachim Preuß, Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe, im Gespräch mit dieser Zeitung. „Die Aufständischen bekommen schwere, Panzer brechende Waffen aus Pakistan. Die Zivilgesellschaft leidet unter den ständigen Bombardierungen, auch wir Entwicklungshelfer spüren die Zunahme der Gewalt”, so Preuß.

Die meisten Hilfsorganisationen meiden den Kontakt mit den Isaf-Kräften. Ihre Kritik zielt vor allem gegen die „Provincial Reconstruction Teams” (PRT). Das sind gemischte, zivil-militärische Teams, die zum Beispiel Brücken, Straßen und Schulen bauen, diese Arbeit aber auch militärisch absichern. Der Akzent liegt dabei offenbar auf dem Militärischen: Im PRT Kunduz der Bundeswehr waren letztes Jahr nach Auskunft des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (Venro) 570 Soldaten, aber nur zehn zivile Mitarbeiter beschäftigt.

„Wir halten die Verbindung von militärischen und zivilen Projekten grundsätzlich nicht für sinnvoll. Sie bringt uns Entwicklungshelfer in Gefahr, weil die Bevölkerung kaum noch zwischen Soldat und Zivilist unterscheiden kann”, meint Preuß. „Wir halten Distanz zu den Streitkräften, denn wir wollen den guten Ruf, den sich die Welthungerhilfe in 20 Jahren aufgebaut hat, nicht in wenigen Monaten wieder verlieren.” Jürgen Lieser von Caritas stellt ein Missverhältnis bei den Ausgaben fest: „Von fünf Dollar, die in solche PRT-Einsätze fließen, gehen vier in militärische und einer in zivile Projekte. Das Verhältnis müsste mindestens ausgeglichen sein. Auch sollte man die Ergebnisse der PRT-Arbeit kritisch überprüfen. Die unabhängige Entwicklungshilfe wird stets sehr kritisch beäugt. Aber keiner untersucht, was die PRT-Projekte bringen.”

"Da stimmen die Verhältnisse nicht"

Skeptisch bleibt Lieser auch nach der Ankündigung der USA, in Afghanistan mehr Geld fürs Militär und für den zivilen Aufbau auszugeben: „Wahrscheinlich läuft das auf 17 000 oder 21 000 zusätzliche Soldaten hinaus und mehrere hundert zivile Akteure. Auch da dürften die Verhältnisse nicht stimmen.”

Nach Einschätzung von Markus Kaim, Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, bleibt dem Westen nur ein schmales Zeitfenster, um die Mission in Afghanistan zum Erfolg zu führen. „Die Niederlande und Kanada werden ihre Truppen bis 2010 bzw. 2011 aus dem umkämpften Süden abziehen. Polen denkt in der Wirtschaftskrise über einen Sparkurs beim Militär nach. Die meisten beteiligten Nationen dürften ihre Kontingente nicht vergrößern können. Es bleiben also nur zwei Jahre.” Kaim glaubt , dass die neue Afghanistan-Strategie der USA ein letztes Bündeln aller verfügbaren Kräfte bedeuten könnte, eine Art „Finale Furioso” vor dem Verlassen des Landes.

"Wenn man in der Hölle ist, muss man mit dem Teufel reden"

Die Deutsche Welthungerhilfe vermutet, dass die Obama-Regierung den militärischen Druck erhöhen möchte, um die Taliban an den Verhandlungstisch zu bewegen. Dafür könnte es allerdings schon zu spät sein. „Vor zwei oder drei Jahren hätte es die Möglichkeit gegeben, mit den Taliban zu reden. Jetzt fühlen sich die Rebellen schon so stark, dass sie gar nicht mehr verhandeln müssen”, erklärt Preuß. Dennoch seien solche Gespräche wichtig: „Wenn man in der Hölle ist, muss man mit dem Teufel reden.”

Ein sofotiger Ausstieg der Bundeswehr aus der Isaf-Mission wäre nach Einschätzung der Entwicklungshelfer aber nicht möglich. Lieser: „In der jetzigen Situation wäre das falsch. Die Bundeswehr genießt immer noch einen besseren Ruf in der Zivilbevölkerung als die Amerikaner. Aber wir brauchen ein Ausstiegsszenario. Militärisch ist dort nichts mehr zu gewinnen.”

Ohne Sicherheit geht nichts

Man werde daran festhalten, Wirtschaftshilfe, zivile Projekte und militärischen Schutz zu vernetzen, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Im Kosovo habe diese Strategie hervorragend funktioniert. „Ohne Sicherheit kann keine zivile Organisation arbeiten”, meint das Einsatzführungskommando in Potsdam. Es gebe Hilfsorganisationen, die gerne mit den Streitkräften kooperierten, darunter die (bundeseigene) GTZ.