Witten. Corona griff in Altenheimen besonders um sich, in Witten wie anderswo. An Werner Möller ging die Pandemie lange vorbei. Er kennt einen Trick.

  • Frühjahr 2020. Corona grassiert. Niemand weiß, wie die Seuche zu stoppen ist.
  • Ein Wittener (89) ist besonders gefährdet: Er gehört zur Risikogruppe.
  • Doch der Heimbewohner trickst die Seuche aus. Wie kann das sein?

Das Coronavirus, so schien es vor fünf Jahren, war ein unsichtbarer Feind. Vor allem ältere Menschen hatten ein hohes Risiko, infiziert zu werden und - damals noch ungeimpft - Covid-19 zum Opfer zu fallen. Kein Wunder, dass in Wittens Seniorenheimen die Angst umging, berechtigte Angst. In den ersten zwölf Monaten der Pandemie starben allein in Heimen 56 Seniorinnen und Senioren an oder mit Corona.

Werner Möller, inzwischen 89, lebte damals noch zu Hause. Mitten in der Pandemie, 2021, entschied sich der pensionierte Ingenieur zum Umzug ins Awo-Seniorenheim in Annen. Er überstand die Corona-Zeit unbeschadet. Ein kleines Wunder für einen so Hochbetagten. Wie kann das sein?

Folie an Zimmertür in Wittener Altenheim

Wir besuchen ihn im Awo-Heim an der Kreisstraße. Am Eingang erinnert nur noch ein Spender mit Desinfektionsmittel daran, dass Besuche während der Pandemie - wenn überhaupt - nur unter strengsten Auflagen möglich waren. Wir erinnern uns an einsame alte Menschen, verzweifelte Angehörige, entnervte Pflegekräfte. Mit dieser Erwartung sind wir in das Gespräch mit dem alten Herrn gegangen. Doch das Gespräch wird mit einer faustdickem Überraschung enden.

Werner Möller (89) sitzt an seinem Laptop. Zeitung, Fernsehen und Internet sind seine Verbindungen zur Außenwelt.
Werner Möller (89) sitzt an seinem Laptop. Zeitung, Fernsehen und Internet sind seine Verbindungen zur Außenwelt. © FUNKE Foto Services | Svenja Hanusch

Überraschend ist schon ein in eine Klarsichtfolie gehüllter Zettel an Werner Möllers Zimmertür. „Der Bewohner des Zimmers“, heißt es in großen Buchstaben, bittet den Nachtdienst darum, seinen Raum nicht zu betreten. Beim Betreten des Zimmers werde nämlich per Bewegungsmelder die Raumbeleuchtung eingeschaltet – und „der Bewohner“ in seinem Schlaf gestört.

Auch interessant

Wittener Senior legt Wert auf maximale Selbstständigkeit

Der ehemalige Bauingenieur weiß Unterstützung im Alltag zwar zu schätzen, legt aber seit jeher Wert auf ein Maximum an Selbstbestimmung. Sein Leben sei in Kindertagen allzu turbulent gewesen, deutet er an. So entschloss sich Möller, größtmögliche Kontrolle über sein Leben zu behalten: „Ich habe in einem Haus gewohnt, das ich selbst entworfen habe.“ Auch im Altenheim bleibt ihm - relativer Gesundheit sei Dank - ein gewisses Maß an Unabhängigkeit. So kann sich der 89-Jährige in seinem Zimmer ohne Gehhilfe bewegen. Einen Rollator braucht er nur für längere Wege.

Lesen Sie auch

Doch längere Wege legt Werner Möller kaum zurück. Sein Leben spielt sich weitgehend in seinem Zimmer ab. Auf Gruppenangebote im Haus verzichtet er, wie er ausdrücklich sagt. Doch wie sieht es mit Besuchen von Familienmitgliedern aus? „Es besuchen mich keine Angehörigen“, entgegnet er prompt. Die Familienverhältnisse, sie sind schwierig.

„Ich bin seit 1963 verheiratet – und bin es immer noch“, sagt der Senior. Doch seine Frau hat sich bereits vor Jahren von ihm getrennt. Auch zu seinem Sohn hat er kaum Kontakt. Als Werner Möller davon erzählt, klingt Verbitterung durch. Ist er einsam? Der Ingenieur zückt sein Smartphone: „Da habe ich 300 Rufnummern drauf. Den besten Kontakt habe ich zu einer Klassenkameradin.“

Wie hat er die Pandemie erlebt? Statt einer Antwort klappt Möller seinen Laptop auf. Der Computer ist, wie Zeitung und Fernsehen, seine Verbindung zur Außenwelt. Der 89-Jährige präsentiert eine schier endlose Reihe von gelben Ordnern. Der leidenschaftliche Nachrichtenfan hat nahezu alles gesammelt, was an Informationen zur Pandemie zu haben ist.

Wittener: „Ich vegetiere nicht - ich lebe“

Mehr noch: Seinen eigenen Gesundheitszustand dokumentiert Werner Möller mit höchster Genauigkeit, als wäre er sein eigener Arzt. Ob Blutdruck oder Zuckerwerte, alles hat er parat, auch Operationen und, mehr noch, von welchen „Medizinmännern“ er behandelt wurde. „Sechs Mal wurde ich gegen Corona geimpft. Da können Sie sehen“, sagt er stolz, „wie pingelig ich mit den Zahlen umgehe.“ Computerviren, so scheint es, stellen für ihn eine größere Gefahr dar als echte Viren.

Auch interessant

Corona hat inzwischen auch ihn erwischt. Doch die Pandemie war da schon vorbei. Spätfolgen trug Werner Möller nicht davon. Erzwungene Einsamkeit hat vielen alten Menschen den Lebensmut genommen. Ihn hat die freiwillige Einsamkeit vermutlich gerettet. Als wir das Zimmer verlassen, sagt er mit fast trotzigem Stolz: „Ich vegetiere nicht – ich lebe.“

Mehr Nachrichten aus Witten lesen Sie hier.