Witten. Als alternative Wohnform zum Altenheim wurde die Senioren-WG in Witten gelobt. Doch Mitbewohner sind schwer zu finden - trotz tollem Konzept.
Eine Senioren-WG? Dieses Projekt hat 2009 viel Aufmerksamkeit bekommen. Politiker gaben sich in Witten die Klinke in die Hand, um die umgebaute Pizzeria am Bodenborn 47 zu besichtigen. Sieben ältere Herrschaften teilen sich Küche und Wohnzimmer - das war nicht nur im Ennepe-Ruhr-Kreis ganz neu. Und heute?
Die innovative Wohnform hat es offenbar schwer. Eine andere Senioren-WG im Wiesenviertel hat sich mittlerweile aufgelöst. Und in der WG in Bommern sind zwei Zimmer leer. Mitbewohner werden dringend gesucht!
Franz Müller ist der einzige Mann in der WG, die die Caritas und die Wohnungsgenossenschaft Witten-Mitte betreiben. Er hat das kleinste Zimmer, aber es liegt strategisch gut. „Hier habe ich alles im Blick“, sagt er schmunzelnd. Der rüstige Herr schwärmt von seinem WG-Leben.
„Das Essen ist wie in einem Fünf-Sterne-Hotel“, sagt der ältere Herr. Anders als im Seniorenheim wird der Speiseplan gemeinsam diskutiert. Mittags kommt für drei Stunden eine Hauswirtschafterin, kocht und kümmert sich. Franz Müller, der immer dabei hilft, die Einkäufe einzuräumen und den Tisch zu decken, kann ihn herunterrattern: „Heute Käse-Lauch-Suppe, Samstag Hähnchenschnitzel mit Pommes und an Pfingsten Rouladen. Wir haben elf Stück gekauft.“ Warum hat er sich für das Wohnen in einer WG entschieden?
„Ich wollte nichts mit Heimcharakter“
„Ich habe 23 Jahre allein gelebt. Aber das ging gesundheitlich nicht mehr. Ich wollte nichts mit Heimcharakter, etwas wo ich eigenverantwortlich leben kann“, sagt Franz Müller. Hinzu kommt: Finanziell wäre es mit einem Heimplatz eng geworden. Wie alle war er zuvor zum Probewohnen im Gästezimmer, in dem auch Angehörige beim Wochenendbesuch übernachten können.
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Jedes Mini-Appartement hat ein eigenes Bad und kostet inklusive Betriebskostenpauschale zwischen 528 und 601 Euro Monatsmiete. Die Pflegeversicherung gibt in der Regel einen Zuschuss. Auch ein kleines Programm wird geboten, etwa Seniorengymnastik oder kürzlich eine Ausfahrt mit der Rikscha.
Morgens kocht Herr Müller den Kaffee
Auch Waltraud Schmidke schätzt die Mischung aus Gemeinschaft und Privatsphäre - und natürlich das gute Essen. „Und wenn mich etwas stört, können wir das gemeinsam besprechen.“ Es sei auch schön, zum Frühstück nicht allein zu sein. Zumal Franz Müller für seine vier Mitbewohnerinnen täglich den Kaffee kocht. Doch warum bleiben in dieser Wohnform Zimmer leer?
„Wir haben viele Interessenten, aber das Argument ist immer das Gleiche“, sagt Elisabeth Both, Pflegedienstleiterin der Caritas. Meist bekommt sie den Satz zu hören „Soweit bin ich noch nicht.“ Denn eigentlich müsse man noch rüstig genug sein, um die sozialen Kontakte nutzen zu können.
Viele Menschen blieben aber bis zuletzt zuhause wohnen, um dann pflegebedürftig ins Heim zu gehen. Elisabeth Both bedauert diese Einstellung: „Ich glaube nämlich, das WG-Leben hält fit!“ Neue Mitbewohnerinnen und Mitbewohner sind also herzlich willkommen. Geht es nach Franz Müller, dürfte es übrigens sehr gern ein zweiter Herr sein.