Witten. In den Wittener Feierabendhäusern gibt es ein neues Angebot für Menschen, die sich allein fühlen. Bewohnerinnen greifen ehrenamtlich zum Hörer.
Über 250 Menschen leben in den Wittener Feierabendhäusern - in eigenen Wohnungen, in der Langzeit-, Tages- oder Kurzzeitpflege. Da muss sich doch eigentlich keiner einsam fühlen, dachte Andreas Vincke. Und schon hatte der umtriebige Leiter des Seniorenzentrums an der Pferdebachstraße mal wieder eine Idee. „Gemeinsam am Draht“ heißt sein neuestes Projekt, das gerade an den Start gegangen ist. Seniorinnen telefonieren mit Seniorinnen. Männer dürfen natürlich auch zum Hörer greifen.
Vier Frauen und einen Mann konnte Vincke bisher für den neuen Service gewinnen. Zwei davon sind Christel Zirpel (74) und Roswitha Bode (83). Sie haben mit den anderen eine sechsstündige Schulung bei zwei Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes absolviert. Dabei ging es um Grundlagen der Kommunikation und darum, eigene Grenzen setzen. Inzwischen haben beide schon andere Bewohnerinnen des Hauses auf deren Wunsch angerufen und ein bisschen mit ihnen geplaudert.
Seniorin in Wittener Altenheim ist von Idee begeistert
Christel Zirpel kommt aus Stuttgart und ist vor einem Jahr in eine Wohnung der Feierabendhäuser am Schwesternpark gezogen. Ihre Tochter lebt in Witten. Deshalb kam das Ehepaar in die Ruhrstadt - Zirpels an Demenz erkrankter Mann nur leider in ein anderes Seniorenheim, weil bei seiner Frau gerade kein Platz frei war. Sie ist vom Projekt begeistert. „Für mich bedeutet das Telefonieren eine Win-win-Situation“, sagt die 74-Jährige. „Ich bin ja jetzt auch alleine hier.“ Die berufstätige Tochter und der Enkel haben nicht so viel Zeit, um oft vorbeizuschauen.
„Ich bin ja jetzt auch alleine hier.“
Zudem war die Seniorin mal Wohnbereichsleiterin in einem Wohnstift, scheut also den Kontakt zu anderen Menschen nicht und hilft gern, wo sie kann. Ohnehin hatte sie vor, sich ehrenamtlich zu betätigen. Vor ihrem ersten Telefonat mit einer ihr weitgehend Unbekannten aus dem Haus war sie deshalb auch nicht nervös. „Ich telefoniere gerne.“ Die Frau am anderen Ende der Leitung habe viel von ihr wissen wollen. „Ich musste die nicht aufrichten.“
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Bei Roswitha Bode, die seit drei Jahren im Haus lebt, verlief das erste Telefonat etwas anders. „Es war sehr aufregend. Ich war erst unsicher, wie ich so ein Gespräch wohl beginne. Aber ich musste gar nicht viel sagen.“ Offenbar hatte die andere Seniorin enormen Redebedarf, hat viel aus ihrem Leben erzählt. Eine Dreiviertelstunde haben sich die beiden unterhalten. Sorge, mal kein Thema zu finden, hat Bode nicht. Irgendwas geht immer - nur über Krankheiten spricht die Wittenerin nicht so gerne. Sie wird die andere nun einmal pro Woche anrufen. „Ich könnte mir auch ein Treffen vorstellen. Vielleicht gehen wir mal zusammen spazieren.“
So hat sich Heimleiter Andreas Vincke das vorgestellt. „Alles kann, nichts muss sich daraus ergeben.“ Er wünscht sich, „dass wir keinen mehr haben, der keinen hat und nie einen Anruf bekommt“. Bisher sind ihm zumindest eine Handvoll Heimbewohner bekannt, zu denen tatsächlich nie jemand kommt. Doch nicht nur für sie gilt der neue Service.
Angebot richtet sich vor allem an neue Bewohner der Feierabendhäuser in Witten
Bei einer Mieterversammlung im Haus hat Vincke das Thema Einsamkeit offensiv angesprochen und erfahren: Ja, es gibt Menschen, die sich einsam fühlen. Gerade jene, die neu einziehen, werden daher in Zukunft auf Wunsch am Anfang oder auch dauerhaft per Anruf direkt in die Gemeinschaft aufgenommen. Ab Januar wird eine Broschüre zu „Gemeinsam am Draht“ dem Infomaterial beiliegen, das neue Bewohnerinnen und Bewohner beim Einzug erhalten. „Wir wollen aber“, betont Vincke, „keine Konkurrenz zur Telefonseelsorge sein.“
Neue Qualifizierung für Ehrenamtliche
Beim Projekt „Gemeinsam am Draht“ engagieren Bewohnerinnen und Bewohner der Feierabendhäuser sich selbst ehrenamtlich. Doch das Altenzentrum setzt in vielen Bereichen auf Ehrenamtliche angewiesen. Deshalb werden regelmäßig entsprechende Qualifizierungen angeboten.
Das nächste Angebot startet am 13. Januar und beinhaltet zehn Module - von der Einführung in die Altenpflege bis zum Umgang mit Hilfsmitteln - sowie eine Abschlussveranstaltung am 23. Mai. Die Teilnahme ist kostenlos. Weitere Info und Anmeldung bei Ehrenamtskoordinatorin Manuela Söhnchen, 02302 589 5107, manuela.soehnchen@diakonie-ruhr.de.
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