Witten. Nur elf Monate war Friederike Böcker im Amt. Sie sollte die Wittener Lebenshilfe in ein modernes Unternehmen verwandeln. Wie geht es nun weiter?

Die Zeiten sind gerade etwas unruhig für die Lebenshilfe in Witten. Geschäftsführerin Friederike Groß-Böcker hat ihre Tätigkeit nach nur elf Monaten im Amt zum 30. November auf eigenen Wunsch beendet. Nun gibt es eine Übergangslösung, bis der Posten neu besetzt wird. „Die wirtschaftliche Situation im Sozialbereich ist gerade schwierig“, erklärt Friedrich-Karl Kamplade vom Vorstand auf Anfrage zudem. „Natürlich kämpfen wir.“

Als Beispiele nennt Kamplade (72) etwa finanzielle Probleme in den Kitas und mit den Landschaftsverbänden, „die mit Verzögerung zahlen, weswegen wir in Vorleistung treten müssen“. Oder die Schwierigkeiten der Werkstatt, an neue Aufträge zu kommen, nachdem zum Beispiel die Arbeit für den insolventen Pflegebettenhersteller Völker weggebrochen sei.

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Friederike Groß-Böcker war für Finanzen, Personal und Organisation zuständig. Sie sollte die Lebenshilfe mit ihrer bislang einfachen Struktur in ein modernes Unternehmen verwandeln, so Kamplade. Er spricht von „Verschlankung“, davon, dass Abläufe gebündelt und automatisiert würden - ohne dass unter Groß-Böcker betriebsbedingte Kündigungen erfolgt seien. In einer sehr allgemein gehaltenen Pressemitteilung ist von einer „fundierten Analyse der wirtschaftlichen Lage“ die Rede, die Groß-Böcker während ihrer Tätigkeit vorgenommen habe, und „maßgeblichen Impulsen zur Stabilisierung und Neuausrichtung“.

Doch Friederike Groß-Böcker habe unter schlechten Bedingungen arbeiten müssen, räumt Kamplade ein. Mitgeschäftsführer Roland Sauer ist schwer erkrankt und deshalb ausgefallen. „Groß-Böcker hat 60 Stunden pro Woche gearbeitet“, so der Vorstand. Sie sei selbst Mutter eines Kindes mit geistiger Beeinträchtigung. „Mit der vielen Arbeit wurde sie den Ansprüchen ihrer Tochter nicht mehr gerecht.“ Deshalb habe man ihrem Wunsch nach einem Aufhebungsvertrag zugestimmt. Sie werde jedoch als Beraterin des Vorstands die Lebenshilfe ehrenamtlich unterstützen. Groß-Böcker ist seit dem 2. Dezember für die IHK Essen tätig. Sie leitet dort den Bereich Kommunikation und Zukunft.

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Interimsgeschäftsführerin bei der Wittener Lebenshilfe ist seit 1. Dezember Christiane Gairing. Die 46-Jährige hat Wirtschaftswissenschaften an der Uni Witten/Herdecke studiert und war zuletzt als Geschäftsführerin bei der Lebenshilfe Solingen tätig, wo sie gekündigt hatte. Ihre Aufgabe ist es, die Strukturen in Witten zu erhalten, bis die Position neu vergeben wird. Vorstand Karl-Friedrich Kamplade hofft, dass es im Februar oder März so weit sein könnte. Man sei derzeit mittels eines Beratungsunternehmens auf der Suche. „Es gibt schon eine Reihe interessanter Bewerbungen, mindestens eine davon kommt infrage.“

Das Gelände der Lebenshilfe mit der Kita Schatzkiste (unten) an der Dortmunder Straße in Witten.
Das Gelände der Lebenshilfe mit der Kita Schatzkiste (unten) an der Dortmunder Straße in Witten. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Die von Groß-Böcker Anfang des Jahres für den Herbst angekündigte Eröffnung eines Autismus-Therapie-Zentrums im neuen Gesundheitszentrum an der Pferdebachstraße wird sich übrigens auf Mitte Januar verschieben. Auch die Annener Frühförderstelle zieht dorthin um.

Dagegen wird aus dem Neubau an der Rosi-Wolfstein-Straße erst einmal nichts. Dort sollte Wohnraum für ältere Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung geschaffen werden. Kamplade: „Aufgrund der veränderten wirtschaftlichen Situation in der Folge des Ukraine-Krieges, der gestiegenen Kosten in allen Bereichen, insbesondere bei den Energiekosten, und des immer massiveren Personalmangels bei Fachkräften haben wir beschlossen, zunächst auf umfangreiche Neubaumaßnahmen zu verzichten.“

Die Lebenshilfe Witten und ihre Angebote

Die Lebenshilfe Witten, 1960 als Elterninitiative gegründet, bietet Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung Begleitung auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben.

Zur Lebenshilfe Witten gehören etwa die beiden Frühförder-Stellen in Heven und Annen, vier integrative Kitas (Helenenberg, Blumenwiese, Schatzkiste, Wannen), die Werkstatt mit einer Gärtnerei, zwei Wohnstätten, ambulant betreutes Wohnen, Tagesstrukturgruppen und der Familienunterstützende Dienst.

In den insgesamt 18 Einrichtungen sind 550 Mitarbeitende tätig, die in Witten 850 Klientinnen und Klienten betreuen und unterstützen. Allein 400 Menschen mit Beeinträchtigung arbeiten in der Werkstatt an der Dortmunder Straße.

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