Witten. Der evangelische Friedhof an der Pferdebachstraße beschert drei Wittener Gemeinden seit Jahren Miese. Theoretisch war das Problem bekannt.
- Die evangelische Trinitatisgemeinde muss ein Defizit von 1,2 Millionen Euro ausgleiche. Diese Summe betrifft den Friedhof an der Pferdebachstraße.
- Das Problem war schon länger bekannt, offensichtlich wurde es aber nicht realisiert.
- Neben der Trinitatisgemeinde müssen auch die Johannis und Martin-Luther-Gemeinde dafür geradestehen.
Die evangelische Trinitatisgemeinde will, wie berichtet, die Christuskirche verkaufen. Die Trennung fällt der Gemeinde nicht leicht, doch sie hat sich weitgehend damit arrangiert. Tragisch ist jedoch, dass die zu erwartende Summe aus dem Immobilienverkauf nicht in die klamme Kirchenkasse fließen wird. Die Gemeinde muss damit an anderer Stelle ein Defizit ausgleichen. Es geht aktuell um insgesamt rund 1,2 Millionen Euro, die den Friedhof an der Pferdebachstraße betreffen. Theoretisch war das Problem schon lange bekannt.
„Wir wussten im Prinzip schon seit 2016 um das Dilemma, das auf uns zukommen wird, haben es aber nicht realisiert“, sagt Pfarrerin Heike Bundt (59). Ursache für die aufgelaufene Summe ist die Umstellung der Buchhaltung zum damaligen Zeitpunkt von einem kameralistischen auf ein kaufmännisches Verfahren. Dies gelte für alle Einrichtungen des Öffentlichen Rechts. „Wir funktionieren da wie eine Behörde.“
Wittener Friedhof erzielt hohe Umsätze
Es geht um den Umgang mit Einnahmen und Ausgaben. Betroffen sind Immobilien, zu denen auch der evangelische Friedhof zählt. Die Situation sei hier besonders dramatisch, da mit dem Friedhof hohe Umsätze erzielt werden. Etwa 100 Bestattungen pro Jahr fallen an. Das neue Verfahren sieht vor, dass der Erlös für verkaufte Grabstellen nicht mehr wie zuvor komplett für das laufende Haushaltsjahr verbucht werden kann, sondern etwa im Falle von Erdbestattungen auf 30 Jahre aufgeteilt werden muss. Denn so lange gilt die Ruhezeit für ein Grab, bei Urnengräbern sind es 20 Jahre.
+++Folgen Sie jetzt auch dem Instagram-Account der WAZ Witten+++
Hat ein Grab in 2024 beispielsweise 3000 Euro gekostet, dann kann die Gemeinde diese Summe nicht mehr sofort vollständig abschreiben, um die Steuerlast zu senken, sondern muss sie auf die Nutzungsdauer verteilen: also jeweils 100 Euro in den nächsten 30 Jahren. So ist im Laufe der acht Jahre seit Umstellung der Buchhaltung das riesige Defizit aufgelaufen. Bei monatlichen Mieteinnahmen, wie sie für andere Immobilien gelten, wäre das nicht passiert.
„Wären wir eine Firma, dann wären wir jetzt insolvent“, sagt Pfarrerin Bundt. Wie es überhaupt so weit kommen konnte? „Die Umstellung hat jemand gemacht, der das Problem nicht im Blick hatte. Die Auswirkungen wurden nicht langfristig durchgerechnet.“
Drei Gemeinden müssen nun dafür geradestehen. Neben Trinitatis sind das Johannis und Martin-Luther. Denn sie bilden den Gesamtverband Ev. Kirchengemeinden Witten, der Immobilien für die drei Gemeinden betreut - also auch den Friedhof Pferdebachstraße verwaltet. Ein neues Mitglied des Vorstandes hatte unlängst auf die dramatische Situation verwiesen.
Lesen Sie auch
- Witten: Wie ein Schlaganfall das Leben Ursulas verändert hat
- Kritik an Wiesenviertel-Plänen: „Kein Platz für Inklusion“
- Miss Germany in Witten: „Ich fühlte mich leer und einsam“
Die drei Gemeinden versuchen nun, das Loch durch den Verkauf von Immobilien zu stopfen. Wobei Heike Bundt vermutet, dass die Christuskirche nicht genug erzielen wird, um den eigenen Anteil zu tragen. Sie erwartet also weniger als 400.000 Euro für das 60 Jahre alte Gebäude, das an eine Immobilienfirma veräußert wird. Diese wird es für drei neue Kita-Gruppen umbauen. Die Pfarrerin möchte den Namen des Investors nach wie vor nicht nennen, ist aber optimistisch, dass es klappt.
Spätestens bis zum Jahresabschluss muss der Vertrag auch stehen. Ist das Gebäude bis dahin nicht verkauft, wächst das Defizit weiter. Lieber hätten die Gemeindemitglieder das Geld zum Beispiel in die Stelle einer Gemeindediakonin gesteckt - wie auf der letzten Versammlung am Sonntag (6.10.) deutlich wurde. Doch dürfe der Erlös aus Immobilien ohnehin nicht in Personal investiert werden, erklärt Bundt. Dennoch: Bis nun überhaupt wieder Geld aus dem Gesamtverband in die Gemeinde fließt, könne es bis zu 20 Jahre dauern.
Die Umstellung der Buchführung
Die Umstellung der Buchführung von einem kameralistischen auf das kaufmännische Verfahren - auch „Doppik“ genannt - soll Experten zufolge Vorteile haben. Dies ermögliche eine genauere Einschätzung der Vermögensentwicklung, da sowohl Vermögenswerte als auch Schulden dokumentiert werden.
Pfarrerin Heike Bundt erklärt das mit einfachen Beispielen. Demnach ist Kameralistik eine Einnahme-Überschuss-Rechnung. „Die gute Hausfrau rechnet so.“ Sie schreibt Einnahmen auf die eine Seite und Ausgaben auf die andere Seite. Was beim Zusammenrechnen übrig bleibt, ist der Gewinn oder eben der Verlust.
„Doppik“ steht für Doppelte Buchführung in Konten. Alle Geschäftsvorfälle werden doppelt erfasst - auf zwei verschiedenen Sachkonten – einmal im Soll und einmal im Haben. Beispiel: Jemand kauft Kaffee für das Gemeindehaus. Gebucht wird ein Einkauf: Kaffee im Wert von 50 Euro. Zusätzlich wird noch aufgeschrieben, wo die 50 Euro herkommen, etwa vom Konto für Allgemeine Gemeindearbeit. Darauf gibt es nun 50 Euro weniger.
Mehr Nachrichten aus Witten lesen Sie hier.