Mülheim. Gewalt beendete ihre Lebenspläne. Wie sich eine junge Mülheimerin zurück ins Leben kämpft. Und warum es dafür ihren Hund und 20.000 Euro braucht.

Es gibt Daten, die sich Janine Weimer tief ins Gedächtnis gebrannt haben. Der 3. August 2021 zum Beispiel. Die ganze Nacht verbringt die heute 29-jährige Heißenerin damals bei der Polizei und im Krankenhaus. Für sie wiederholt sich an diesem Sommertag ein Trauma, das sie bereits 2017 hatte durchleben müssen: sexualisierte Gewalt durch einen Mann.

Zwei Jahre wartet Janine anschließend auf das Gerichtsverfahren. Der Prozess endet mit ihrem Zusammenbruch. Die Diagnose: posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), verbunden mit Dissoziationen, Krampfanfällen und stundenlanger Muskelstarre. Janine „friert ein“, ein Schutzmechanismus des Körpers, ausgelöst durch unterschiedliche Trigger, die sie an die Vergewaltigung erinnern. Körper und Geist machen dicht.

Posttraumatische Belastungsstörung: Mülheimerin zu krank für Klinik

Die 29-jährige Mülheimerin Janine Weimer hat gleich mehrere Traumata erlebt. Die Hoffnung, ins Leben zurückzufinden, ruht jetzt auf ihrem Hund.
Die 29-jährige Mülheimerin Janine Weimer hat gleich mehrere Traumata erlebt. Die Hoffnung, ins Leben zurückzufinden, ruht jetzt auf ihrem Hund. © Leon Sadrozinski

So extrem ist ihr Leiden, dass selbst eine auf PTBS-spezialisierte Klinik nach wenigen Tagen das Handtuch wirft und sie wieder nach Hause schickt. Wirklich helfen kann ihr derzeit nur einer: ihr Hund Cooper, ein anderthalbjähriger Golden Doodle Mini. Ihn möchte sie deshalb nun zu einem PTBS-Assistenzhund ausbilden. Das Problem: Die Kosten für eine solche Schulung – etwa 25.000 bis 30.000 Euro – werden nicht von der Krankenkasse getragen.

Nur etwa ein Drittel des Geldes konnte die Mülheimerin ansparen. Der Rest soll nun über eine Kampagne auf der Plattform „Go Fund Me“ zusammengekommen. Initiiert hat den Spendenaufruf Janines Freundin Diana Steffens (32) aus Gelsenkirchen. 2016 haben sich die beiden über das Studium der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule Bochum kennengelernt. Damals, sagt Janine, „war ich noch ein anderer Mensch. Ich war viel unterwegs, hatte viele Freunde“.

Vom Nachbarn in Mülheim-Heißen bedrängt und belästigt

Heute ist davon nicht mehr viel übrig. Zu viel ist zwischenzeitlich passiert. 2017 wird Janine von einem unmittelbaren Nachbarn im Haus beobachtet, belästigt und bedrängt. Eine Anzeige endet mit einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe und einem Annäherungsverbot für den Nachbarn. Bis der aber schließlich auszieht, vergehen Monate. Für Janine bedeutet das: Angst. Tag für Tag. Doch sie bleibt. Damit der Täter nicht gewinnt.

Diana Steffens kennt Janine seit dem Studium. Um zu helfen, hat sie eine Spendenkampagne ins Leben gerufen.
Diana Steffens kennt Janine seit dem Studium. Um zu helfen, hat sie eine Spendenkampagne ins Leben gerufen. © Janine Weimer

Janine schließt das Studium ab, beginnt als Sozialarbeiterin beim Mülheimer Jugendamt. Sie „funktioniert“. Bis zu jenem Tag im August 2021. „Nach den Vernehmungen bin ich nach Hause, habe geduscht, das darf man ja nach einer Vergewaltigung erst mal nicht, und bin zur Arbeit gegangen. Arbeit war für mich lange Halt, ein Stück Normalität. Aber wenn ich nach Hause kam, war da nichts mehr: kein Essen, kein Trinken, kein Schlaf.“ Bis heute.

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Die 29-Jährige entwickelt als Folge des Traumas eine Essstörung, magert immer mehr ab. Als die Staatsanwaltschaft die Vergewaltigung anzweifelt, weil sie nach der Tat mit dem Mann per Messenger im Austausch war, versucht sie, sich zum ersten Mal das Leben zu nehmen. „Dass ich vor Angst gar nicht anders konnte, als auf die Nachrichten einzugehen, hat niemanden interessiert.“ Gemeinsam mit einer Opferschutztherapeutin erwirkt sie eine Fortsetzung des Verfahrens, das letztlich mit zweieinhalb Jahren auf Bewährung für den Täter endet – „weil er seine Taten zugegeben und mir die Aussage erspart hat. Aber eigentlich hat er mir meine Stimme genommen.“

Arbeiten kann Janine mittlerweile nicht mehr, und es ist fraglich, ob sie es je wieder kann. „Wenn man damals gefragt hätte, was ich mir für die Zukunft wünsche, hätte ich gesagt: Nichts. Denn mich gibt es dann nicht mehr, ich bin dann tot.“

Bürokratische Hürden erschweren die Rückkehr ins normale Leben

Und dann kommt der 3. Juli 2023: „Einen Tag, bevor ich entschieden hatte, dass ich nicht mehr leben möchte, habe ich Cooper im Internet entdeckt und die Züchterin angeschrieben. Und als sie dann schließlich antwortete, ich könne ihn sofort abholen, da war klar, dass Sterben erst mal nicht infrage kommt.“ Seit Cooper bei ihr ist, hat ihr Leben wieder etwas Struktur. Janine kommt raus, muss raus ­– für das Tier. „Ohne meinen Hund würde ich schon längst nicht mehr leben.“

Cooper mit der Kenndecke, die ihn als Assistenzhund in Ausbildung kennzeichnet.
Cooper mit der Kenndecke, die ihn als Assistenzhund in Ausbildung kennzeichnet. © Janine Weimer

Doch die Hürden bei ihrem Versuch, in eben dieses Leben zurückzukehren, reißen nicht ab. Ihr viel zu geringes Körpergewicht etwa steht der Aufnahme in einer Therapieklinik im Wege. Voraussetzung ist hier ein gewisses Maß an Stabilität. Ein Antrag beim Landschaftsverband Rheinland auf Übernahme der Kosten für Coopers Ausbildung wurde unter anderem mit der Begründung abgelehnt, dass sie keinen freien Ausbildungsplatz in der unmittelbaren Region finden konnte. Der notwendige Kostenvoranschlag stammt von einer Hundeschule in Bremen.

Janine hat Widerspruch gegen den Bescheid eingelegt. Und auch die Ausbildung des Hundes läuft. „Ich wollte nicht mehr warten.“ In der Hundeschule Humani im niedersächsischen Glandorf absolvieren Janine und Cooper derzeit die ersten Stunden der bis zu zweijährigen Ausbildung. Die aufwendigen Voruntersuchungen beim Tierarzt hat Janine von ihrem Ersparten finanziert. Die Gesamtkosten können in Raten abgestottert werden.

Kein Rechtsanspruch auf einen Assistenzhund

Assistenzhunde werden heute in vielen Bereichen eingesetzt. Neben dem klassischen Blindenführhund gibt es etwa bei Hunde für Demenzerkrankte, Autisten oder Asthmakranke. Der Hund übernimmt hier warnende und unterstützende Funktion.

Einen gesetzlichen Anspruch auf einen eigenen Assistenzhund haben in Deutschland jedoch lediglich blinde Menschen.

Assistenzhunde gelten nicht als „medizinische Hilfsmittel“, daher werden die Kosten für Ausbildung und Anschaffung in der Regel nicht von der Krankenkasse übernommen. Ausnahme: Blindenführhunde.

Nur in Einzelfällen und in speziellen Situationen ist eine Kostenübernahme für einen andere Art von Assistenzhund möglich.
Der behördliche Aufwand ist in diesen Fällen jedoch hoch und an zahlreiche Nachweise geknüpft.

Die Spendenkampagne für Janine Weimer ist bei „Go Fund Me“ unter www.gofundme.com/f/ptsd-trauma-assistenzhund-ausbildung-fur-cooper geschaltet.

Cooper lernt neben Sitz und Platz nun auch Kommandos wie Stups und Kuss – und drückt daraufhin seine Schnauze an Janines Bein oder direkt in ihr Gesicht, um die Starre aufzulösen. Er lernt aber auch, sie mit seinem Körper abzuschirmen, Distanz zu schaffen zu Fremden, deren Nähe ihr Angst macht. Einmal im Monat ist Janine in Glandorf, trainiert aber wird jeden Tag. Denn derzeit braucht es noch eine zweite Person, die Cooper den Befehl gibt, Janine aus dem dissoziativen Schub zurückzuholen. Irgendwann soll er dies allein können.

Spendenziel bei „Go Fund Me“: 20.000 Euro

Ohne gesicherte Finanzierung allerdings wird das nicht klappen. Das letzte Datum, das an diesem Tag fällt, ist deshalb der 10. Mai 2024. Der Freitag, an dem Diana Steffens die „Go-Fund-Me“-Kampagne online stellte. 20.000 Euro sind das Ziel. Rund 2000 Euro sind bislang zusammengekommen. Für Janine ein Erfolg, der über das Geld an sich hinausgeht: „Ich werde endlich wieder gesehen, die Menschen interessieren sich für meine Geschichte – und dafür bin ich unglaublich dankbar.“

Die Namensgleichheit mit unserer Autorin ist rein zufällig; es besteht keinerlei verwandtschaftliches Verhältnis.

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