Gladbeck. Georg Liebich hat in Israel Holocaust-Überlebende besucht. Sein Ansinnen: Erinnerung wahren. Einige blicken besorgt auf Deutschland.

„Meine Bekannten und Freunde haben mich gefragt ‚Bist du des Wahnsinns, bei der aktuellen Lage?‘“, sagt Georg Liebich. Der Vorsitzende des Vereins „Denk dran“ organisiert normalerweise Gedenkstättenfahrten für junge Menschen. Diesmal ist er allein nach Israel gereist – kurz vor dem Tag des Gedenkens der Opfer des Nationalsozialismus‘ am 27. Januar. Liebich folgte damit einem ganz persönlichen Wunsch: „Über die Jahre habe ich ein breites Netzwerk geknüpft, und ich wollte die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die ich kennengelernt habe, noch einmal besuchen“, sagt er. „Viele sind über 90 Jahre alt – ich weiß nicht, ob ich alle von ihnen bei der nächsten Reise noch wiedersehen werde.“

Gladbecker verbrachte eine Woche in Israel

Die Stimmung bei den Menschen, mit denen er gesprochen habe, sei angespannt. Der Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 beschäftige sie intensiv. „Das hat bei vielen das Trauma wieder hervorgerufen“, erklärt Liebich. „Sie haben den Holocaust überlebt, dachten, sie seien sicher in Israel, und dann bricht dieses Sicherheitsgefühl auseinander.“

Gladbeck Israel-Reise Georg Liebich
Die Klagemauer findet Georg Liebich immer wieder beeindruckend. © Georg Liebich | Georg Liebich

Eine Woche verbrachte der Gladbecker in Israel. Jeden Tag besuchte er Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, sprach mit ihnen über ihren Alltag und über ihre Geschichte. „Sie haben auch die aktuelle Situation in Deutschland im Blick“, so Liebich. Sie versuchen, aufzuklären und zu ermahnen, wachsam zu bleiben. Vor allem in den Gesprächen mit jungen Teilnehmenden der Reisen betonten sie immer wieder, sie seien bereit, ihre Geschichte zu erzählen. Sie erwarteten aber auch von ihrem Publikum, dass es genau hinsehe und etwa demokratische Parteien wähle.

Zeitzeugin berichtet bei Gruppenreisen von ihrer Geschichte

Schon oft ist der 65-Jährige in Israel gewesen, berichtet er. Doch dieser Besuch war besonders. Liebich war wichtig, nicht nur über die Vergangenheit zu sprechen, sondern auch Momente im aktuellen Alltag seiner Bekannten mitzuerleben.

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Georg Liebich (l.) kennt Herta Goldmann seit vielen Jahren. © Georg Liebich | Georg Liebich

„Herta Goldmann wurde 1928 in Polen geboren, ihr Vater und ihre Brüder wurden inhaftiert und deportiert“, erzählt Liebich. Ihre Großmutter, ihre Mutter und ihre Brüder haben den Holocaust nicht überlebt. Herta Goldmann musste in mehreren Lagern bis 1945 Zwangsarbeit leisten. „Sie ist eine der wenigen, die den Todesmarsch überlebt haben, ihr gelang die Flucht.“ Danach lebte sie bis Kriegsende versteckt und wanderte schließlich nach Israel aus. „Herta hat ihre Geschichte immer wieder unseren Gruppen erzählt“, so Liebich. „Bei meinem Besuch konnte ich mit ihr und ihrer Tochter zum Geburtstagsessen gehen, das hat mich sehr gerührt.“

Die Straßen in Israel waren nahezu leer

„Von der politischen Unruhe hat man nichts gemerkt“, sagt er. „Allerdings waren kaum Touristinnen und Touristen unterwegs.“ Anziehungspunkte wie Jerusalem seien bemerkenswert leer gewesen. „An der Grabeskirche am Ende des Kreuzwegs steht man sonst drei bis vier Stunden an, und auch in der Altstadt waren kaum Menschen unterwegs.“

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Die Straße in der Altstadt von Jerusalem sei sonst voll mit Touristen, berichtet Georg Liebich. © Georg Liebich | Georg Liebich

Das bekämen auch die Menschen vor Ort zu spüren, die an vielen Stellen auf den Tourismus angewiesen seien, erklärt Liebich. So auch Mohanned, der die Gruppen von Liebichs Verein meist durch Bethlehem führt. „Sein Leben in Wadi Fukin ist extrem schwierig geworden“, sagt Liebich. „Die Preise steigen, es gibt eine hohe Arbeitslosigkeit, und Mohanned wünscht sich, dass die Menschen wieder friedlich leben können und wieder mehr Tourismus stattfindet.“

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Mohanned (l.) führt die Gruppen von Georg Liebich auf ihren Reisen durch Bethlehem. © Georg Liebich | Georg Liebich

Liebich: „Ich musste das erste Mal weinen“

Besonders berührt hat Georg Liebich sein Treffen mit Pnina Katsir. „Sie ist schwerkrank und sagte mir, dass sie nicht mehr lange lebt“, so der Vereinsvorsitzende. „Da musste ich das erste Mal weinen.“ Pnina Katsir hat lange nicht über ihre Geschichte gesprochen. Auch Menschen in ihrem Umfeld kannten ihre Vergangenheit nicht. Erst mit ihrem 80. Geburtstag hat Pnina Katsir ihr Schweigen gebrochen – auf Bitten ihrer Tochter.

Die 95-Jährige überlebte mit ihrer Familie das Ghetto in Djurin. „Ich finde es beeindruckend, wie sie es geschafft hat, immer positiv zu bleiben“, sagt Liebich. Dabei denkt sie oft an andere: Katsir fertigt selbst Puppen und schenkt sie kranken Kindern.

„Ich habe gemerkt, dass ich mir emotional ein bisschen viel vorgenommen hatte“, gibt Georg Liebich zu. Jeden Tag über so viel Leid zu sprechen, nahm ihn mit. „‚Nie wieder ist jetzt‘ sollte eigentlich ‚Nie wieder ist immer‘ heißen, denn wir müssen immer kontinuierlich etwas tun.“ Aktivismus nach einzelnen Ereignissen reiche nicht aus. „Das Engagement verpufft schnell mit der Zeit.“

Dennoch kam Liebich mit einem guten Gefühl nach Hause. „Ich liebe dieses Land, Israel ist wunderschön“, bekräftigt er. Die Wärme und Herzlichkeit, die ihn empfangen hätten, bewegten ihn tief. „Ich bin glücklich, dass ich diesen Menschen begegnen darf.“