Gladbeck. 2021 hat sich der Verein Denk Dran gegründet. Viele junge Mitglieder engagieren sich. Neben Gedenkstättenfahrten startet ein weiteres Projekt.

Die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten, Menschen, vor allem jüngere, für das Thema Antisemitismus zu sensibilisieren, das ist für Georg Liebich eine Herzensangelegenheit. Schon als Kind habe er sich für dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte interessiert, sagt der 63-Jährige. Die eindringlichen Erzählungen seiner Mutter, zum Beispiel darüber, was in der Pogromnacht in Gladbeck passierte, hätten ihn tief beeindruckt. Und je mehr er erfuhr, desto brennender wurde der Wunsch, sich gegen das Vergessen zu engagieren.

Mehr als 30 Jahre organisiert und leitet Georg Liebig ehrenamtlich Gedenkstättenfahrten, zuerst nach Israel, dann auch nach Berlin und ins polnische Auschwitz. Der Mitarbeiter der Arbeiterwohlfahrt, die bis 2021 Trägerin der Fahrten war, hat dafür nicht nur Bildungsurlaube beantragt, sondern auch auf private Urlaubsreisen verzichtet. Hunderte junge Leute wissen dank seines Engagements, welche Gräueltaten unter den Nationalsozialisten passierten.

Gladbecker Verein zählt inzwischen mehr als 100 Mitglieder

Etliche von ihnen engagieren sich jetzt selbst, gehören dem Verein „Denk Dran“ an, den Liebich und Gleichgesinnte vor knapp zwei Jahren gegründet haben, um das Bildungsangebot ausweiten zu können. Inzwischen ist die Zahl der Mitglieder auf mehr als 100 gestiegen.

Die Gedenkstättenfahrten sind weiter fester Bestandteil. In Berlin geht es neben dem nationalsozialistischen Völkermord unter anderem um die Lebenssituation junger Jüdinnen und Juden. Auch bei der Israelreise steht die Auseinandersetzung mit der Schoah im Mittelpunkt. Zudem setzt sich die Reisegruppe mit der jüdischen Kultur und Religion sowie, „durchaus auch kritisch“, wie Liebich betont, im Gespräch mit einer Friedensaktivistin mit der aktuellen Politik Israels auseinander.

Gespräche mit Zeitzeugen sind für die Teilnehmer besonders beeindruckend

In Auschwitz besuchen die Teilnehmer das ehemalige KZ-Stamm- und Außenlager und legen einen Schwerpunkt auf das Thema „Kinder und Jugendliche im Konzentrationslager Auschwitz“. „Besonders beeindruckend sind für alle immer die Gespräche mit Zeitzeugen“, weiß Georg Liebich. Auch ihm geht das so: „Wenn man ihre Geschichten hört und ihnen in die Augen schaut, merkt man immer wieder aufs Neue, wie wichtig es ist, dass der Mord an Millionen Menschen nie in Vergessenheit gerät.“

Dazu tragen auch die drei jährlichen Tagesfahrten bei. Im ehemaligen Durchgangslager Westerbork (9. Juni) trifft die Gruppe Eva Weyl, die als Kind drei Jahre dort lebte. In Amsterdam (26.8.) stehen Besuche im jüdischen Museum und im ehemaligen jüdischen Viertel auf dem Programm. In Brüssel (28.9.) spricht die Gruppe mit dem EU-Abgeordnete Dietmar Köster (SPD), der sich besonders im Kampf gegen Antisemitismus engagiert.

Verein kooperiert mit der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, Gladbeck und Bottrop

Anja Mausbach ist die 2. Vorsitzende im Verein „Denk Dran“. Die 35-Jährige arbeitet als Museumspädagogin im Jüdischen Museum in Dorsten. Da liegt es nahe, dass auch diese Einrichtung häufig das Ziel ist. Zudem kooperiert der Verein eng mit der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, Gladbeck und Bottrop. „Wir besichtigen die Synagoge in Gelsenkirchen und feiern dort mit der Gemeinde jüdische Feste wie Pessach oder Chanukka“, nennt Anja Mausbach weitere Aktivitäten. „Den Teilnehmern wird dort bewusst, dass das Judentum nicht historisch ist, sondern dass jüdisches Leben auch zur Gegenwart gehört.“

Junge Leute, die an Gedenkstättenfahrten teilgenommen haben, engagieren sich jetzt in der Stolpersteingruppe des Vereins. In Kooperation mit dem Gladbecker Bündnis für Courage reinigen sie regelmäßig 46 der mehr als 100 Stolpersteine, die an jüdische Menschen erinnern, die in Gladbeck lebten und in der NS-Zeit ums Leben kamen. Andere junge Vereinsmitglieder betreiben Öffentlichkeitsarbeit, berichten auf Instagram, YouTube und der vereinseigenen Website über Aktivitäten, geben Veranstaltungstipps. Liebich: „Und besonders wichtig ist uns, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen jetzt in die Organisation und Durchführung unserer Aktivitäten eingebunden sind und an den Dokumentationen mitarbeiten, die wir nach jeder Gedenkstättenfahrt erstellen.“

Verein hat interkulturelles Training gegen Antisemitismus entwickelt

Mehr junge Leute zu informieren, zu sensibilisieren und bestenfalls als Multiplikatoren zu gewinnen ist auch das Ziel eines neuen Projekts. Die Religionswissenschaftlerin Dr. Maren Großbröhmer, Gründungsmitglied des „Denk Dran e. V.“, hat ein interkulturelles Training gegen Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit entwickelt. Oberstufenschülerinnen und -schüler können aus fünf Modulen wählen, zum Beispiel junge Juden mit Fragen „löchern“ oder ihr Wissen bei den Tagesfahrten erweitern. Bei einer Schulleiterkonferenz war die Resonanz positiv. Das Projekt soll im nächsten Schuljahr starten.