Gladbeck. Verbale Aggressionen und körperliche Attacken von Patienten und Angehörigen gehören im St.-Barbara-Hospital Gladbeck zum Arbeitsalltag.
Prügelereien in Krankenhäusern machen aktuell Schlagzeilen. Die Gewalt stellt wachsende Gefahr für Ärzte und Pflegekräfte dar. Auch in Gladbeck.
Sie wollen helfen, heilen, Leben retten. Doch von Wertschätzung ihrer Arbeit kann bisweilen keine Rede sein. Im Gegenteil: Ärzte und Pflegepersonal im St.-Barbara-Hospital Gladbeck werden angepöbelt, beleidigt, sogar gewürgt und anderweitig körperlich attackiert.
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Auf handfeste Zahlen kann das St.-Barbara-Hospital nicht zurückgreifen, wohl aber auf Erfahrungswerte des Personals, das oft schon seit Jahrzehnten Kranke betreut. Gewalt in Krankenhäusern nimmt zu, das stellt auch die Belegschaft am Standort Gladbeck fest. Allerdings: Was ist Gewalt? Das Zupacken? Oder auch schon, wenn zum Beispiel einer Ärztin „A...loch“ an den Kopf geworfen wird? Um es klarzustellen: Es müssen nicht gleich die Fäuste fliegen, Pöbeleien und Bedrohungen können ebenfalls verletzen.
Es müssen nicht immer die Fäuste fliegen, auch Worte können verletzen
Ausraster seien zwar die Ausnahme, geschehen aber häufiger als noch vor Jahren, konstatiert Klaus Limberg. Dem Mediziner mit 27 Jahren Berufserfahrung liegt es jedoch am Herzen festzuhalten: „99 unserer Patienten halten sich an die Regeln, sind sehr zugewandt und dankbar.“ Sein Beruf, so der Ärztliche Leiter der Zentralen Notaufnahme (ZNA) im St.-Barbara-Hospital, sei „der tollste Job, den man haben kann“.
Das sagt auch Sabine Erberich, die leitende Pflegedirektorin im Haus. Ihren Beruf würde die 60-Jährige immer wieder ergreifen. Doch sie und Klaus Limberg geben zu: Der Ton ist rauer geworden. Und nach Einschätzung des Mediziners geht‘s in der ZNA bisweilen besonders ruppig zu.
Welche Personengruppen sich „daneben“ oder gar nicht benehmen? „Angriffe – egal, ob verbal oder körperlich – gehen durch alle gesellschaftlichen Schichten und gibt es in jedem Alter“, diagnostiziert Limberg. Obwohl: „Ältere Patienten sind davon ausgenommen, also die Gruppe 50 plus.“ Sie bereite in der Regel keine Schwierigkeiten.
„Warte ab, bis Du Feierabend hast!“
Gerade jüngere Männer hingegen schon, vor allem solche, die keine Achtung vor Frauen haben. Das bekämen gerade Pflegekräfte zu spüren, berichtet Erberich. Sie sagt: „Ich bin auch schon herabgewürdigt worden.“ Nicht nur das: Oft sei sie geschubst und gestoßen, beschimpft und rüde beleidigt worden. Wenn etwas nicht im Sinne der Angehörigen fluppte, habe es auch schon mal geheißen: „Warte ab, bis Du Feierabend hast!“ Offen blieb, was der 60-Jährigen dann Schlimmes widerfahren solle. Derartige Bedrohungen bohren sich wie ein Stachel ins Fleisch, brennen sich ins Gedächtnis.
Zitieren möchte Erberich andere Sprüche nicht, die dem Pflegepersonal an den Kopf geworfen wurden. Nur so viel verraten die Pflegedirektorin und der Ärztliche Leiter: Fäkalsprache, unterste Schublade.
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Was das Personal hier im St.-Barbara-Hospital erleidet, all die Übergriffe und Behinderungen der eigenen Arbeit, nennt Limberg ein „multifaktorielles Geschehen“. Es gibt also gleich mehrere Gründe, die zur Eskalation führen (können). Da sind zunächst die steigenden Patientenzahlen. „Wir hatten im Jahresvergleich von 2022 zu 2023 eine Zunahme von rund zehn Prozent“, berichtet der Arzt. Etwa 22.000 Menschen galt es zu versorgen – „allein Notfallpatienten“. Die, zugegebenermaßen, nicht immer akut erkrankt sind. Limberg führt ein Beispiel an: „Der Patient, der vor einer Woche bei einem Disco-Besuch umgeknickt ist, ist kein Notfall.“
„Die Bereitschaft, sich respektlos zu verhalten, ist größer geworden“
Aber einerlei, wer die ZNA des St.-Barbara-Hospitals aufsucht: „Wenn immer mehr Menschen zu uns kommen, verlängern sich die Wartezeiten.“ Und dann, so Limbergs Erfahrung, „kochen die Emotionen hoch“. Denn hintenanstehen, das wollen manche Menschen eben nicht. „Die Bereitschaft, sich respektlos zu verhalten, ist größer geworden“, meint Wolfgang Heinberg. Der Kommunikationschef der Kern Katholische Einrichtungen Ruhrgebiet Nord GmbH, der das Krankenhaus in Gladbeck angehört, Limberg und Erberich sind sich einig: Egoismus und Rücksichtslosigkeit sind zentrale Probleme. In dieses Bild passt die Beobachtung des Arztes: „Selbst wenn Leute mitbekommen, dass es jemandem sehr schlecht geht, sind sie nicht bereit zu warten. Dabei tun wir alles, um jeden zeitgerecht zu behandeln.“
Ein Spiegelbild der Gesellschaft
Wolfgang Heinberg verweist darauf, dass auch andere Berufsgruppen Aggressionen in der Bürgerschaft ausgesetzt sind. Zu nennen wären beispielhaft Kräfte der Feuerwehr und Polizei. Der Kommunikationschef der Kern Katholische Einrichtungen Ruhrgebiet Nord GmbH stellt fest: „Ein Krankenhaus ist das Spiegelbild der Gesellschaft.“
Sabine Erberich, Pflegedirektorin im Gladbecker St.-Barbara-Hospital, erklärt: „Massiv potenziert wird dies durch die Faktoren Krankheit, Angst, Sorge und Trauer. Es geht um existenzielle Nöte.“
Was der Expertin aufgefallen ist: „Zu Corona-Zeiten haben sich alle an die Regeln gehalten.“ Und zwar ohne Murren. Das habe sich hingegen nach der Pandemie gewandelt. Sabine Erberich: „Das Verhalten hat sich geändert. Die Menschen haben eine kürzere Zündschnur.“
Der immer stärker verbreitete „Ich-ich-ich-Faktor“ ist offenbar deutlich spürbar. Sabine Erberich kann von Vorkommnissen erzählen, die mittlerweile zum Tagesgeschäft gehören: „Die Anspruchshaltung von Patienten und Angehörigen ist eine andere als früher. Da wollen Menschen jetzt und sofort den Arzt sprechen.“ Oder: 15 Angehörige eines Patienten stürmen ein Drei-Bett-Zimmer, nehmen das Gemeinschaftsbad in Beschlag. Einsicht, dass es so nicht geht? Null. „Die Betreffenden haben einen anderen Kulturkreis und leben ihre Sorgen“, so die Expertin.
Dass pro Patient nur eine Begleitperson in der Notaufnahme mit ins Behandlungszimmer gehen darf? Interessiert manche Menschen nicht. Limberg: „Es ist sehr störend, wenn eine Masse von Leuten dabei ist. Wir können, bis auf Ausnahmen wie Eltern, nicht dulden, dass zwei, drei Angehörige mit im Behandlungsraum sind. Es geht auch um Datenschutz und höchstpersönliche Informationen.“ Heinberg stellt fest: „Die Regel-Akzeptanz lässt in großen Bevölkerungsgruppen nach.“ Was zählt, ist in vielen Momenten dann das eigene Ego.
Ein Fünf-Stufen-System teilt die Patienten nach Dringlichkeit ein
Wer wann an der Reihe ist, richtet sich nach der Einordnung in ein Fünf-Stufen-System, das die Dringlichkeit kategorisiert: rot (null Minuten Wartezeiten), orange (zehn Minuten), gelb (eine halbe Stunde), grün (90 Minuten), blau (120 Minuten) mit der geringsten Priorität. Zum späten Nachmittag hin haben Ärzteschaft und Pflegekräfte in der ZNA häufig einen geballten Andrang zu bewältigen.
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„Wir haben hier einen hohen Facharzt-Anteil“, erklärt Limberg. Das unterscheide das Gladbecker St.-Barbara-Hospital von vielen anderen Krankenhäusern. Die Sparten Neurologie, Innere Medizin/Gastroenterologie und Unfallmedizin sind vertreten. Limbergs Fachgebiete sind die Innere Medizin und Allgemeinmedizin, klinische Akut- und Notfallmedizin.
Besonders Frauen sind Opfer von Aggression
Wenn‘s nicht nach der eigenen Nase geht, vergreifen sich manche Patienten im Ton, werden sogar handgreiflich. Limberg wurde als Assistenzarzt in einem anderen Krankenhaus von einer Frau mit dem Tode bedroht: „Sie sagte: ,Wenn mein Mann stirbt, bringe ich Sie um!‘ Das empfand ich als sehr beunruhigend.“
„Wenn mein Mann stirbt, bringe ich Sie um“
Der Mediziner: „Überwiegend bekommen den Ärger die Pflegekräfte ab.“ Derer sind 525 im St.-Barbara-Hospital beschäftigt. Gegenüber dem Arzt halten sich nach Limbergs Einschätzung Wüteriche in vielen Fällen zurück, lassen ihre Emotionen gegenüber Pflegepersonal, vor allem seien Kolleginnen betroffen, jedoch ungehemmt raus.
Wird‘s ganz brenzlig, nutzen die Bedrängten am Telefon den „roten Knopf“, um Verstärkung aus anderen Stationen zu alarmieren. „In Extremfällen rufen wir auch die Polizei.“ Um die Situation zu beruhigen, reiche bei alkoholisierten und drogenabhängigen Patienten manchmal schlichtweg die Anwesenheit eines Arztes“, sagt Limberg. Die Pflegedirektorin fügt hinzu: „Ärzte dürfen unser Hausrecht ausüben.“ Heißt: Wer tobt, muss draußen bleiben. Das Hausverbot sei das „allerletzte Mittel“.
Dieser Artikel wurde erstmals Anfang Mai 2024 publiziert. Aufgrund der gegenwärtigen Ereignisse anderenorts bleibt das Thema brisant.
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