Bottrop. Nach Solingen wurde in Bottrop erstmalig ein Messer-Trageverbot ausgesprochen. Was die Polizei sonst gegen die gestiegenen Zahlen tut.
Nachdem ein Syrer, dessen Asyl-Antrag abgelehnt wurde, am Freitagabend auf dem Solinger Stadtfest mit einem Messer bewaffnet einen Anschlag beging und dabei mehrere Menschen schwer, drei Personen sogar tödlich verletzte, debattiert das Land erneut über die Vorschläge von Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte drei Tage nach dem Attentat ebenfalls schärfere Gesetze an. Die Polizei reagiert ebenso auf den Angriff – und geht in Bottrop nun erstmalig einen neuen Weg.
Messer in der Öffentlichkeit: Was gesetzlich erlaubt ist
Vor rund zwei Wochen hatte die SPD-Politikerin Faeser mitgeteilt, dass sie das Waffenrecht im Umgang mit Messern verschärfen will. Konkret sollen zukünftig nur noch Messer mit einer feststehenden Klingenlänge von bis zu sechs Zentimetern in der Öffentlichkeit erlaubt sein. Bisher liegt die Grenze laut Paragraf 42 des Waffengesetzes bei zwölf Zentimetern.
Außerdem ist das Mitführen von sogenannten Einhandmessern, deren Klinge sich einhändig feststellen lässt, per Gesetz grundsätzlich verboten. Dazu gehören beispielsweise Butterfly-Messer, die mit zweigeteiltem Griff in sekundenschnelle zur tödlichen Gefahr werden können. Die Innenministerin fordert zusätzlich ein generelles Umgangsverbot für Springmesser.
Bisher ist es erlaubt, Springmesser mit einer Klinge unter 8,5 Zentimeter in der Hosentasche mit sich zu führen – zumindest, wenn man keine öffentlichen Veranstaltungen wie Volksfeste, Ausstellungen, Märkte oder ähnliche Events besucht. Auch wenn man Eintrittsgelder zahle, bei sämtlichen Theater-, Kino-, Diskothekenbesuchen und bei Tanzveranstaltungen gilt ein generelles Verbot.
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Bottroper Polizeipräsidentin Zurhausen zeigt sich nach Attentat schockiert
Welch eine Gefahr von Stichwaffen ausgehen kann, weiß auch Friederike Zurhausen, Polizeipräsidentin des Recklinghäuser Polizeipräsidiums, zu dem bekanntermaßen auch Bottrop zählt. Sie zeigte sich nach der Tat von Solingen schockiert: „Ein solches Attentat inmitten eines fröhlichen Stadtfestes erschüttert nicht nur die betroffenen Familien, denen unser aufrichtiges Mitgefühl gilt. Es hat verständlicherweise auch Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl aller Bürgerinnen und Bürger.“
„Wer ein Messer dabei hat, gefährdet andere. Selbst kleine Messer können schwere Verletzungen hervorrufen – oder sogar tödlich sein“, mahnt Zurhausen weiter. Im Polizeirevier Recklinghausen hätte das von Faeser vorgeschlagene Gesetz wohl durchaus Straftaten verhindern können. Ein Blick auf den Kriminalitätsbericht der Behörde aus dem vergangenen Jahr schockte bereits bei seiner Veröffentlichung im April 2024.
Noch nie verzeichnet die Polizei so viele Straftaten mit Messern
Im gesamten Präsidiumsbereich, der von Bottrop über Gladbeck und Dorsten bis nach Datteln, Waltrop und Haltern am See reicht, ist ein deutlicher Anstieg von Straftaten in Tateinheit mit dem Nutzen von Messern erkennbar. Waren es 2022 lediglich 186 Taten, so wurde 2023 mehr als 300-mal mit dem Messer strafrechtlich relevant hantiert: ein markanter Anstieg von über 60 Prozent. Die Zahlen, die im Revier seit 2019 erhoben werden, waren noch nie so hoch.
Immerhin: Tödliche Attacken, bei denen ein Messer genutzt wurde, gab es 2023 in Bottrop nicht. Zuletzt machte jedoch auch ein Messerangriff in Herne, das nicht mehr zum Recklinghäuser Gebiet gehört, Schlagzeilen. Nach einer Auseinandersetzung mit jungen Männern wurde dort ein 47-jähriger Familienvater aus Bottrop im Beisein seiner Familie durch einen Stich in den Rücken schwer verletzt.
Jugendliche Verdächtige rücken in den Fokus der Polizei
Mit über 265 Einträgen wurden die meisten Taten hier abermals von Männern begangen, vermehrt rücken aber auch Jugendliche in den Fokus der Beamten. Zwar führen die erwachsenen Tatverdächtigen die traurige Statistik mit großem Abstand an, Jugendliche werden aber immer häufiger mit den Stichwaffen aufgegriffen, müssen mit über 50 Taten insgesamt sogar mehr Straftaten mit dem scharfen Tatmittel verantworten als die Gruppe der Heranwachsenden, die die Polizei im Alter von 18 bis 21 Jahre einordnet. Die Gruppe der Heranwachsenden war mit 27 festgestellten Taten etwa so gefährlich wie Kinder, die 26 mal bei Straftaten mit Messereinsatz erwischt wurden.
Um einen weiteren Anstieg der Zahlen, vor allem bei den Jüngeren der Gesellschaft, zu verhindern, setzt die Ordnungsmacht schon länger auf Präventionsprojekte, auch in Bottroper Schulen. Dort findet eine regelmäßige Sensibilisierung in Bezug auf Messergewalt statt. Junge Menschen, so bestätigt eine Polizeisprecherin, gehören darüber hinaus zur Zielgruppe verschiedener Social-Media-Kampagnen. Dort wird digital vor den Gefahren von Messern aufgeklärt.
Zahl der Taten mit verbotenen Messern verdoppelte sich
Besonders auffällig: Die Straftaten, bei denen ein nach dem Waffengesetz verbotenes Messer eingesetzt wurde, stiegen zuletzt deutlich an. Obgleich die Zahl mit 45 Taten bei weit über 700.000 Menschen im Polizeirevier gering erscheinen könnte, so muss gleichzeitig mit über 130 Prozent ein immenser Anstieg verzeichnet werden. Zum Vergleich: 2022 waren es insgesamt 19 Straftaten, bei denen eine solche verbotene Stichwaffe eingesetzt und entsprechend routinemäßig von der Polizei konfisziert wurde. 2023 wurden alleine neun jugendliche Tatverdächtige mit nicht erlaubten Messern erwischt.
Für den öffentlichen Raum in Bottrop hat die Polizei auf Nachfrage der Redaktion ebenfalls exklusive Zahlen geliefert. Die Behörde teilt mit, dass 2022 insgesamt 36 Messerangriffe mit verbotenen sowie in der Öffentlichkeit bisher erlaubten Messern im Stadtgebiet registriert wurden. 2023 sah die Zahl im Vergleich zur überregionalen Statistik in Bottrop sogar besser aus: 28 Angriffe bedeuten einen Rückgang auf lokaler Ebene. Und auch im laufenden Jahr könnte die Zahl sinken. Bislang wurden 15 Taten im öffentlichen Raum Bottrops vermeldet.
Die Polizeipräsidentin betont im Hinblick auf die Zahlen wenige Tage nach dem Anschlag: „Eine absolute Sicherheit vor einem solch perfiden und hinterhältigen Attentat wird es nicht geben, aber der Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger hat für uns oberste Priorität. Ein Messer gehört in die Küche, nicht in die Hosentasche. Als Polizei können wir kontrollieren und sanktionieren – und das machen wir, sobald sich die rechtlichen Möglichkeiten ergeben.“
Polizei Recklinghausen schöpft Gesetzgebung aus: Waffentrageverbot ausgesprochen
Dass die Polizei weiterhin durchgreifen will, macht sie aktuell nicht nur mit den gemeinsamen Kontrollen in Zusammenarbeit mit dem Kommunalen Ordnungsdienst (KOD) wie zuletzt am vergangenen Donnerstag rund um den Berliner Platz und den Bottroper ZOB deutlich. Erstmals ist jetzt gegen einen 37-jährigen Bottroper ein explizites Waffentrageverbot ausgesprochen worden. Seit kurzem setzt die Polizei dabei auf das Mitführverbot, das vor allem gegen Personen, die mehrfach durch Straftaten mit dem Messer auffallen, angewendet werden soll. Auch in aktuellen Sachverhalten prüfe die Behörde stets ein individuelles Waffentrageverbot.
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Dem Bottroper, dem nun das persönliche Verbot auferlegt ist, wird unter anderem ein Raubdelikt mit einem Einhandmesser vorgeworfen. „Das individuelle Waffentrageverbot ist eine weitere Maßnahme, um Messergewalt entgegenzutreten und die Straßen sicherer zu machen“, betont Polizeipräsidentin Zurhausen.
Waffenverbotszone am ZOB ist derzeit nicht geplant
Obwohl die Gegend besonders bei vielen Bürgerinnen und Bürgern ein subjektiv häufig ungutes Gefühl hervorruft, kann der Bereich rund um ZOB, Ehrenpark und Berliner Platz nicht als Hotspot der Messergewalt ausgemacht werden. Die Polizei macht klar: Die Taten ereigneten sich in verschiedenen Stadtteilen, ein örtlicher Schwerpunkt von Messergewalt ist in Bottrop nicht bekannt. Auch nicht am ZOB.
Nach derzeitigem Stand ist daher auch die Einrichtung einer grundsätzlichen Waffenverbotszone rund um den belebten Platz am Busbahnhof nicht geplant. Es kann weder eine räumliche noch eine zeitliche Häufung von Straftaten festgestellt werden, weshalb eine solche Waffenverbotszone nach aktueller Gesetzeslage nicht zu rechtfertigen ist.
Polizei prüft Sicherheitskonzepte für Veranstaltungen
An anderer Stelle wird die Polizei aber weitere Maßnahmen prüfen, betont Friederike Zurhausen: „Die bestehenden Sicherheitskonzepte für öffentliche Veranstaltungen werden aufgrund der aktuellen Gefährdungslage auch im Kreis Recklinghausen und der Stadt Bottrop – in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden und Veranstaltern – überprüft und angepasst. Die polizeiliche Präsenz bei den kommenden Festen wird erhöht.“