Bochum. „Longevity“ als Trend: Nahrungsergänzungsmittel und Infusionen versprechen ein gesünderes, längeres Leben. Prof. Rainer Wirth sieht das kritisch.
Möglichst lange und gesund leben, ist der Wunsch vieler Menschen. „Jeder möchte gesund sterben“, weiß Prof. Rainer Wirth, Klinikdirektor der Klinik für Altersmedizin und Frührehabilitation des Marienhospitals in Herne, einem Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum, und meint damit, dass jeder bis zum Lebensende gesund sein möchte.
Longevity, zu Deutsch Langlebigkeit, ist im Trend. Die Personen, die diesem Trend folgen, tun vieles, um sich zu verjüngen. Von Medikamenten über Nahrungsergänzungsmittel bis hin zu Infusionen. Nicht selten suggerieren solche Infusionen, dass das Altern aufgehalten und das Leben verlängert werden kann. Dafür eröffnen auch sogenannte Spas – unter anderem in Bochum. „Das ist eine Entwicklung, die man einordnen muss“, sagt Wirth.
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Er selbst sieht diese Methoden äußerst kritisch. Für ihn ist klar: „Vitamincocktails ohne einen Mangel bringen nichts. Das Geld kann man lieber anders investieren.“ Es gebe aber auch Ausnahmen, in denen es sinnvoll ist, Vitamine zusätzlich einzunehmen. Beispielsweise wenn jemand, der kein Fleisch isst, einen Mangel an Vitamin B12 hat.
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Lebenserwartung und gesunde Lebenserwartung gehen auseinander
Bei Longevity gehe es aber nicht nur darum, die Lebenszeit zu verlängern, sondern dass man diese auch gesund verbringt. In der Medizin wird zwischen der Lebensdauer und der Dauer eines gesunden Lebens unterschieden. „Eine Studie aus allen 183 WHO-Mitgliedstaaten zeigt, dass es eine große Diskrepanz zwischen Lebenserwartung und gesunder Lebenserwartung von 9,6 Jahren gibt, die in den letzten 20 Jahren weiter angestiegen ist“, erklärt Wirth.
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Jeder könne selbst viel tun, für ein längeres und vor allem gesundes Leben. Nur zu einem Viertel hänge das von den Genen ab, sagt Wirth. Einen deutlich größeren Anteil hat die individuelle Lebensweise. „Da ist eigentlich kein Spa und keine Infusion notwendig.“
„Inneren Schweinehund überwinden“
Was wichtig ist: „Man muss den inneren Schweinehund überwinden.“ Zwar kann er Menschen verstehen, denen das schwerfalle. Aber der Mediziner versichert: „Es lohnt sich.“ Er selbst gehe regelmäßig joggen, im Alltag baut er Bewegung ein, indem er immer in den neunten Stock, wo seine Patienten sind, läuft, statt mit dem Aufzug zu fahren. Es sei wichtig solche Gewohnheiten einzuführen, dann falle es leichter diese über einen längeren Zeitraum zu machen.
Infusionen oder auch Supplements erscheinen vielleicht als vergleichsweise einfache und schnelle Alternative, um etwas für die Gesundheit zu tun. Dennoch müsse man immer abwägen, ob man dafür extra etwas einnimmt. „Jeder Stoff, den ich meinem Körper zuführe, hat Nebenwirkungen“, sagt Wirth.
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Auch wer sich im fortgeschrittenen Alter zu einem gesunden Lebensstil entscheidet, könne sein Leben noch verlängern. Wer beispielsweise bis zu seinem 40. Lebensjahr ungesund gelebt hat und dann seinen Lebensstil ändert, der könne seine Lebensspanne um zwölf bis 15 Jahre verlängern, so Wirth. „Oder man sagt: Der, der es nicht macht, verkürzt sein Leben.“
Blaue Zonen der Erde: Menschen leben länger als der Durchschnitt
Dennoch gesteht der Klinikdirektor ein: „Wir müssen in dem Bereich noch viel tun und aufklären.“ Statt direkt Medikamente einzunehmen oder Infusionen zu bekommen, rät Wirth, sich zunächst umfangreich zu informieren. „Auch über Menschen, die in den sogenannten blauen Zonen leben.“ Das sind Regionen weltweit, in denen Menschen deutlich länger Leben als der Durchschnitt.
Diese Menschen ernähren sich meist von Gemüse und Fisch, sind bis ins hohe Alter aktiv und haben ein funktionierendes Sozialleben. Auch das sei wichtig für ein gesundes und langes Leben. Prof. Rainer Wirth weiß: „Es lohnt sich, schon früh an später zu denken.“