Mülheim. Die Stadt verbot einem Mülheimer, seinen Sohn im Urnengrab der Familie zu bestatten. Der Mann zog vors Gericht und ist froh über einen Vergleich.
„Genugtuung“ ist das Wort, das Christian G. wählt, um seinen aktuellen Gemütszustand zu beschreiben. Der 63-jährige Mülheimer, der seinen vollen Namen ungern in der Zeitung lesen würde, hat sich kürzlich mit der Stadt Mülheim vor Gericht duelliert – und ist, zumindest gefühlt, als Sieger aus dem Kampf hervorgegangen. Kern der Auseinandersetzung vor dem Landgericht Duisburg war das kommunale Friedhofsentwicklungskonzept (FEK). Ein Urteil wurde nicht gefällt. Der Vergleich aber, der im Gerichtssaal geschlossen wurde, hat Kläger G. nahezu vollständig befriedigt. Zweieinhalb Jahre nach der Beisetzung seines Sohnes hat die Verwaltung ihm 3300 Euro der Bestattungskosten überwiesen.
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Der Reihe nach: Im November 2018 kam der Sohn mit 27 Jahren ums Leben. Details mag G. nicht erzählen; bei der bloßen Erwähnung des Todestages bekommt er feuchte Augen. Für seine Frau und ihn war damals schnell klar, „unser Junge soll zu den Großeltern“. Die Verbindung zum Opa sei eine besondere gewesen, „das Kind war mehr bei ihm als bei uns“.
Das erste Gespräch mit dem Bestatter ließ Probleme nicht erahnen
Für G. lag es nah, Opa und Kind zusammenzuführen. Im Urnengrab der Familie auf dem Friedhof an der Oberheidstraße, das 2004 gekauft worden war und für vier Personen ausgelegt ist, ruhten zu jener Zeit nur die Großeltern. Es wäre also Platz gewesen, sagt G. Und da auch das Gespräch mit dem Bestatter unkompliziert verlaufen sei, war er sicher: „Das geht jetzt alles seinen Weg.“
Zwei Tage später aber meldete sich der Bestatter erneut und überbrachte eine Hiobsbotschaft: Familie G. müsse den Sohn an anderer Stelle beisetzen – das aus 2017 stammende Friedhofsentwicklungskonzept der Stadt schreibe dies unmissverständlich vor. Das Urnengrab liege im so genannten Peripheriebereich, was bedeute, dass eines fernen Tages nur noch G. sowie seine Ehefrau dort beigesetzt werden dürften. Eine Ausnahme sei nur möglich bei Kindern unter 13 Jahren.
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Die Nachricht war ein Schlag ins Gesicht
Die Nachricht war ein Schlag ins Gesicht: „Ich verstehe bis heute nicht, warum das Alter des Kindes einen Unterschied machen soll“, sagt G. Seine Frau und er waren fassungslos, und es habe sich direkt ein Gefühl von Widerstand in ihm breit gemacht: „So etwas machen die nicht mit uns!“ Für G. war klar: „Das Urnengrab gehört uns – und dann kann ich da auch bestatten, wann und wen ich will.“
Leider habe ein Gespräch mit Vertretern des Amts für Grünflächenmanagement und Friedhofswesen nicht zum Sinneswandel geführt; „sie haben nur darauf gepocht, dass sie Recht haben“. G. vermisste Verständnis und Mitgefühl. Sein Widerspruch nutzte nichts, die sterblichen Überreste des geliebten Kindes ruhen seither in der Urnenkirche an der Tiegelstraße.
Bestattung kostete 4000 Euro – anstelle von geplanten 700 Euro
Neben der emotionalen Belastung bedeutete diese Form der Bestattung auch eine finanzielle Bürde für Familie G. Man habe rund 4000 Euro zahlen müsse – und nicht, wie eigentlich geplant, 700 Euro für die Beisetzung im Familiengrab.
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Im Juni 2019 beschloss der Mülheimer Stadtrat dann nach massiven Beschwerden aus der Mülheimer Bevölkerung eine überarbeitete Version des FEK – mit deutlich mehr Rechten für die Angehörigen. Das rief Christian G. auf den Plan. „Damit wäre die Bestattung unseres Kindes bei den Großeltern nämlich doch möglich gewesen.“ Seine Frau und er setzten ein Schreiben an die Stadt auf, man solle nun zumindest den finanziellen Schaden ausgleichen.
Man habe bei der Entscheidung im November 2018 rechtmäßig gehandelt, so die Stadt
Die Stadt aber lehnte einen Schadensersatzanspruch rigoros ab, vertrat die Auffassung, dass die Änderung vom Juni 2019 keine Auswirkungen auf vergangene Entscheidungen hätte, sondern nur für die Zukunft gelte. Man habe im November 2018 rechtmäßig gehandelt. Von Amtspflichtverletzung könne keine Rede sein. Für G. war dies der Zeitpunkt, einen Rechtsanwalt einzuschalten.
IG kümmert sich jetzt um andere Projekte auf den Friedhöfen
Im Zuge der teils heftigen Auseinandersetzungen rund um das Mülheimer Friedhofsentwicklungskonzept (FEK) hat sich im Frühjahr 2019 die Interessengemeinschaft (IG) „Friedhof statt Streithof“ gegründet. Dietrich Rohde aus Raadt war von Anfang an ihr Koordinator und Sprecher.
Und auch wenn der laut Rohde „sensationelle Ratsbeschluss“ vom 27. Juni 2019 dem Streit die Schärfe nahm, weil er deutliche Erleichterungen für Angehörige mit sich brachte, habe die IG weiterhin gut zu tun. Bedingt durch Corona sei zwar eine Zwangspause eingetreten, doch bald schon wolle ein Arbeitskreis wieder sinnvolle und nachhaltige Projekte auf den Friedhöfen angehen. Zum Beispiel denkmalgeschützte Gräber aufarbeiten oder historische sowie biologische Lehrpfade einrichten. Ideen seien willkommen, sagt Rohde.
Bislang mangele es allerdings an Unterstützung aus der Verwaltung, kritisiert er. Manchmal frage er sich, ob bürgerschaftliches Engagement in dieser Stadt überhaupt gewollt sei.
Der rege Schriftverkehr mit der Verwaltung mündete im Oktober 2020 in die Klage. G. verlangte 4000 Euro für die Bestattung und gut 400 Euro für Rechtsanwaltsgebühren von der Stadt. Man habe ihm rechtswidrig die Bestattung in der familieneigenen Grabstätte verweigert. Das Geld, so sagt er heute, sei zweitrangig gewesen – „es ging mir um Gerechtigkeit“.
Kläger G. hofft, dass viele Menschen von seiner Geschichte erfahren
Und die habe er nun bekommen: 3300 Euro hat die Stadt nach dem Vergleich vom 30. April überwiesen – 3000 Euro als Beteiligung an den Bestattungskosten und 300 als Beitrag für den Anwalt. Das Gericht sei auf seiner Seite gewesen, betont der 63-Jährige, der nun hofft, dass möglichst viele Menschen von seiner Geschichte erfahren. „Sie sollen wissen, dass es sich lohnt zu klagen.“
Die Verwaltung geht indes weiter davon aus, „dass der Kläger keinen Amtshaftungsanspruch gegen die Stadt hatte“, so Sprecher Volker Wiebels auf Nachfrage. Man habe den Vergleich „nur in diesem einen Fall wegen der besonderen Tragik des Einzelfalls geschlossen, um dem Kläger und seiner Familie weiteres Leid durch einen eventuell langandauernden Rechtsstreit zu ersparen“. Man habe gehofft, dass die Angehörigen durch das beiderseitige Nachgeben „endlich Ruhe und Frieden finden können“.
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Stadt führt noch einen weiteren Rechtsstreit vor dem Landgericht Duisburg
Aktuell führt die Stadt vor dem Landgericht Duisburg noch einen weiteren Rechtsstreit wegen einer abgelehnten Bestattung aufgrund des FEK. Das Gericht habe in diesem Fall bereits zu verstehen gegeben, dass es die Auffassung der Stadt teile und keine Basis für einen Schadensersatz sehe, teilte Wiebels mit.
Man sehe das FEK im Übrigen „weiterhin als gutes und geeignetes Instrument an, um die notwendigen Einsparungen im Friedhofsbereich zu erzielen“. Schon jetzt könne die Verwaltung zukünftig nicht mehr erforderliche Friedhofsflächen freiziehen und zurückbauen.