Mülheim. Die Ruhrbahn steuert in Essen tief in die roten Zahlen, nötige Investitionen sind nicht abgesichert. Die Frage: Fehlen auch in Mülheim Millionen?
Alarmierende Nachrichten drängten dieser Tage in der Nachbarstadt Essen in die Öffentlichkeit: Die Ruhrbahn rutscht in Essen immer tiefer in die roten Zahlen. Millionenlöcher tun sich auch auf bei der Finanzierung als notwendig erachteter Investitionen. Auf Nachfrage bewerteten jetzt Stadtkämmerer Frank Mendack und Beteiligungschef Hendrik Dönnebrink die Lage für die Ruhrbahn in Mülheim.
Am vergangenen Donnerstag hatte OB Thomas Kufen dem Mobilitätssauschuss des Essener Stadtrates einen Bericht vorgelegt, der den Ernst der Lage in der Nachbarstadt verdeutlicht. Nicht nur, dass die Ruhrbahn immer mehr Defizit einfahre, das von der Stadt auszugleichen sei, ist darin niedergeschrieben.
In Essen fehlen für Investitionen der Ruhrbahn 50 Millionen Euro in Etatplanung
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Mehr noch alarmiert in Essen, dass die Ruhrbahn in den kommenden zehn Jahren einen Investitionsbedarf von 960 Millionen Euro sieht und schon für das kommende Jahr eine riesige Lücke klafft zwischen Wirtschaftsplan des Nahverkehrsbetriebs und dafür im städtischen Haushalt verankerten Mitteln. Allein in der auf fünf Jahre angesetzten mittelfristigen Finanzplanung Essens fehlen mehr als 50 Millionen Euro, um die beabsichtigten Investitionen der Ruhrbahn abzusichern.
Investitionen sind nötig in neue Fahrzeuge sowie in die Modernisierung der Infrastruktur, darunter Gleise, Stromversorgung und Betriebshöfe. Die komplette Busflotte soll für den Klimaschutz auf Wasserstoff umgestellt werden. Der zentrale Betriebshof in Essens Stadtmitte wird umgebaut, weil der Brandschutz dort nicht gegeben ist. Das veraltete Zugsicherungssystem verlangt laut Ruhrbahn gar „einen Technologiesprung“. . .
Ein Hilferuf der Ruhrbahn wie in Essen sei in Mülheim nicht nötig, so der Kämmerer
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Ein Hilferuf schallt durch Essen, in der Vergangenheit war ein eben solcher kontinuierlich auch in Mülheim zu vernehmen. Die Chefs in Stadtkämmerei und Beteiligungsholding, Frank Mendack und Hendrik Dönnebrink, geben sich indes gelassen. In Mülheim seien die Investitionen der Ruhrbahn in der mittelfristigen Haushaltsplanung bis zum Jahr 2026 fest verankert, sagt Mendack.
Die politischen Diskussionen der vergangenen Jahre hätten sicher ihren Teil dazu beigetragen, dass Mülheim nicht wie früher Gefahr laufe, dass die Finanzierung aus dem Ruder laufe, ergänzt Beteiligungschef Dönnebrink: „Wenn wir über den ÖPNV sprechen, machen wir direkt ein Preisticket dran. Wir sind angestrengt unterwegs, aber zumindest zurzeit ist es machbar.“
Mülheim will in den kommenden zehn Jahren 222 Millionen Euro im ÖPNV investieren
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In den kommenden zehn Jahren ist aber auch in Mülheim der Investitionsbedarf enorm. Rund 222 Millionen Euro sind kalkuliert, knapp 73 Millionen davon verspricht sich die Stadt aus diversen überörtlichen Fördertöpfen. Allein die Instandhaltung der Schienenstrecken (der zur Disposition stehende Kahlenberg-Ast der Linie 104 ist da schon nicht mehr berücksichtigt) wird mit knapp 97 Millionen Euro kalkuliert. Der Umbau von Haltestellen (Barrierefreiheit) soll weitere knapp 36 Millionen Euro verschlingen.
Bei den neuen Stadtbahnwagen für die städteübergreifende U18 ist Mülheim mit 16,4 Millionen Euro im Boot, die neuen Wasserstoffbusse sollen gut 24 Millionen Euro kosten, plus Bau einer Wasserstoff-Tankstelle – Kostenpunkt: 7,8 Millionen Euro. Weitere Posten der Investitionsrechnung bis zum Jahr 2031: der Umbau rund um die Haltestellen am Hauptbahnhof (11,9 Millionen Euro) und Investitionen in einen Bauhof, ein „Infrastrukturzentrum“ (10,3 Millionen Euro).
Bus statt Bahn? „Wir geben jetzt Ruhe, wir akzeptieren das Niveau“
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Eine Stange Geld wird nötig sein. Dönnebrink will sich nicht verkneifen, dass insbesondere der Erhalt der Bahninfrastruktur zu Buche schlage, da sich Mülheim weiter ein Nahverkehrsangebot leiste, für das die Stadt seiner Rechnung nach 150.000 Einwohner mehr haben müsste, um sie als angemessen bezeichnen zu können. Dönnebrink will der Politik aber nicht länger mit der Keule „Bus statt Bahn“ kommen. Das politische Votum dagegen war eindeutig. „Wir geben jetzt Ruhe, wir akzeptieren das Niveau“, sagt er. Im Stadtrat sehe er mittlerweile „das Grundverständnis“ dafür, das politisch bestelltes Nahverkehrsangebot auch zu bezahlen ist.
Gleichwohl unbeantwortet ist die Frage, wie ab 2023 strukturell zwei Millionen Euro in Mülheims ÖPNV-Betrieb einzusparen sein werden. Sie sind fest eingeplant im Szenario von Kämmerer Mendack, Mülheim erfolgreich, mit schwarzer Null, aus dem Stärkungspakt Stadtfinanzen zu führen. Mendack verfolgt entsprechend gespannt die politischen Debatten zum Nahverkehrsplan, dessen Entwurf im Sommer vorliegen soll und sich an den zwei Millionen Euro wird messen lassen müssen.
Ab 2023 sollen in Mülheims Nahverkehr zwei Millionen Euro eingespart werden
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Kommt die Einsparsumme nicht zustande, werden anderweitig, womöglich wieder bei Kita oder Offenem Ganztag, Kompensationen nötig. Der Doppel-Haushalt für 2022 und 2023 müsste sich noch mal einer Operation am offenen Herzen unterziehen, die eigentlich unbedingt vermieden werden sollte. Noch sieht Mendack die Ampel nicht auf „Grün“, sondern auf „Gelb“ stehen, was die politischen Diskussionen zum ÖPNV-Sparziel betrifft.
Ruhrbahn ersetzt täglich 260.000 Autofahrten
Die Ruhrbahn bewegt in Mülheim und Essen mit drei U-Stadtbahnen, elf Straßenbahn- und 54 Buslinien 142 Millionen Fahrgäste pro Jahr. Damit würden täglich rund 260.000 Fahrten mit dem Pkw eingespart, heißt es.Die Ruhrbahn testet derzeit mit dem „Bussi“ ein Angebot „On Demand“ (auf Bestellung). Ein Sammeltaxi befördert Fahrgäste rund um Essen-Rüttenscheid. Trotz Corona laufe der Test bislang erfolgreich, so die Ruhrbahn.In Mülheim gibt es tagsüber eine Taxibus-Linie, die ab Heißen Kirche den Anschluss an die U-Bahn sowie die Buslinien 129, 136 und 138 herstellt. Nachts werden die sechs Mülheimer Nachtexpress-Linien durch zehn Taxibusse ergänzt, die auf festgelegten Linienwegen die Stadtteile erschließen.
Risiken gibt es auch darüber hinaus. Exorbitant steigende Energiekosten, weitere Tariferhöhungen für das Ruhrbahn-Personal, auch die Corona-Auswirkungen machen dem Betrieb zu schaffen. Ohne staatlichen Rettungsschirm würde die Vorjahresbilanz der Ruhrbahn im Fahrbetrieb Mülheim ein Minus von 36,4 Millionen ausweisen. Noch bis einschließlich 2025 rechnet die Ruhrbahn mit Auswirkungen und entsprechendem Verlust bei den Ticketeinnahmen.
„Wenn die Politik nicht hohe Disziplin zeigt, läuft es aus dem Ruder“
Für Dönnebrink gibt es da nur einen Ausweg für die Stadt: Die Ticketpreise müssten steigen. Seine düstere Prognose: „Wenn die Politik nicht hohe Disziplin im Verkehrsverbund zeigt, bei den Ticketpreisen Schritt zu halten, läuft es aus dem Ruder.“