Essen. . Die Evag eröffnet Lesern unbekannte Einblicke in das U-Bahnnetz, das mit großen Ambitionen geplant, aber nie vollendet wurde.

Das Essener U-Bahnnetz ist ein unvollendetes. Dass dies ausgerechnet unweit der Philharmonie sichtbar wird, ist eine ungewollte Pointe. Aber was heißt hier sichtbar? 25 Meter tief unter dem Stadtgarten findet sich Essens „Geisterbahnhof“. Im Rahmen unserer Serie, „Die WAZ öffnet Pforten“, hatten zehn Leser Gelegenheit einmal einen Zwischenstopp einzulegen, wo noch nie eine Bahn gehalten hat.

Es ist eine Zeitreise zurück zu den Anfängen des U-Bahnbaus in Essen. Ende der 1960er Jahre eröffnete die Stadt mit viel Tamtam das erste, nur 450 Meter kurze Teilstück mit dem U-Bahnhof „Saalbau“. Der Münchener Lach und Schießgesellschaft war das einen Kalauer wert, verfügte Essen doch damit über die kürzeste U-Bahn der Welt.

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Dabei sollte es nicht bleiben. Planer und Politik verfolgten ehrgeizige Ziele. Das Ruhrgebiet sollte zusammenwachsen, ein städteübergreifendes Stadtbahnnetz sollte es verbinden. Es blieb Stückwerk. Auch das Essener Netz wurde nie fertig gebaut. „Die bevölkerungsstärksten Stadtteile Borbeck und Steele sind heute nicht an die U-Bahn angebunden“, bedauert Evag-Abteilungsleiter Bertram Gröpper. Dabei war die Strecke nach Steele nicht nur fertig geplant, sie wäre sogar öffentlich gefördert worden. Es fehlte wohl weniger das Geld als der politische Wille.

Nach Steele sollten die Gleise über den U-Bahnhof „Opernhaus“ führen, doch der wurde nie gebaut. Es blieb bei einem Provisorium, in das Gröpper die Gruppe führt.

Vom U-Bahnhof am Hauptbahnhof geht es mit der Straßenbahn in den Tunnel, in der Wendeschleife heißt es: Bitte aussteigen. Der Weg führt über einen schmalen Betonsteg in die Dunkelheit. Wir haben etwa 100 Meter zurückgelegt, als sich das Gleis teilt. Wir nehmen den rechten Abzweig und stehen bald vor einer Betonwand. Es ist ein totes Gleis, das dennoch seine Funktion erfüllt. Die Evag nutzt es zum Abstellen von Reparaturwagen und als Parkplatz für ihre Bahnen, sollte es technische Probleme im Tunnel geben.

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Der Geisterbahnhof befindet sich eine Etage höher. Über eine Wendeltreppe, die nachträglich als Fluchtweg eingebaut wurde, geht es hinauf. Wir stehen in einem Raum aus Beton, der von den Dimensionen her ein Einfamilienhaus leicht verschlucken könnte; daran anschließen sollte sich der U-Bahnhof „Opernhaus“, von dem nur der Name geblieben ist und das Gleis gen Süd-Osten.

Geisterbahnhof hält geschätzte 400 Jahre

Wir sind nicht die ersten Besucher, berichtet Bertram Gröpper und meint nicht die unbekannten Graffiti-Künstler, die sich an den Wänden verewigt haben. „Die Schauspielerin Brigitte Nielsen war schon hier und der Fußballer Ailton.“ Der Evag-Ingenieur klärt uns staunende Zuhörer schnell auf. Ein privater Fernsehsender hatte sich die unvollendete U-Bahnstation als Kulisse ausgeguckt. Wir denken spontan eher an den Führerbunker in „Der Untergang“. Dabei wäre dieser Raum, obwohl zu Hochzeiten des Kalten Krieges nicht mal als Schutzraum zu gebrauchen. „Im ganzen U-Bahnnetz gibt es keinen“, sagt Bertram Gröpper und räumt so wohl auch mit Legenden auf.

Eine Funktion hat der „Geisterbahnhof“ nicht. Er kann allenfalls als Anschauungsobjekt herhalten. Leser Hartmut Hüter war gespannt darauf mit eigenen Augen zu sehen, wie gut oder schlecht, die U-Bahnanlagen nach fast 60 Jahren wohl sind und staunt. Beton ist langlebig. Auf 400 Jahre schätzt Evag-Mann Gröpper die Lebensdauer. Wenn heute von einem gewaltigen Sanierungsstau die Rede ist, dann gehe es dabei nicht um das eigentliche Bauwerk, sondern um die technische Ausstattung; um Leitungen, um ein neues Zugsicherungssystem. . .

Wir machen uns den Weg zurück ans Tageslicht. Noch im Tunnel fährt eine Bahn an unserer Gruppe vorbei. In der Hauptverkehrszeit würde sich das alle zwei Minuten wiederholen. Das unvollendete U-Bahnnetz hat die Grenzen seiner Kapazität längst erreicht.