Stockholm/Essen. Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller schreibt mit schönen und sachlichen Worten über das Allzu-Unmenschliche der Diktaturen. Die Erfahrungen unter Ceausescu haben sie geprägt. Ihr Lebensthema: die grausamen seelischen Verformungen, die eine Diktatur bei ihren Opfern anrichtet.
Herta Müller hat am Telefon gelacht und geweint, als sie gestern Mittag hörte, dass sie am 10. Dezember in Stockholm den mit 972 000 Euro dotierten Nobelpreis verliehen bekommt. Der Zwiespalt, die Doppelbödigkeit ist das Leitmotiv ihres Lebens, ihrer Literatur. Die Erfahrungen in der Ceausescu-Diktatur haben ihr den Zweifel an allem in die Seele gesenkt, was nach bloßer Oberfläche aussieht – sie haben ihr aber auch die Gewissheit verschafft, dass nur die Sprache den Unterdrückten eine aussichtsreiche Chance bietet, sich zu wehren, Würde zu wahren.
Und wehren musste sich Herta Müller früh. Im schwäbischen Banat fühlte sie sich als Kind nicht nur von den Einengungen der kommunistischen Diktatur bedrängt, sondern auch von den Lebensumständen einer deutschen Minderheit. Deren spießige Rückständigkeit rührt aus einer Wagenburg-Mentalität, in der vermeintlich deutsche Tugenden wie Sauberkeit, Fleiß und Sparsamkeit, Zucht und Ordnung im doppelten Sinne kultiviert werden.
Schatten der Diktatur haben sie nie losgelassen
Dem Banat aber verdankt Herta Müller auch den besonderen Ton ihres Deutsch, das – anfangs mehr als heute – durchzogen ist von Wörtern und Wendungen, die dem Deutschen im Westen schon abhanden gekommen waren. Ähnlich wie bei Richard Wagner, Herta Müllers zeitweiligem Ehemann, ebenfalls ein Rumäniendeutscher.
Schon ihr Debüt „Niederungen”, eine Sammlung von Geschichten und Prosa-Miniaturen, schlug einen Ton an, der Kritiker entzückte – und ihr unter Rumäniendeutschen den Vorwurf der Nestbeschmutzung eintrug. Auch in Temeswar, wo sie studierte, wurde es nicht besser: „Wir sind mit dem Kopf von zu Hause weggegangen, aber mit den Füßen stehen wir in einem anderen Dorf. In einer Diktatur kann es keine Städte geben, weil alles klein ist, wenn es bewacht wird”, wird es später in ihrem Roman „Herztier” heißen. Die Securitate versuchte vergebens, Herta Müller anzuwerben – ihre Mitglieder verfolgen sie bis heute, wie sie jüngst in der „Zeit” bekannte.
Die Schatten der Diktatur haben sie ohnehin nie losgelassen. Nach 1987, als sie in die Bundesrepublik umsiedelte, hat sie hin und wieder den scharfen Blick einer Außenseiterin auf die bundesrepublikanische Wirklichkeit geworfen. Doch ihr Lebensthema blieben die grausamen seelischen Verformungen, die eine Diktatur bei ihren Opfern anrichtet, indem sie das Misstrauen bis in die letzte Faser des Lebens dringen lässt.
"Landschaften der Heimatlosigkeit"
Romane wie „Der Fuchs war damals schon der Jäger” oder „Heute wäre ich mir lieber nicht begegnet” trugen ihr mitunter sogar den Vorwurf ein, sich an ihrem Lebensthema zu sehr festgebissen zu haben.
Doch spätestens ihr neuster Roman „Atemschaukel” zeigt, dass sie es auf diesem zu unerreichter Kunst gebracht hat: Er arbeitet das verschwiegene Schicksal der Rumäniendeutschen auf, die erst den Nazis zuarbeiteten und dann von den Russen deportiert wurde – in einer Sprache, die vom Thema selbst geformt ist: Ausgerechnet Wörter voller Poesie beschreiben das Allzu-Unmenschliche, sie blieben die einzige Möglichkeit, sich Gewalt und Leid nicht gerade vom Leib, aber von der Seele zu halten. Sie zeichne, lobte die Schwedische Akademie sie gestern, „mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit.”
Herta Müller weiß das. „Mir wird immer wieder die Frage gestellt”, sagte sie bei einer Rede im Sommer 2003, „wann ich endlich über Deutschland schreibe. Ich habe jedes Mal Lust zu sagen: Schon die ganze Zeit, aber das merkt ihr nicht.”