Frankfurt/Main. Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller beschuldigt die evangelische Kirche, dass sie auf rumänischen Druck hin 1989 vom Deutschen Evangelischen Kirchentag ausgeladen wurde. Die Literatur-Nobelpreisträgerin wurde Sonntag vom Zentrum gegen Vertreibungen ausgezeichnet.
Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller hat schwere Vorwürfe gegen die evangelische Kirche in Rumänien und indirekt auch gegen die in Deutschland erhoben. Die Schriftstellerin äußerte sich am Sonntag nach Entgegennahme des Franz-Werfel-Menschenrechtspreises der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen in der Frankfurter Paulskirche. Dabei berichtete die 56-Jährige, dass sie 1989 offenbar auf rumänischen Druck hin vom Deutschen Evangelischen Kirchentag ausgeladen wurde.
Wie Müller sagte, wurden sie und ihr Ehemann Richard Wagner seinerzeit zu einem Forum Rumänien des Kirchentags ein- und dann kurzfristig wieder ausgeladen mit der «merkwürdigen Begründung», sie seien nicht evangelisch, sondern katholisch. Inzwischen liege ihr der Tonbandmitschnitt eines Telefonats der evangelischen Kirchenleitung im rumänischen Hermannstadt mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dazu vor.
Die Autorin verlas die Passage, in der die rumänischen Kirchenvertreter vor einer «Einmischung in die inneren Angelegenheiten Rumäniens» warnten und mit Konsequenzen drohten. Mit einer derartigen Veranstaltung unter Teilnahme Müllers und Wagners würde die weitere Zusammenarbeit mit der EKD infrage gestellt. In der Paulskirche sagte die Nobelpreisträgerin, es müssten Fragen nach der Rolle der evangelischen Kirche in Rumänien gestellt werden. Bislang sei nur bekannt gewesen, dass die orthodoxe Kirche eng mit dem kommunistischen Regime verflochten war.
Trojanow würdigt Mut und Hingabe Müllers
Den Franz-Werfel-Menschenrechtspreis überreichte Herta Müller die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach. Sie betonte, die Jury habe bei der Auswahl der Preisträgerin am 1. Oktober noch nichts vom Nobelpreis für die Autorin gewusst. Auch den Preis der Stiftung erhalte Müller aber für ihr jüngstes Buch «Atemschaukel» über das Schicksal eines in sowjetische Arbeitslager verschleppten jungen Rumäniendeutschen.
Müller, die in der Paulskirche auch aus dem Buch las, bedankte sich dafür, dass sie den Preis erhalten habe, obwohl sie nicht zu den Unterstützern des Zentrums gegen Vertreibungen gehöre. BdV-Präsidentin Steinbach sagte, mit der «Atemschaukel» habe Herta Müller den Opfern der Zwangsdeportationen mit psychologischer Eindringlichkeit ein unvergängliches Denkmal gesetzt. Die CDU-Politikerin wies darauf hin, dass unter den rund 80.000 zwangsdeportierten Rumäniendeutsche auch Kommunisten waren.
Der in Bulgarien geborene Schriftsteller Ilja Trojanow würdigte in seiner Laudatio neben der Dichtkunst auch Hingabe und Mut Herta Müllers. Sie habe sich unbeugsam der Aufgabe gestellt, «die Stummen zu Wort kommen zu lassen» und Erniedrigten wie Ermordeten Gehör zu verschaffen. Ob unter den Nazis oder den Stalinisten - Osteuropa habe im 20. Jahrhundert die meisten Opfer der Gewaltherrschaft zu beklagen gehabt.
Der Franz-Werfel-Menschenrechtspreis wurde am Sonntag zum vierten Mal verliehen. Zu den bisherigen Preisträgern zählen unter anderem der ungarische Schriftsteller György Konrad und der katholische Bischof von Banja Luka, Franjo Komarica. (ap)