Frankfurt/M. Deutschland schaut auf Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller, und die schaut zu Boden. Beobachtungen von der Frankfurter Buchmesse.

Es nimmt ihr die Luft. Deutschland schaut auf Herta Müller; sie schaut zu Boden. „Eigentlich bin ja nicht ich es, die den Preis bekommen hat. Es sind meine Bücher, nicht meine Person”, sagte die Autorin nach der Bekanntgabe des Literaturnobelpreises und danach kaum noch etwas, jedenfalls nicht öffentlich. „Wie denken Sie heute über diesen Satz”, fragt Ernst Grandits auf der 3Sat-Bühne der Buchmesse - einer der sehr wenigen, die fragen dürfen derzeit. „Genauso”, sagt sie. „Es sind alle anderen aufgeregter als ich. In zwei, drei Wochen ist alles vorbei.”

Eine Beschwörungsformel. Ihr Rücken ist nach vorne gebeugt, die zarte, schwarz gekleidete Person in sich versunken. Ihre Hände führen ein Eigenleben, greifen nach einander, suchen Halt. Die Zuschauer stehen dichtgedrängt um die Bühne, auf der sie sitzt, Medien bestürmen den Verlag, der sie vertritt – und werden vertröstet auf jene Tage in „zwei, drei Wochen”. Ein Kampf um freie Meinungsnichtäußerung.

„Ich bin ja nicht krank”

Mit dem Mauerfall 1989 verschwand der Ostblock, Herta Müller wäre eine gefragte Rednerin, sie könnte Zeugnis geben. Jahrelang wollte das niemand hören, aber jetzt: die Nobelpreisträgerin zur Wende, Verfolgung und die Folgen! Doch Herta Müller fremdelt.

Die Fremde ist ihre Heimat: Kindheit und Jugend verbrachte sie am Rande der Gemeinschaft der Banater Schwaben. Sie kämpfte für die Freiheit des Wortes, in Temeswar gründete sie die literarische „Aktionsgruppe Banat”. Auf die Avancen der Securitate antwortete stets sie: nein. Was in ihr Innerstes drang in Verhören, Vorladungen, nannte Herta Müller selbst eine „Vorstufe zum Wahn”. Nun aber antwortet sie auf die Frage, ob Schreiben ihre Heilung sei: „Ich bin ja nicht krank.”

Ihr Deutsch klingt hart, jede Frage verneint sie mit einem erstaunten Blick aus dunkel umrandeten Augen. „Das ist gar keine Verdichtung, das ist auch gar nicht so poetisch.” Oder: „Ich habe keine Mission. Ich glaube, missionarisch macht dumm.” Nur einmal lässt sie sich hinreißen zu dem, was man politisches Statement nennt: Die Delegation des Gastlandes China bezeichnet sie als „Staatsausflug mit Schriftstellerzierde”.

Herta Müller ist keine Nationaldichterin, Nationalsprecherin – sie ist nicht Günter Grass. Als der bekannte, mit 17 Jahren zur Waffen-SS gegangen zu sein, sagte Müller in einer Rede (vordergründig bezogen auf die Nazi-Vergangenheit ihres Vaters), sie könne auch ein solch jugendliches Ja nicht verstehen. Sie habe, schon in diesem Alter, widerstanden.

Es gibt Menschen, die schützen sich mit Masken. Herta Müller schützt sich durch Verweigerung. Sie sagt: Nein. Es ist ihr demokratisches Recht.