Paris. Ginge es nach dem Willen von Nicolas Sarkozy, würde Albert Camus ("Die Pest") Anfang Januar anlässlich seines 50. Todestages ins Pariser Panthéon überführt. Doch die Familie sträubt sich gegen diesen Plan. Nun ist in Frankreich ein Streit entbrannt, wem der Literaturnobelpreisträger gehört.
Die großen französischen Philosophen Voltaire und Jean-Jacques Rousseau haben hier ebenso ihre letzte Ruhestätte wie die berühmten Schriftsteller Victor Hugo und Emile Zola. Nun soll auch Albert Camus Einzug ins Pariser Panthéon halten. Geht es nach Staatspräsident Nicolas Sarkozy, wird der vor fast 50 Jahren verunglückte Literaturnobelpreisträger Anfang Januar in einem feierlichen Staatsbegräbnis in Frankreichs nationale Ruhmeshalle überführt. Allerdings stößt der Staatschef mit seinem „Herzensanliegen“ auf unerwartete Probleme. Während Camus-Tochter Catherine noch schwankt, lehnt Zwillingsbruder Jean die so genannte „Panthéonisation“ des berühmten Vaters kategorisch ab.
Wem gehört also Albert Camus – der Familie oder der Nation?
Die Überführung stehe ganz im Widerspruch zu Camus’ Leben, begründet der Sohn sein Veto. Wie die Zeitung „Le Monde“ aus seinem Umfeld in Erfahrung brachte, befürchtet Jean Camus offenbar eine „politische Vereinnahmung“ des Vaters durch den Präsidenten. Auch Catherine Camus zögert. „Ich weiß nicht“, sagte sie dem Radiosender „France International“. Einerseits wäre es ein „schönes Symbol“, weil sich ihr Vater besonders für diejenigen eingesetzt habe, die keine Stimme hatten. Andererseits habe er Ehrungen und Rummel um seine Person am liebsten gemieden.
Wem gehört also Albert Camus – der Familie oder der Nation? Eine kontrovers geführte Debatte, die auch durch die zuletzt stark gesunkene Popularität des Präsidenten beeinflusst wird. „Camus ist doch keine Rolex“, lautet eine zynische Reaktion im Leserforum von „Le Point“ – eine Anspielung auf das viel kritisierte „Bling-Bling“-Image des Präsidenten. Und bei „lemonde.fr“ schreibt „jc d.“: „Camus ins Panthéon nur für Sarkozys Propaganda – welch ein Horror, welch ein Verrat.“
Camus, 1913 in Algerien als Sohn einer Analphabetin geboren, war Verkäufer von Auto-Ersatzteilen, Schauspieler und Journalist, Widerstandskämpfer. Als Philosoph und Schriftsteller machte er die Absurdität der Welt und des menschlichen Daseins zu seinem zentralen Thema. Mit Werken wie „Der Fremde“ und „Die Pest“ schrieb er sich in den literarischen Olymp. Ein tödlicher Verkehrsunfall am 4. Januar 1960 im Alter von nur 46 Jahren setzte seiner steilen Karriere ein abruptes Ende. Beerdigt ist Camus auf dem Friedhof des sonnigen Provence-Dörfchens Lourmarin, in das er zwei Jahre zuvor mit seiner zweiten Frau Francine und den beiden Kindern gezogen war.
Zum falschen Zeitpunkt
Jean Daniel, Camus' enger Wegbegleiter in jener Zeit und Gründer des Polit-Magazins „Nouvel Observateur“, stellt sich in der Panthéon-Frage ganz auf die Seite des Sohnes. „Ich bin dafür, Camus in Lourmarin zu lassen, das ist der Ort, von dem er stets geschwärmt hat“, sagt er und fügt hinzu: „Das ist kein Anti-Sarkozysmus.“
Möglicherweise beschreibt Letzteres genau den Kern des Problems. Der Vorschlag Camus an sich ist ideal, aber er kommt möglicherweise zum falschen Zeitpunkt und von der falschen Person. Um doch noch die Zustimmung der Camus-Kinder zu gewinnen, hat Nicolas Sarkozy seine Beraterin Catherine Pégard zur Unterhändlerin ernannt.
Ruhmestempel der Republik
Gelingt es ihr, Jean Camus milde zu stimmen, könnte Nicolas Sarkozy dem Beispiel seiner Vorgänger folgen. Jacques Chirac hat zwei „Panthéonisationen“ vorgenommen: 1996 für André Malraux und 2002 für Alexandre Dumas. François Mitterrand überführte sogar fünf berühmte Franzosen in den Ruhmestempel der Republik.
Das Panthéon war von dem später hingerichteten Ludwig XVI. als Kirche in Auftrag gegeben worden. Während der Revolution diente es erstmals als weltliche Weihestätte, während es in Phasen der Restauration unter Bürgerkönig Louis Philippe und Napoléon III. wieder im Zeichen des Kreuzes stand. Erst die junge Dritte Republik machte den prachtvollen Kuppelbau auf dem Hügel der Heiligen Geneviève endgültig zur Ruhmeshalle. Bei der Beisetzung des ungemein geliebten Dichterfürsten Victor Hugo 1885 folgten Hunderttausende Pariser dem Trauerzug vom Arc de Triomphe zum Panthéon. Die Wissenschaftlerin Marie Curie ist die einzige Frau im Panthéon.