Goch. Die Stadt Goch muss kurzfristig viele Geflüchtete unterbringen und möchte das Hotel am Kastell kaufen. Zu dem Plan gibt es jetzt neue Details.

Die Kurve auf dem großen Bildschirm im Konferenzraum des Gocher Rathauses zeigte steil nach oben. Die Grafik der Stadtverwaltung verdeutlichte die zuletzt stark angestiegene Anzahl untergebrachter Flüchtlinge. Waren es im August noch 459 Menschen, lag die Zahl vor rund zwei Wochen bereits bei 561. Aktuell muss die Stadt Goch 596 Geflüchteten eine Unterkunft bereitstellen – und hat damit die Kapazitätsgrenze von 600 Personen in insgesamt 24 Immobilien erreicht.

Deshalb stellte die Stadtspitze um Bürgermeister Ulrich Knickrehm, wie berichtet, einen umfassenden Aktionsplan vor, der unter anderem einen Hotelkauf, den Umbau von Häusern in der ehemaligen britischen Siedlung und möglicherweise auch die Belegung von zwei Turnhallen vorsieht. „Wir sehen uns aufgrund der Entwicklung der Zuweisungszahlen in der Pflicht, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, was auf unsere Stadt zukommen wird“, erklärte Knickrehm die bemerkenswerte Pressekonferenz am Donnerstag. „Wir haben es in den letzten Wochen, Monaten und Jahren geschafft, öffentliche Infrastruktur überhaupt nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Dies wird jetzt, so befürchten wir, anders werden.“

Sie stellten die Maßnahmen der Stadt Goch zur kurzfristigen Unterbringung von geflüchteten Menschen vor (von links): Wolfgang Jansen, Bettina Gansen, Bürgermeister Ulrich Knickrehm, Dr. Stephan Mann und Wolfgang Peiter. Die ansteigende Kurve auf dem Bildschirm zeigt die Zahl der zugewiesenen Flüchtlinge.
Sie stellten die Maßnahmen der Stadt Goch zur kurzfristigen Unterbringung von geflüchteten Menschen vor (von links): Wolfgang Jansen, Bettina Gansen, Bürgermeister Ulrich Knickrehm, Dr. Stephan Mann und Wolfgang Peiter. Die ansteigende Kurve auf dem Bildschirm zeigt die Zahl der zugewiesenen Flüchtlinge. © Niklas Preuten

Warum die Stadt die Turnhallen in Pfalzdorf und Nierswalde belegen würde

In den Blick rücken die Turnhalle an der ehemaligen St.-Martin-Hauptschule in Pfalzdorf und die Turnhalle in Nierswalde. Diese beiden Standorte schlägt die Stadtverwaltung nicht ohne Grund vor. „Wir haben in der aktuellen Vorplanung versucht, mit so wenigen Benachteiligungen der Bevölkerung wie möglich auszukommen“, sagte Wolfgang Jansen, Betriebsleiter des Vermögensbetriebs der Stadt Goch. So wäre der Schulsport nur in Pfalzdorf teilweise betroffen, die Freiherr-von-Motzfeld-Grundschule verfügt noch über eine weitere Halle. In der Turnhalle in Nierswalde findet gar kein Schulsport statt. Der Vereinssport würde durch die Einrichtungen von Notunterkünften in den Turnhallen jedoch in beiden Ortsteilen leiden – nach dem festen Wunsch der Stadtverwaltung jedoch möglichst kurz.

Bevor allerdings Turnhallen belegt werden, greifen zunächst andere Maßnahmen aus dem Paket, das die Stadtverwaltung in den vergangenen Wochen vorbereitet hat. 50 bis 60 Geflüchteten sollen in dem Hotel am Kastell untergebracht werden, das die Stadt Goch kaufen möchte. „Diese Option wäre zeitnah umzusetzen, eine endgültige Entscheidung steht aber noch aus“, sagt Wolfgang Jansen im Gespräch mit der NRZ über weitere Einzelheiten des Vorhabens. Bis Ende November soll der Hotelbetrieb regulär weiterlaufen, ehe mit Beginn des kommenden Jahres Flüchtlinge in das Ende des 18. Jahrhunderts erbaute und in den 1990er Jahren komplett sanierte Haus einziehen könnten.

Jansen über das Hotel: „Sehr gute Voraussetzungen“

Vermögensbetriebsleiter Jansen hat sich das Hotelgebäude mittlerweile gemeinsam mit Ordnungsamtsleiter Wolfgang Berns sowie städtischen Mitarbeitenden aus der technischen Abteilung und der Bauaufsicht genau angesehen. „Es ist eine sehr gepflegte Immobilie, die mit ihren insgesamt rund 30 Einzel- und Doppelzimmern sowie drei Wohnungen sehr gute Voraussetzungen auch zur Unterbringung von Familien bietet“, stellt Jansen fest. Die Zimmer seien komplett ausgestattet, auch mit kleinen Kühlschränken und Bettwäsche. Teilweise gebe es auf den Etagen zudem Waschmaschinen. Große Umbauarbeiten seien voraussichtlich nicht nötig. „Wir müssten einzig einen der Aufenthaltsräume mit gemeinschaftlichen Koch- und Kühlmöglichkeiten ausrüsten“, so Wolfgang Jansen.

Der Durchgang zum Hotel am Kastell.
Der Durchgang zum Hotel am Kastell. © Niklas Preuten

Mit der Eigentümergemeinschaft wird die Stadtverwaltung nun über einen Kaufvertrag verhandeln und den Rat informieren. Was den Kaufpreis betrifft, hält sich Jansen naturgemäß bedeckt. Ein Anhaltspunkt könnten die 2,1 Millionen Euro sein, die im Haushaltsentwurf 2024 für den Bau von zwei neuen Flüchtlingsunterkünften an der Hervorster Straße eingeplant sind. Mehr dürfte die Stadt Goch in keinem Fall für den Hotelkauf ausgeben wollen. Finanziert würde der Ankauf über ein zinsfreies Darlehen der NRW-Bank.

Stadt Goch spricht sich gegen eine Containeranlage aus

Die Gefahr, dass durch den geplanten Erwerb des Hotels am Kastell in Goch Hotelzimmer fehlen, sieht der Leiter des Vermögensbetriebs nicht. „Wir nehmen das Hotel ja nicht aktiv vom Markt“, sagt Jansen und erinnert daran, dass die jetzigen Inhaber die Immobilie bereits länger verkaufen möchten, weil sie in den Ruhestand gehen. Die Stadt Goch dürfte nun auch schnell zuschlagen wollen, da das Hotel als genehmigter Beherbergungsbetrieb ebenfalls für Leiharbeitsfirmen interessant ist.

Eine Unterbringung von geflüchteten Menschen in Containern, wie es die Stadt Kalkar derzeit vorbereitet, diskutierte man auch in Goch. Die Verantwortlichen nahmen davon jedoch Abstand. Zum einen weil auch eine Containeranlage einige Monate Vorlaufzeit benötigt. Und zum anderen weil dieses Provisorium auf lange Sicht keine optimale Unterbringungsform sei, meinte Wolfgang Jansen. „Jede Art von Isolierung erschwert die Integration“, sagte Bürgermeister Ulrich Knickrehm.

+++ So berichteten wir am 2. November über die Flüchtlingssituation in Goch +++

Fast die gesamte Stadtspitze um Bürgermeister Ulrich Knickrehm kam am Donnerstagvormittag im Gocher Rathaus zusammen – aus gewichtigem Grund. In einer Pressekonferenz zeigte die Runde die enormen Belastungen für die Stadt Goch angesichts der deutlich erhöhten Zuweisungen von geflüchteten Menschen auf und präsentierte ein bemerkenswertes Maßnahmenpaket zur kurzfristigen Unterbringung der demnächst rund 600 Flüchtlinge aus der Ukraine und weiteren Kriegsgebieten.

Kapazitätsgrenze in Goch liegt bei 600 Menschen

Die Tennishalle an der Marienwasserstraße in Goch dient bereits als große Flüchtlingsunterkunft.
Die Tennishalle an der Marienwasserstraße in Goch dient bereits als große Flüchtlingsunterkunft. © Niklas Preuten

Vom kurz bevorstehenden Hotelkauf über den geplanten Umbau von Häusern in der ehemaligen britischen Siedlung bis zur befürchteten Belegung von zwei Turnhallen setzt die Verwaltung in diesen Tagen sehr viele Hebel in Bewegung. „Wir sind verpflichtet, die Menschen unterzubringen und versuchen dies möglichst unaufgeregt zu machen“, betonte Knickrehm. „Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir hinbekommen müssen.“

Während die Stadt Goch die Unterbringung und Betreuung von gut 450 Flüchtlingen in 24 Immobilien – vor allem in den beiden großen Unterkünften im alten Hildegardishaus am Krankenhaus und in der Tennishalle am Marienwasserweg – in den vergangenen Monaten relativ geräuschlos organisieren konnte, spitzt sich die Situation seit Mitte August zu. Da kündigte die Bezirksregierung Arnsberg verstärkte Zuweisungen an. „Wir laufen auf unsere Kapazitätsgrenze von 600 Personen zu“, stellte Wolfgang Peiter, Leiter des Fachbereichs Bauen & Ordnung, fest. Zwar konnte sich die Stadtverwaltung mit einem ausgehandelten Moratorium etwas Zeit verschaffen, doch ab dem 4. Dezember werden dann noch mehr Geflüchtete nach Goch kommen.

Stadt möchte Hotel kaufen und baut Bauernhof um

Weil der geplante Bau von weiteren Flüchtlingsunterkünften an der Hervorster Straße die Lage erst frühestens in einem Jahr etwas entspannen wird, braucht es zusätzlich kurzfristigere Lösungen. Eine davon ist der Ankauf des Hotels am Kastell. „Das Hotel steht zum Verkauf, weil die Betreiber in den Ruhestand gehen möchten. Für uns ist es eine sehr glückliche Situation, dass wir darauf zugreifen können“, sagte Wolfgang Jansen, Betriebsleiter des Vermögensbetriebs der Stadt Goch. „Dabei hilft uns ein zinsfreies Darlehen der NRW-Bank“, ergänzte die Kämmerin und Beigeordnete Bettina Gansen. Geplant ist, in den einzelnen Zimmern 50 bis 60 Personen ab Beginn des Jahres 2024 unterzubringen.

Ebenfalls ab Januar des kommenden Jahres soll eine Hofstelle an der Motzfeldstraße in Pfalzdorf für Familien mit Kindern, insgesamt 20 Menschen, zur Verfügung stehen. Die Stadt Goch hat die Immobilie gekauft und baut den Bauernhof derzeit um.

Turnhallen in Pfalzdorf und Nierswalde könnten zu Notunterkünften werden

Zudem wird sie zunächst ein oder zwei leerstehende Gebäude in der ehemaligen britischen Siedlung an der Moyländer Straße ertüchtigen, um einen Kostenrahmen abstecken zu können. In den insgesamt 20 großen Einfamilienhäuser und Doppelhäuser sei zwar eine Menge Nacharbeit erforderlich, so Jansen. Es werde sich jedoch in jedem Fall lohnen.

„Wenn sich die Zahlen aber weiterhin wie derzeit entwickeln, werden wir über die Nutzung von Turnhallen nicht herum kommen“, sagte Wolfgang Jansen. Bislang konnte die Stadt mit Blick auf den Schulbetrieb und Vereinssport diesen unpopulären Schritt vermeiden, ist jetzt aber in eine Vorplanung eingestiegen. Die Verwaltung schlägt vor, Geflüchtete im Fall der Fälle in der Turnhalle der ehemaligen St.-Martin-Hauptschule in Pfalzdorf und in der Turnhalle in Nierswalde unterzubringen. „Das ist unser Notnagel“, meinte der Leiter des städtischen Vermögensbetriebs und betonte, dass die Turnhallen nur möglichst kurz gesperrt werden sollen.

Kosten für 2024 werden mit 1,6 Millionen kalkuliert

Für das laufende Jahr rechnete Bettina Gansen bislang mit 2,1 Millionen Euro, die die Stadt Goch für Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten aufbringen muss. Knapp eine Million Euro Unterstützung gibt es nun von Bund und Land. „Ein guter finanzieller Schub“, kommentierte die Kämmerin, die im jüngst eingebrachten Haushalt 2024 mit Kosten in Höhe von weiteren 1,6 Millionen Euro kalkuliert.

>> So funktioniert die Integrationsarbeit der Stadt Goch

Drei Mitarbeiterinnen mit unterschiedlichem Stundenumfang leisten für die Stadt Goch direkte Integrationsarbeit. „Es geht darum, den Menschen konkret zu helfen, sich in den Strukturen zurecht zu finden und der Integration dabei ein menschliches Gesicht zu geben“, sagte Dr. Stephan Mann, Leiter des Fachbereichs Kultur & Integration. „Die Kolleginnen sind sehr häufig vor Ort und schaffen insbesondere für die Kinder auch Angebote im Kreativbereich und zur Unterhaltung.“