Kleve/Kranenburg. Behörden kontrollierten in Kleve und Kranenburg 18 Sammelunterkünfte für Leiharbeiter. Warum viele Wohnungen direkt geschlossen wurden.
Bei einer grenzübergreifenden Razzia in Kleve und Kranenburg am Samstag und Sonntag, 4. und 5. November, ist die NRW-Landesregierung erneut mit nordrhein-westfälischen und niederländischen Behörden gegen ausbeuterische Leiharbeitsfirmen vorgegangen. Ziel der großangelegten Kontrolle war es, den Schutz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern vor ausbeuterischer Unterbringung sicherzustellen sowie illegale Strukturen aufzudecken.
Wie das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung sowie das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales am Sonntagnachmittag mitteilten, wurden in Kleve und Kranenburg insgesamt 18 Sammelunterkünfte für Beschäftigte in der Logistik- und Verpackungsindustrie sowie Fleischindustrie kontrolliert und verschiedenste Verstöße festgestellt: angefangen bei der Missachtung von Melderechtsvorschriften und Brandschutzregeln bis hin zum Verdacht von Mietwucher.
17 Wohnungen wurden direkt geschlossen
Bei den Kontrollen der Unterkünfte fanden die Ordnungskräfte in alleine 17 Wohnungen der kontrollierten Sammelunterkünfte leib- und lebensgefährdende Zustände, weshalb sie direkt geschlossen wurden. „Dies umfasste unter anderem offene Stromleitungen, nicht isolierte Stromverteiler, fehlende Brandmelder und Feuerlöscher, Ausfall der Wasserversorgung, defekte Sanitäranlagen und Ausfall der Zentralheizung. Die Arbeitgeber wurden verpflichtet, rund 75 betroffenen Leiharbeitnehmerinnen und -nehmer in sichere und angemessene Wohnungen unterzubringen“, heißt es in einer Pressemitteilung der beiden Ministerien.
Auch in weiteren der kontrollierten Sammelunterkünfte seien erhebliche Missstände gefunden worden. Dies habe unter anderem die unzulässige Nutzung von Dachgeschossen als Schlafstelle ohne Rettungswege und Brandschutzvorkehrungen umfasst. „Ein Teil der kontrollierten Sammelunterkünfte werden bauordnungsrechtlich zudem unzulässig genutzt, weshalb kurzfristig Nutzungsuntersagungen ausgesprochen werden.“
180 rumänische und polnische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Insgesamt waren rund 180 rumänische und polnische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Leiharbeitsfirmen in diesen Unterkünften untergebracht. „Die meisten wurden willkürlich, ohne sich zu kennen, einquartiert, abgeschottet und über ihre Mieterrechte in Unkenntnis gelassen“, so die Ministerien. Die festgestellten Rechtsverstöße sollen nun ordnungsrechtlich geahndet werden. Eklatante Verstöße gegen das Arbeitsschutzrecht (Mindestlohn, Arbeitszeiten, Kündigungsschutz) würden die niederländischen Behörden zusätzlich ahnden. Dort, wo es einen Anfangsverdacht von Steuerstraftaten gibt, würden die Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet.
Aufgrund der Zusammenarbeit mit der European Labour Authority konnten die Behörden auf die Mithilfe des polnischen und rumänischen Arbeitsschutzes bauen. Die Kontrollaktion wurde vom NRW-Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung initiiert und koordiniert und in Zusammenarbeit mit der Arbeitsschutzverwaltung durchgeführt. Zuvor hatte es bereits vier großangelegte Kontrollaktionen im deutsch-niederländischen Grenzgebiet – unter anderem in Goch und Emmerich – gegeben.
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Ina Scharrenbach: „Wir lassen nicht locker und bleiben weiter dran“
„Im Land Nordrhein-Westfalen werden keine ausbeuterischen Arbeits- und Wohnverhältnisse geduldet: Mit der erneuten Kontrollaktion im Kreis Kleve ist es gelungen, rund 75 betroffene Leiharbeitnehmer in sicheren und angemessenen Wohnungen unterzubringen. Zum Teil wurden leib- und lebensgefährdende Zustände aufgedeckt, weshalb sie direkt geschlossen wurden“, stellte Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung fest.
Mit dem grenzübergreifenden Netzwerk habe die NRW-Landesregierung den Kommunen ein starkes Werkzeug gegeben, um schlagkräftig gegen menschenunwürdige Unterbringungen von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern vorzugehen. „Nur so kann auf Dauer ausbeuterischen Vermietern und Arbeitgebern das menschenfeindliche Handwerk gelegt werden. Wir lassen nicht locker und bleiben weiter dran – Hand in Hand mit den Kommunen“, kündigte Scharrenbach an.
Ihr Kollege Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit und Soziales, stellte fest, dass der nordrhein-westfälische Arbeitsschutz Leiharbeitsfirmen im Fokus habe, „die ihre Beschäftigten durch menschenunwürdige Unterkünfte bei extrem hohen Mieten als Arbeitskraft ausbeuten. Gleich wo die Firmen ihren Sitz haben, ob in Deutschland, den Niederlanden oder in Polen, die Unterkünfte für Arbeitskräfte müssen den geltenden Arbeitsschutzbestimmungen entsprechen. Dafür werden wir weiterhin sorgen. Mit der konsequenten Überwachung der Arbeitsschutzbestimmungen in Unterkünften und der Anhebung des Kontrolldrucks sorgen wir dafür, dass ausbeuterische Strukturen beendet werden.“
Das sagen der Landrat und die Bürgermeister
Für Christoph Gerwers, Landrat des Kreises Kleve, sendet die Fortsetzung der gemeinsamen Kontrollen „ein klares Signal an die Drahtzieher der organisierten Ausbeutung von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern. Unwürdige Wohnverhältnisse müssen beendet werden. Wir wollen vernünftige, angemessene und menschenwürdige Unterkünfte sehen.“
Wolfgang Gebing, Bürgermeister der Stadt Kleve: „Mit der gemeinsamen Kontrollaktion machen wir deutlich, dass es in Kleve keinen Platz für menschenunwürdige Unterbringungsverhältnisse gibt. Auch künftig werden wir weiterhin entschlossen für die Würde und Sicherheit aller hier lebenden Menschen eintreten. Mein Dank gilt dem Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen für die Koordinierung der Kontrollaktion und allen beteiligten Einsatzkräften und Behörden für die engagierte und gute Zusammenarbeit, die maßgeblich zum Erfolg der Maßnahme beigetragen hat.“
Auch Ferdi Böhmer, Bürgermeister der Gemeinde Kranenburg, bedankte sich „bei allen Beteiligten der verschiedenen Behörden für diesen außergewöhnlichen Einsatz. Mit dieser Kontrollaktion helfen wir den Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern und sorgen damit für gute Wohnverhältnisse. Auch unsere Bürgerinnen und Bürger haben Gewissheit, dass wir uns gemeinsam mit allen Behörden der Problematik stellen.“
Europäische Arbeitsbehörde: Arbeitsmobilität in der EU fairer gestalten
Cosmin Boiangiu, Exekutivdirektor der Europäischen Arbeitsbehörde (ELA): „Einige Unternehmen versuchen, sich den Kontrollen der Behörden eines EU-Mitgliedstaats zu entziehen, indem sie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jenseits der Grenze in einem anderen EU-Land unterbringen, allerdings unter inakzeptablen Bedingungen. Durch grenzüberschreitende gemeinsame Kontrollen, die von den nationalen Behörden und der Europäischen Arbeitsbehörde ELA organisiert werden, kann jedoch gegen solche grenzüberschreitenden Verstöße gegen die Arbeitnehmerrechte vorgegangen und die Arbeitsmobilität in der EU fairer gestaltet werden.“