Berlin. FDP-Generalsekretär Marco Buschmann gibt Olaf Scholz die Schuld am Ampel-Aus – und sagt, wann er das „D-Day“-Papier zum ersten Mal sah.
Seine Mission könnte schwieriger kaum sein: Marco Buschmann soll als Wahlkampfmanager die FDP wieder in den Bundestag führen. Im Interview mit unserer Redaktion sagt der frühere Justizminister, wann sich seine Partei zum Ausstieg aus der Koalition entschlossen hat.
Herr Buschmann, bereuen Sie schon, dass Sie die Ampel gesprengt haben?
Marco Buschmann: Der Bundeskanzler hat mit Christian Lindner den Vorsitzenden einer koalitionstragenden Partei entlassen und damit die Koalition beendet. Wenn also jemand die Ampel gesprengt hat, dann er. Die Koalition ist gescheitert, weil sie nicht in der Lage war, die Schicksalsfrage für unser Land anzugehen: die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, die die Grundlage unseres Wohlstandes und für gut bezahlte Arbeitsplätze ist. Ein Land ohne Wirtschaftswachstum ist ein trauriger und trostloser Ort. Eine Gesellschaft voller Abstiegsängste verliert neben ihrem Wohlstand auch ihre Offenheit und Toleranz. Wir konnten nicht weiter mit ansehen, wie Deutschland schleichend verarmt.
Die FDP hat seit dem Ampel-Aus massiv an Glaubwürdigkeit verloren, kämpft um ihr Überleben …
Buschmann: Mir persönlich tut es leid, dass der Eindruck entstanden ist, es sei mehr um Egos und Taktik als um das Beste für unser Land gegangen. Ich kann aber versichern, dass es das war, was im Mittelpunkt steht – das Beste für unser Land erreichen. Christian Lindner hatte konstruktive Vorschläge vorgelegt, wie wir den Wohlstand unseres Landes sichern. Viele Ökonomen, Wirtschaftsverbände und Unternehmen haben diese Vorschläge ausdrücklich befürwortet. Leider waren die Koalitionspartner aber nicht im Ansatz bereit, darüber zu beraten.
Moment! Die FDP hat den Koalitionsbruch von langer Hand geplant.
Buschmann: Klar ist doch: Mit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts vor gut einem Jahr hatten die Konflikte in der Koalition dramatisch zugenommen. Seitdem war nicht mehr auszuschließen, dass die Ampel vor dem regulären Ende der Legislaturperiode zerbricht. Viele Journalisten haben das immer wieder prognostiziert. Auch wir haben deshalb verschiedene Szenarien abgewogen. Das ist ein Gebot von Professionalität und bestreitet auch niemand. Wir haben kein Geheimnis daraus gemacht, dass wir bereit waren, die Koalition zu verlassen, wenn wir für keine bessere Politik sorgen können. Wie eine bessere Wirtschaftspolitik aussieht, haben wir konkret beschrieben. Nun kommt es zu vielen Ablenkungsmanövern, um die inhaltliche Debatte nicht führen zu müssen. Genau das aber ist nötig.
Der FDP hat – unter Verwendung von Kriegsrhetorik – ein Konzept für den Koalitionsbruch geschrieben. Wann haben Sie dieses „D-Day“-Papier zum ersten Mal gesehen?
Buschmann: Ich habe dieses interne Arbeitspapier erstmalig gesehen, als es die FDP selbst veröffentlicht hat. Das Papier ist vom damaligen Bundesgeschäftsführer verfasst worden, der inzwischen zurückgetreten ist. Ich habe mich persönlich mit ihm zu dem Vorgang ausgetauscht. Er hat mir versichert, dass er das Papier für sich selbst als Aufgabenliste für den Fall der Fälle angefertigt hat. In keiner politischen Entscheiderrunde, an der ich teilgenommen habe, ist es präsentiert worden. Wir haben über Szenarien gesprochen, aber keines davon hieß „D-Day“.
Das Wort „D-Day“ fiel in keiner Besprechung?
Buschmann: Ich kann nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass nicht in irgendeiner Runde der letzten Monate irgendjemand einmal einen solchen Begriff in den Raum geworfen hat. Ohne etwas kleinreden zu wollen: Solche Metaphern werden auch von anderen Politikern verwendet. Denken Sie etwa an die Bazooka, also einen Raketenwerfer, von Olaf Scholz. Oder werfen Sie einen Blick in die Biografie von Angela Merkel: Dort spricht sie von einer offenen Feldschlacht zwischen der CDU/CSU und der Schröder-Regierung. Man muss diese Begriffe nicht mögen, aber man muss auch menschliche Maßstäbe anlegen, wenn ein Mitarbeiter sich in seinen persönlichen Aufzeichnungen dieser Begriffe bedient.
War der Verbleib in der Koalition für die FDP eine ernsthafte Option?
Buschmann: Wir haben Ende September in Potsdam vier Szenarien besprochen. Zwei davon haben sich damit beschäftigt, wie es in der Koalition weitergehen kann.
Wie lange war die Frage, ob Sie in der Koalition bleiben, offen?
Buschmann: Am Sonntag vor dem Koalitionsausschuss haben wir klargemacht, dass es eine Richtungsentscheidung für unser Land geben muss. Christian Lindner hatte dem Bundeskanzler an diesem Sonntag den Vorschlag gemacht: Entweder kommt es zu einer besseren Wirtschaftspolitik und wir machen das, was vorher schon Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 gelungen ist: nämlich Deutschland vom kranken Mann Europas wieder zur Wachstumslokomotive zu machen. Oder aber wir beenden die Koalition gemeinsam in einem geordneten Verfahren.
Sie konnten nicht annehmen, dass SPD und Grüne von einem Tag auf den anderen einer 180-Grad-Wende in der Ampel-Politik zustimmen.
Buschmann: Warum eigentlich nicht? Wenn es das ist, was das Land jetzt braucht, wäre es meiner Ansicht nach die Pflicht einer Regierung, das Nötige zu tun. Die weit überwiegende Mehrheit der Ökonomen und so gut wie alle Wirtschaftsverbände und Unternehmen haben unsere Vorschläge ausdrücklich begrüßt.
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Sind Berichte falsch, wonach Lindner einen Plan zum Koalitionsbruch in Auftrag gegeben hat?
Buschmann: Richtig ist, dass es in der FDP-Führung die Bereitschaft gab, die Koalition zu beenden, wenn es nicht zu einer besseren Politik für unser Land kommt. Darauf musste sich auch die Bundesgeschäftsstelle vorbereiten. Ich war selbst schon einmal Bundesgeschäftsführer. Christian Lindner gewährt seinen Führungskräften viel Entscheidungsfreiheit. Ich hätte mich auch nie getraut, ein so unausgegorenes Halbfertigprodukt wie dieses interne Arbeitspapier, über das nun so viel gesprochen wird, einem Bundesvorsitzenden vorzulegen.
Der Alt-Liberale Gerhart Baum fordert einen Neuanfang noch vor Weihnachten – ‚ob mit oder ohne Christian Lindner‘. Ist Lindner an der Parteispitze alternativlos?
Buschmann: Kein Mensch ist unersetzbar, aber: Christian Lindner ist ein sehr starker Vorsitzender mit einer hohen Integrationskraft nach innen. Er ist ein exzellenter Redner und sehr erfolgreicher Wahlkämpfer. Christian Lindner steht wie kaum ein anderer für das, was das Land jetzt braucht: eine wirtschaftliche Erneuerung.
Ihnen kommt – nach dem Rücktritt von Bijan Djir-Sarai – die Aufgabe des Wahlkampfmanagers zu. Wie wollen Sie die FDP im Bundestag halten?
Buschmann: Aus meiner Sicht werden vor allem drei Dinge im Wahlkampf entscheidend sein. Erstens: Wir müssen Deutschland wirtschaftlich erneuern. Die FDP ist eine Partei der ökonomischen Vernunft. Sie hat das Know-how, wirtschaftliche Reformen durchzuführen – und wird genau dafür gebraucht. Zweitens: Wir brauchen eine neue Debattenkultur. Sie muss dem Andersdenkenden mehr Raum lassen, seine Argumente vorzutragen, ohne sofort in eine Ecke gedrängt zu werden. Es muss auf das beste Argument ankommen, nicht auf das lauteste Geschrei. Und drittens: Wir müssen die Migration besser steuern und kontrollieren. Dazu gehört auch eine Perspektive für die syrischen Flüchtlinge, nach dem Sturz des Assad-Regimes in ihre Heimat zurückzukehren. Diese Perspektive aktiv mit den neuen Machthabern zu gestalten, sollte eine Top-Priorität deutscher Außenpolitik sein.
Lassen Sie uns den ersten Punkt vertiefen, die Wirtschaft. Welche Idee hat die FDP, um die siechende Stahlindustrie zu retten?
Buschmann: Als Mensch aus dem Ruhrgebiet weiß ich eines: Das Versprechen, wirtschaftlichen Wohlstand durch Subventionen dauerhaft zu bewahren, ist eine Lüge. Das mussten die Menschen im Ruhrgebiet bei der Kohle schmerzvoll erfahren. Der Ruhrbergbau hing am Tropf der Subventionen und ging dennoch unter. Deshalb müssen wir Geschäftsmodelle entwickeln, die wettbewerbsfähig sind.
Wie soll grüner – also klimafreundlich produzierter – Stahl aus Deutschland ohne anfängliche Subventionen konkurrenzfähig werden?
Buschmann: Bevor wir über milliardenschwere Subventionen reden, sollten wir an die schlechten Standortbedingungen ran. Denn darunter leiden insbesondere die energieintensiven Industrien wie die Stahlindustrie. Was es braucht: niedrigere Steuern, weniger Bürokratie und geringere Energiepreise. Gerade beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, die für grünen Stahl gebraucht wird, müssen wir die vielen bürokratischen Hürden aus dem Weg räumen.
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Wie wollen Sie verhindern, dass Stahlunternehmen ins Ausland abwandern?
Buschmann: Die Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland ist dafür der wichtigste Hebel. Wenn der Bundeskanzler europäische Strafzölle auf chinesischen Stahl ins Spiel bringt, ignoriert er, dass Peking Gegenmaßnahmen ergreifen kann, die eine Exportnation wie Deutschland besonders hart treffen können. Eine Zollspirale ist das Letzte, was unser Land jetzt braucht. Protektionismus ist Gift für eine Exportnation wie Deutschland. Stattdessen sollten wir Handelshemmnisse abbauen und neue Freihandelsabkommen schließen. Auch ein neuer Anlauf für ein Freihandelsabkommen mit den USA, unserem wichtigsten Handelspartner außerhalb der EU, ist nötig.
Scholz schließt einen Staatseinstieg bei Thyssenkrupp Stahl nicht aus.
Buschmann: Das zeigt, wie konzeptionslos die Wirtschaftspolitik dieses Bundeskanzlers ist. Erst versucht er, Symptome mit Subventionen zu kurieren. Das hat dazu beigetragen, dass das Unternehmen in eine betriebswirtschaftliche Sackgasse geraten ist. Nun will er dieses Ergebnis auch noch unter Umständen verstaatlichen. Hier droht der Weg von der sozialen Marktwirtschaft zur zentralen Planwirtschaft. Die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass das nicht in Erfolg, sondern in Not und Elend endet.
Lindner hat Elon Musk und Javier Milei als Vorbilder genannt. Was soll sich Deutschland von dem rechtslibertären Tesla-Chef und dem Anarcho-Kapitalisten an der argentinischen Staatsspitze abschauen? Staatsabbau mit der Kettensäge?
Buschmann: Christian Lindner hat längst erklärt, dass es nicht darum geht, alles zu kopieren, was Musk und Milei sagen.
Sondern?
Buschmann: Wir Europäer sollten die geistige Offenheit haben, in die Welt zu schauen. Wenn dort Dinge funktionieren oder Probleme erfolgreich gelöst werden, sollten wir die Bereitschaft haben, daraus zu lernen. Herr Milei hat ein abgewirtschaftetes Land vorgefunden und nun Probleme wie Inflation und staatliche Geldnot deutlich eingedämmt. Herr Musk ist der erfolgreichste Unternehmer der Gegenwart mit einer schillernden Persönlichkeit. Man kann vielleicht auch etwas von Menschen lernen, die einem nicht in jedem Punkt sympathisch sind.
Was genau wollen Sie von Musk und Milei lernen?
Buschmann: Wir müssen bei unseren Staatsausgaben noch viel stärker Prioritäten setzen. Die Zeiten, in denen Staatsausgaben mit Schulden ausgeweitet wurden, sind vorbei. Auch beim Thema Technologieoffenheit können wir noch etwas lernen.
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Herr Buschmann, welche Pläne haben Sie für die Zeit nach der Wahl?
Buschmann: Der Kalender ist freigeräumt für Koalitionsverhandlungen mit der Union.
Und wenn es schiefgeht, die FDP den Einzug in den Bundestag verfehlt? Machen Sie dann wieder mehr Musik?
Buschmann: Ich bin davon überzeugt, dass wir als Freie Demokraten bei der Bundestagswahl erfolgreich sein werden. Dabei geht es nicht um uns. Es geht um unser Land.
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