Berlin. Schon ab nächstem Jahr soll Wasserstoff fließen. Die Opposition beklagt eine „krasse Schieflage“ bei den Regionen, die angebunden sind.

Deutschland bekommt Pipelines für Wasserstoff. Am Dienstag genehmigte die Bundesnetzagentur offiziell Pläne für ein Kernnetz, das den Energieträger durch das Land transportieren und so die Industrie einer klimaneutralen Produktion näher bringen soll. Klimapolitisch sei das „ein großer Tag“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

Insgesamt 9040 Kilometer lang soll das Netz werden, alle 16 Bundesländer werden daran angebunden sein. Die jetzt genehmigte Fassung des Netzes ist damit rund 600 Kilometer kürzer als die im Sommer von den Fernnetzbetreibern beantragte Version.

Wasserstoff: Kernnetz soll bis 2032 Stück für Stück realisiert

60 Prozent dieser Leitungen sollen aus umgewidmeten Gasleitungen entstehen, 40 Prozent des Netzes sollen neu gebaut werden. Schon im kommenden Jahr soll durch die ersten Leitungen Wasserstoff fließen, Zieldatum für die Fertigstellung des Kernnetzes ist 2032.

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Dieses Kernnetz, betonte Habeck bei der Vorstellung, sei nur der Anfang. „Das ist die Autobahn“, sagte er. Daran anschließen sollen sich, ähnlich wie Landstraßen, kleinere Leitungen, die den Wasserstoff zu den Abnehmern in der Industrie bringen. Ein entsprechender Netzentwicklungsplan dafür soll bis 2026 fertig sein.

Die Zeit drängt: Grüner Wasserstoff gilt als entscheidender Baustein für den Umbau der Wirtschaft hin zu Klimaneutralität. Die Gaskraftwerke, die gebaut werden sollen, um in Zeiten mit zu wenig erneuerbarem Strom einzuspringen, sollen perspektivisch mit grünem Wasserstoff laufen. Und für manche Branchen, etwa die Stahlindustrie, die ihre Prozesse nicht einfach auf den Betrieb mit grünem Strom umstellen kann, ist grüner Wasserstoff der einzige absehbare Weg, künftig klimafreundlich zu produzieren. Der Thinktank Agora Energiewende geht davon aus, dass 2045 – wenn Deutschland seiner eigenen Zielsetzung nach klimaneutral sein will – 268 TWh Wasserstoff im Jahr benötigt werden.

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Doch davon ist bislang wenig zu sehen. Ohne die nötige Transportinfrastruktur und ohne große Mengen Wasserstoff auf dem Markt konnten Firmen ihre Produktion noch nicht umstellen. Ohne Firmen aber, die regelmäßig Wasserstoff abnehmen, ist es für Produzenten schwierig, ein funktionierendes Geschäftsmodell auf die Beine zu stellen.

Videografik: Grüner Wasserstoff - Energiequelle der Zukunft

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    Die Bundesregierung hofft, dass das Wasserstoff-Kernnetz dazu beiträgt, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Neben grünem Wasserstoff, der aus erneuerbarem Strom in Deutschland produziert werden soll, setzt sie dafür auch auf Importe. So sind für das kommende Netz eine Reihe von internationalen Anschlusspunkten geplant, vor allem nach Norden und Westen, aber auch nach Süden. Die europäische Perspektive sei wichtig gewesen, sagte Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur am Dienstag. „Die Bundesregierung hat ein Startsignal gesetzt“, Deutschland durchbreche damit das Henne-Ei-Problem.

    Dieses Wasserstoff-Kernnetz hat die Bundesnetzagentur am Dienstag genehmigt.
    Dieses Wasserstoff-Kernnetz hat die Bundesnetzagentur am Dienstag genehmigt.

    Andreas Jung (CDU), Energie- und Klimaexperte der Unionsfraktion, begrüßte die Genehmigung des Netzes als grundsätzlich wichtigen Schritt auf dem Weg in Richtung Klimaneutralität. Die Verteilung der geplanten Leitungen aber kritisierte er scharf. Es gebe eine „krasse Nord-Süd-Schieflage“, sagte Jung.

    Tatsächlich ist das Netz in Baden-Württemberg und Bayern deutlich dünner als etwa in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Teilen Ostdeutschlands. Das werde der wirtschaftlichen Bedeutung Süddeutschlands nicht gerecht, sagte Jung.

    Equinor aus Norwegen wollte blauen Wasserstoff liefern, sagte diese Pläne aber zuletzt ab

    Das Wirtschaftsministerium begründet den Unterschied damit, dass im Norden – wegen der besseren Verfügbarkeit grünen Stroms – mehr Erzeuger von grünem Wasserstoff zu erwarten sind, und zudem mehr Importpunkte aus Nachbarländern. „Daher muss ausreichend Transportkapazität vorhanden sein, damit der erzeugte und importierte Wasserstoff vom Nordwesten in die anderen Teile Deutschlands transportiert werden kann und dort ankommt, wo er gebraucht wird“, heißt es dazu auf der Website des Ministeriums.

    Jung verwies darauf, dass das norwegische Unternehmen Equinor zuletzt seine Pläne für den Export von Wasserstoff nach Deutschland gestoppt hatte. Equinor hatte geplant, per Pipeline blauen Wasserstoff von Norwegen nach Deutschland zu exportieren, vor wenigen Wochen aber aus Kostengründen Abstand genommen von diesem Vorhaben. Blauer Wasserstoff wird – anders als grüner – nicht per Elektrolyse aus erneuerbarem Strom hergestellt, sondern aus Erdgas. Beim Produktionsprozess entstehendes CO₂ wird dabei abgespalten.

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    Habeck verteidigte die jetzt geplante Ausgestaltung des Netzes auch mit einem Hinweis auf die Kosten: „Es ist hier nicht Schlaraffenland ausgebrochen“, sagte er am Dienstag.

    Denn das Netz ist ein teures Projekt: Rund 19 Milliarden Euro soll es kosten. Finanziert werden soll das grundsätzlich – wie bei Strom und Erdgas auch – über Netzentgelte, die die Netzbetreiber erheben. Damit diese Entgelte aber zu Beginn, wenn es noch wenige Abnehmer für Wasserstoff gibt, nicht zu hoch werden, sind sie gedeckelt. Die Differenz zwischen Einnahmen und Investitionskosten sollen die Betreiber über ein Amortisationskonto ausgleichen können. In späteren Jahren, wenn es mehr Kunden gibt und die Investitionskosten sinken, soll sich dieser Mechanismus dann umkehren. 2055, so die Erwartung im Bundeswirtschaftsministerium, soll sich das Netz selbst finanziert haben. Eventuelle Restkosten zu diesem Zeitpunkt soll der Staat übernehmen.