Berlin. Kurz vor Weihnachten liegen immer mehr Wahlprogramme vor. Doch die schönen Versprechen kosten einen dreistelligen Milliardenbetrag.

Entlastungen bei Steuern und Energiekosten, mehr Geld in die Sozialkassen, neue Wirtschaftsförderung und Klimaprojekte: Gut zwei Monate vor der Bundestagswahl zeichnet sich ab, wie die Parteien bei den Wählern punkten wollen. Die Wahlprogramme, die fast alle Parteien zumindest als Entwurf vorgelegt haben, enthalten umfangreiche Ausgabeversprechen. Das Problem: Die vorweihnachtliche Wahlkampfbescherung würde Hunderte Milliarden Euro kosten. Die größten Pakete auf dem Gabentisch:

Steuern: Union und SPD sind in Spendierlaune

Die Sozialdemokraten wollen, dass 95 Prozent der Steuerzahlenden mehr Netto vom Brutto haben sollen. In welcher Weise genau – da bleibt die SPD eher vage. Konkret ist das Vorhaben, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von sieben auf fünf Prozent zu senken. Das dürfte für Einnahmeausfälle in der Staatskasse von gut fünf Milliarden Euro sorgen. Die Union will den Mehrwertsteuersatz für Speisen in der Gastronomie wieder von 19 Prozent auf sieben Prozent reduzieren und den Solidaritätszuschlag abschaffen.

Wahl Geschenke Parteien
Weihnachten ist auch die Zeit des Schenkens: Wie passend, dass die Parteien im Wahlkampf so einige Geschenke verteilen wollen. © Montage: fmg | iStock/PR(6)

Beide Vorhaben würden zu deutlichen Mindereinnahmen führen, so Stefan Bach, Steuerexperte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Bach rechnet in einem Posting auf X vor, dass eine Wiederabsenkung der Mehrwertsteuer auf Speisen in Restaurants gut 4,3 Milliarden Euro jährlich kosten würde, bei einem generellen Aus für den Soli würden sogar 12,5 Milliarden pro Jahr fehlen.

Auch die weiteren Steuerpläne der Union sind teuer: Die vorgeschlagenen Entlastungen bei der Einkommensteuer beziffert Bach auf 30,5 Milliarden Euro Mindereinnahmen für den Staat, geringere Unternehmenssteuern würden knapp 18 Milliarden Euro kosten und die Grunderwerbssteuerentlastungen für erstmaligen Erwerb von Wohneigentum rund 4,5 Milliarden Euro pro Jahr. Die AfD will die derzeit ausgesetzte Vermögenssteuer abschaffen, und auch die Erbschaftssteuer (Einnahmen 2023: 9,29 Milliarden Euro) soll ersatzlos entfallen.

Energie und Klima: Strompreis runter, E-Auto-Prämie rauf

Praktisch alle Parteien versprechen eine Senkung der Strompreise: Das soll überwiegend durch eine Reduzierung der Netzentgelte (bislang 5 bis 6 Milliarden Euro jährlich) oder auch der Stromsteuer (bislang rund 7 Milliarden Euro jährlich) geschehen. Kosten je nach Ausgestaltung: mehrere Milliarden, maximal 13 Milliarden Euro pro Jahr. Die Linke verspricht sozial gestaffelte Energiepreise mit günstigen Sockeltarifen – theoretisch finanziert durch einen Steuerzuschlag für „Reiche“. Geht die Rechnung nicht auf, muss der Staat hohe Milliardenbeträge draufzahlen.

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Viele Milliarden würde zudem das Klimageld kosten, das Grüne und Linke zum Ausgleich dafür zahlen wollen, dass Tanken und Heizen mit fossilen Brennstoffen wegen der  CO2-Abgabe stufenweise immer teurer wird. Nach den Plänen würden dafür die Staatseinnahmen aus dem C02-Preis (voriges Jahr 19 Milliarden Euro) an die Bürger zurückgegeben. Aber: Bislang wird dieses Geld für Klimaprojekte und die Strompreissubventionierung verwendet. Auch das Klimageld ist deshalb ein teures Milliardenversprechen. SPD und Grüne planen zudem neue Förderprogramme für den Kauf von E-Autos, die jährlich einen niedrigen Milliardenbetrag kosten dürften.

Sicherheit: 30 Milliarden mehr für die Bundeswehr

Es ist ein besonders kostspieliges Versprechen: Deutschland soll das Zwei-Prozent-Ziel der Nato auch dann einhalten, wenn 2027 das Bundeswehr-Sondervermögen aufgebraucht ist. Das bedeutet: Im Bundeshaushalt müssen danach 30 bis 40 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr lockergemacht werden – jährlich. Die Investition von zwei Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung für Verteidigung sagen Union („mindestens“), SPD, FDP und Grüne zu. Bei den Grünen ist dafür schon ein zweites Sondervermögen im Gespräch, sonst ist die Finanzierung eher kein Thema. Die AfD plädiert allgemein dafür, die Personalstärke der Bundeswehr zu erhöhen und die Ausrüstung zu modernisieren – Milliarden Euro kostet auch das. 

Bundeswehr-Panzer
Drei Kampfpanzer der Bundeswehr vom Typ Leopard 2A6 und ein Schützenpanzer vom Typ Puma stehen bei einer Übung im Gelände. Damit das Zwei-Prozent-Ziel eingehalten wird, wollen Union, SPD, FDP und Grüne viel Geld in die Bundeswehr geben. © DPA Images | Philipp Schulze

Rente: Für die Ruheständler ist nichts zu teuer

Mehr als jeder vierte Bewohner des Landes ist 60 Jahre oder älter. Rentner sowie Arbeitnehmer, die in absehbarer Zeit in den Ruhestand gehen werden, sind für alle Parteien also eine zentrale Zielgruppe. Das erklärt, warum in den Wahlprogrammen keine größeren Zumutungen für Rentner zu finden sind.

Die SPD erneuert ihr Versprechen, das Rentenniveau dauerhaft bei mindestens 48 Prozent zu stabilisieren. Das war bereits im Rentenpaket II vorgesehen, das wegen des Ampel-Aus aber nicht mehr kommt. Schon jetzt gehen jedes Jahr mehr als 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt an die Rentenkasse, das ist fast ein Viertel des Etats. Der Bundesrechnungshof schrieb im Oktober in einer Stellungnahme, dass durch die bislang geplante Reform bis 2045 mit zusätzlichen Belastungen in Höhe von 107 Milliarden Euro zu rechnen sei. Eine schrittweise Erhöhung der Beitragssätze hatte SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil ohnehin schon unterstellt – von derzeit 18,6 Prozent auf voraussichtlich 22,3 Prozent ab 2035.

Auch die Union verspricht, dass es keine Rentenkürzungen geben soll. „Unser Ziel: ein durch wirtschaftliches Wachstum garantiertes stabiles Rentenniveau und weiterhin steigende Renten“, heißt es im Wahlprogramm. Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz hofft also, dass eine bessere Konjunktur die Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung quasi in Luft auflöst. Dabei sollen die Beiträge stabil bleiben. Die Grünen wiederum planen für die Finanzierung der Rente einen „Bürgerfonds“. Er soll sich aus Darlehen sowie Eigenmitteln des Bundes speisen, in nachhaltige Unternehmen investieren und so maßgeblich dazu beitragen, „das Alterssicherungssystem gerechter und zukunftsfest zu machen“.

Olaf Scholz Blumen
Olaf Scholz hält einen Blumenstrauß in der Hand. Vor der Bundestagswahl versprechen die Parteien zwar keine Blumen, aber reichlich Wahlgeschenke. © IMAGO | Political-Moments

Wirtschaft: zehn Prozent auf alles

Die SPD will einen „Made in Germany“-Investitionsbonus für Zukunftsinvestitionen. „Jede“ Betriebsinvestition in Maschinen und Geräte soll mit zehn Prozent der Anschaffungssumme über eine Steuererstattung gefördert werden – ein Vorhaben das Milliarden kosten dürfte. Auch bei den Grünen findet sich die Idee im Wahlprogramm. Die Union will unter anderem die Agrardieselrückvergütung für Landwirte wieder einführen (Kosten 2023: rund 440 Millionen Euro). Die Ampel hatte beschlossen, den Bonus bis 2026 abzuschaffen.

Der Wirtschaftsforscher Clemens Fuest vom Ifo-Institut sieht die vielen Versprechen kritisch: „Die Parteien stellen in ihren Wahlprogrammen die Wohltaten heraus, die sie den Bürgern zukommen lassen wollen. Dass genau diese Bürger diese Wohltaten auch bezahlen müssen, wird weniger betont. Das passt zwar zur Weihnachtszeit, ist aber unrealistisch und deshalb auch nicht umsetzbar“, sagte Fuest gegenüber unserer Redaktion.

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