Berlin. Der Bundeskanzler setzt dem FDP-Finanzminister den Stuhl vor die Tür. Am Ende ging es um weitere Milliardenhilfen für die Ukraine.
Die Berliner Ampel-Koalition ist am Ende. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entlässt Finanzminister Christian Lindner (FDP). Zuvor waren alle Versuche gescheitert, im Koalitionsausschuss gemeinsam mit den Grünen den Streit über die Wirtschafts- und Finanzpolitik beizulegen. Dabei gab es zwischen Scholz und Lindner einen Dissens darüber, nach dem Sieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen erneut die Schuldenbremse auszusetzen und die Ukraine mit weiteren Milliardenhilfen im Kampf gegen Russland zu unterstützen.
Der Kanzler sagte am Abend zur Entlassung Lindners: „Ich sehe mich zu diesem Schritt gezwungen, um Schaden von unserem Land abzuwenden.“ Es gebe keine Vertrauensbasis mehr für eine weitere Zusammenarbeit. „Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert, zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“ So sei ernsthafte Regierungsarbeit nicht möglich. Er habe dem FDP-Chef noch am selben Tag ein umfassendes Paket für Wirtschaft, Jobs und eine verstärkte Unterstützung der Ukraine vorgeschlagen. Lindner habe das abgeleht.
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Scholz sagte, er wolle am 15. Januar im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und damit den Weg freimachen für Neuwahlen. Vorher wolle er noch das Gespräch mit Oppsitionsführer Friedrich Merz (CDU) suchen, um wichtige Entscheidung in Sachen Wirtschaft und Verteidigung durchzusetzen.
Nach Informationen dieser Redaktion wollte Scholz erreichen, dass zusätzliche Kredite zugunsten der Ukraine in Höhe von 15 Milliarden Euro aufgenommen werden. Lindner bestätigte am Abend, dass er das nicht gewollt und stattdessen darauf gedrungen habe, gemeinsam „geordnet und in Würde“ den Weg zu Neuwahlen zu gehen.
Vizekanzler Habeck: Ampel-Aus nach Trumps Wahlsieg „geradezu tragisch“
Lindner reagierte empört auf die Vorwürfe des Kanzlers: „Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er nicht die Kraft hat, diesem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen.“ SPD und Grüne seien nicht bereit gewesen, ernsthaft über die FDP-Vorschläge für mehr Wirtschaftswachstum zu beraten. Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte mit Blick auf den Wahlausgang in den USA, es sei „geradezu tragisch“, dass die Koalition an dem Tag zerbricht, an dem Deutschland in Europa Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit zeigen muss.
Die Ampel-Spitzen waren am Abend im Kanzleramt zusammengekommen, um einen Ausweg aus der langer Zeit schwelenden Koalitionskrise zu suchen. Es wurde allgemein erwartet, dass das Treffen den Charakter eines Showdowns annehmen würde – also sich hier entscheiden würde, ob die Koalition fortgesetzt wird oder nicht. Die FDP hatte zuletzt mehrfach deutlich gemacht, dass sie über eine Aufkündigung des Bündnisses mit SPD und Grünen nachdenkt. Dem kam Scholz nun mit dem Rauswurf Lindners zuvor.
Seit Tagen bereits steht es in der Berliner Ampelkoalition Spitz auf Knopf. SPD, Grüne und FDP fanden kaum noch einen gemeinsamen Nenner in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Auch mehrere Sechs-Augen-Gespräche von Scholz, Habeck und Lindner brachten in den vergangenen Tagen keine Annäherung. Die Zeit drängt, denn eigentlich muss der Bundeshaushalt 2025 verabschiedet werden.
Ampel-Streit: Die Liberalen wollten die „Wirtschaftswende“
Die Situation war vollkommen verfahren: Ende Oktober luden Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner am selben Tag zu zwei konkurrierenden Gipfeltreffen mit der Wirtschaft. Als Reaktion auf ein Impulspapier von Wirtschaftsminister Habeck, in dem dieser für einen schuldenfinanzierten Staatsfonds zur Unterstützung von Investitionen wirbt, ließ Lindner ein eigenes Papier verfassen, das Steuersenkungen, Sozialkürzungen sowie weniger Klimaschutz vorschlägt und gleichzeitig die Schuldenbremse verteidigt. Die bisherige Wirtschaftspolitik – also vorrangig die Habecks – sei gescheitert, lautet der Tenor des Lindner-Papiers.
Die Liberalen werben bereits seit Monaten für eine „Wirtschaftswende“ in Deutschland. Infolge der jüngsten Wahlniederlagen in den Ländern erhöhten sie in diesem Feld den Druck auf die Koalitionspartner immer weiter. Nach dem Wahl-Debakel in Brandenburg im September kündigte die FDP einen „Herbst der Entscheidung an“. Im Juli hatten Scholz, Habeck und Lindner einen Entwurf für einen Bundeshaushalt 2025 vorgestellt, wegen Zweifeln an der Finanzierbarkeit mussten sie diesen aber bereits im August wieder überarbeiten. Das war von viel öffentlichem Streit begleitet.
Eigentlich hat die Koalition auch zahlreiche Maßnahmen verabredet, die die Wirtschaft ankurbeln sollen. Dieses „Dynamisierungspaket“ ist aber noch längst nicht vollständig umgesetzt. Und angesichts der anhaltenden Konjunkturschwäche wurde in den vergangenen Wochen immer deutlicher, dass es nicht ausreichen dürfte: Anfang November musste Wirtschaftsminister Habeck die Konjunkturprognose der Bundesregierung nach unten korrigieren: Demnach wird die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 0,2 Prozent schrumpfen, Deutschland erlebt das zweite Rezessionsjahr in Folge. Das geht mit höheren Ausgaben für den Staat und die Sozialkassen und weniger Steuereinnahmen einher.
Über den Auseinandersetzungen der vergangenen Tage steht die Frage, ob Scholz noch gelingen wird, einen Bundeshaushalt für 2025 auf die Beine zu stellen – also für das letzte Jahr der laufenden Legislaturperiode. Die Zeit drängt, denn die so genannte Bereinigungssitzung des Bundestags-Haushaltsausschusses ist für den 14. November geplant.
US-Wahlen: Trumps Wahlsieg konnte die Koalition nicht befrieden
Der Koalitionsausschuss am Mittwoch stand unter dem Eindruck des Wahlsiegs von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen. SPD und Grüne hofften bis zuletzt, dass die Vorgänge zu einer Befriedung des Berliner Regierungsbündnisses beitragen können. Es sei jetzt „Zeit für Staatsverantwortung“, sagte Vizekanzler Habeck. „In dieser Situation muss Deutschland voll handlungsfähig sein.“ SPD-Chef Lars Klingbeil sagte, jetzt müssten alle ihre parteitaktischen Überlegungen über Bord werfen. Finanzminister Lindner hingegen meinte: „In der Europäischen Union, Nato und auch in Berlin müssen wir jetzt dringlicher denn je unsere wirtschafts- und sicherheitspolitischen Hausaufgaben machen.“
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