Oberhausen. Die Verbraucherschützer rätseln über das merkwürdige Verhalten von Stromkunden: Sie bleiben hartnäckig in der teuren Strom-Grundversorgung.
Es mag an dem Wort „Grundversorgung“ liegen, an eigener Bequemlichkeit oder an der Angst, plötzlich ohne Strom in der Wohnung mitten im Winter zu sitzen: Die Verbraucherschützer in NRW rätseln darüber, warum ausgerechnet sonst so preissensible Familien und Rentner darauf verzichten, ihren Stromtarif zu wechseln - obwohl sie mehrere hundert Euro im Jahr sparen könnten. „Vielleicht denken viele, die Grundversorgung sei etwas besonders Sicheres“, vermutet die Oberhausener Energieberaterin Martina Zbick. „Vielleicht liegt das an diesem Begriff.“
Jeder vierte Haushalt, also 25 Prozent der Wohnungsinhaber, beziehen nach Angaben der Bundesnetzagentur den Strom noch über die Grundversorgung ihres Stromanbieters. Grundversorger ist in Deutschland automatisch jedes Energieunternehmen, dass die Mehrheit der Einwohner mit Elektrizität beliefert. In Oberhausen ist das die zur Hälfte der Stadt und zur anderen Hälfte dem EON-Konzern gehörende Energieversorgung EVO.
Grundversorgungstarif liegt neun Cent je Kilowattstunde höher als der Sondertarif
Wer derzeit in der Grundversorgung steckt, zahlt deutlich mehr für die gleiche Menge an Elektrizität als derjenige, der einen Sondertarif des Energieanbieters wählt. Aus der Grundversorgung kann man praktisch jederzeit wechseln, beim Sondertarif liegt der Preis und die Vertragsdauer dagegen meist für ein Jahr fest, danach gilt eine Kündigungsfrist von einem Monat. „Im Prinzip gibt es keine entscheidenden Nachteile, aus der Grundversorgung herauszugehen und in einen Sondertarif zu wechseln“, urteilt die Oberhausener Energieberaterin Martina Zbick. „Wir empfehlen: Gehen Sie in den anderen Tarif, da kann man wirklich Geld sparen.“
„Wir empfehlen: Gehen Sie in den anderen Tarif, da kann man wirklich Geld sparen.“
Bei der EVO ist der Unterschied zwischen dem Preis einer Kilowattstunde Strom im Grundversorgungstarif und im Sondertarif „TOB-Strom“ mit neun Cent wirklich enorm. In der Grundversorgung zahlt man aktuell 39,08 Cent, im Sondertarif nur 30,61 Cent. Für 2700 Kilowattstunden zahlt man im Jahr 1225 Euro in der Grundversorgung (inklusive Zählergebühr) und 1020 Euro beim Tarif „TOB-Strom“. Damit ist die Grundversorgung satte 20 Prozent teurer als der Sondertarif.
Trotz vieler Berichte in verschiedenen Medien über die Preisunterschiede von Stromanbietern bemerkt Zbick in den Kundenberatungen immer wieder: „Viele möchten beim Strom nicht ihren bekannten und bewährten Anbieter wechseln. Sie wissen aber gar nicht, dass der gleiche Energieanbieter verschiedene Tarife hat, die man wählen kann.“
Christine Wallraf, Energiemarkt-Referentin der Verbraucherzentrale NRW, glaubt, dass die Vorsicht der Bürger, einen Stromtarif zu wechseln, auch an der erlebten Energiekrise mit explodierenden Preisen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 liegt. „In der Energiekrise war die Grundversorgung der sichere Anker, gerade die Preise für Neukunden sind durch die Decke gegangen.“ Derzeit seien aber häufiger die Grundversorger teurer als die möglichen Sondertarife. „Viele Kunden sind einfach zu bequem und haben sich nicht genug gekümmert.“
EVO-Grundversorgung kostet so viel wie die Preise im Schnitt aller NRW-Grundversorger
Die EVO-Preispolitik in der Grundversorgung ragt dabei nicht negativ heraus: Die Tarife in der Grundversorgung befinden sich mit knapp 40 Cent auf dem durchschnittlichen Niveau der Grundversorger in ganz NRW. Der aktuelle Sondertarif „TOB-Strom“ hält im Markt gut mit, es ist schwierig, billigere Strompreise für Oberhausener Bürger auf den üblichen Vergleichsportalen wie Verivox oder Check24 zu finden, wenn man die einmaligen Boni fairerweise herauslässt.
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Doch warum sehen sich die Energieversorger überhaupt gezwungen, so viel Geld für ihre Kunden im Grundversorgungstarif zu nehmen? Als Grundversorger hat die EVO eine Versorgungspflicht, muss alle Kunden im Stadtgebiet unabhängig von ihrer Bonität mit Elektrizität versorgen. Danach richtet sich auch die Einkaufspolitik von Strom auf den weltweiten Märkten aus.
„Versorgungssicherheit steht an erster Stelle“, schreibt EVO-Pressesprecherin Sina Sitzmann auf unsere Fragen. „Um diese Sicherheit zu gewährleisten, kauft die EVO die benötigten Energiemengen über einen längeren Zeitraum in Tranchen ein und bietet ihren Kundinnen und Kunden die Energie auf Basis eines durchschnittlichen Einkaufspreises über alle Tranchen.“
Automatisch bedeutet dies: Steigen die Preise, profitieren die Kunden davon, weil noch früher abgeschlossene Einkaufsverträge mit Billigpreisen vorhanden sind; sinken sie aber an den Börsen, dann sparen die Kunden erst viel später. „Der aktuelle Preisunterschied ist eine Momentaufnahme; es gab auch Phasen, in denen die Grundversorgung der günstigste angebotenen Tarif in Oberhausen war.“
Und offenbar müssen Oberhausener, die den derzeit noch so preiswerten Tarif „TOB-Strom“ der EVO haben möchten, schnell sein, denn: „Das aktuelle Festpreis-Angebot ist ein kurzfristiges Angebot, bei dem wir günstige Kaufgelegenheiten am Markt für unsere Kundinnen und Kunden realisieren konnten. Das Angebot ist aber begrenzt und wird im Falle von Marktänderungen automatisch angepasst. Zu diesen Konditionen können nicht so viele Kunden versorgt werden.“
EVO: Wir informieren unsere Kunden, dass sie in den Sondertarif wechseln können
Dass so viele Oberhausener die Grundversorgung wählen, liegt nach Beobachtung der hiesigen Verbraucherschützerin Zbick nicht an der mangelnden EVO-Beratung. „Die Hinweise auf den Sondertarif sind auf der Webseite sehr sichtbar, zudem weisen die EVO-Berater in Kundengesprächen in der Regel auf den Sondertarif hin.“
Auch die EVO sieht keine Lücken in ihrer Informations- und Werbepolitik. „Die EVO informiert ihre Kundinnen und Kunden selbstverständlich über die Möglichkeit, in einen Sondertarif zu wechseln“, gibt Sitzmann an. „Wir bewerben ausschließlich Sonderverträge. Auch auf der Internetseite der EVO wird nur auf die Sondertarife hingewiesen. Und im Rechnungsformular weisen wir unter der Rubrik ,Zufriedenheit ist Ihr gutes Recht‘ auf weitere aktuelle Tarife hin.“
Der Kundenservice der EVO ist persönlich an der Danziger Straße 31, telefonisch unter 0208-835-1000 (von 8 bis 16.30 Uhr), als Mail unter kundenservice@evo-energie.de und auf der Web-Seite https://www.evo-energie.de/ erreichbar. Termine können gebucht werden unter: www.evo-energie.de/kontakt.
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