Oberhausen. Für viele Hausbesitzer läuft es beim Abschied von Kohle, Gas und Öl auf zwei Alternativen für die neue Heizung hinaus: Wärmepumpe oder Fernwärme.
Wer das Treibhaus-Gas Kohlendioxid reduzieren will, benötigt für Hauseigentümer in Großstädten dringend die Heiztechnik Fernwärme. Hier wird Abwärme der Industrie und Müllverbrennungsanlagen klimafreundlich genutzt, um Wasser kochend heiß zu machen und in dick gedämmten Rohren zu den Wohnungen zu bringen - für warmes Heiz- und Duschwasser. Fernwärme ist also im Grunde ein billiges Abfallprodukt. Man kann damit große Wohnungsbestände schnell CO2-frei bekommen: Statt dass jeder kleine Hauseigentümer seine eigene Klimawende mit Handwerkern im Garten teuer erbastelt, können Profis zentral das Wasser erhitzen - etwa durch tiefe Erdbohrungen oder Großwärmepumpen.
Doch was machen die Anbieter von Fernwärme in den Großstädten? Sie erhöhen die Preise für die Fernwärme exorbitant, die schon bisher nie zu den günstigen Heiztechniken gehörte - nach Angaben der Verbraucherschützer beispielsweise von 3,79 Cent pro Kilowattstunde (kWh) auf 17,20 Cent (Eon, Hamburg), von 6,6 Cent Netto-Arbeitspreis pro kWh auf 25,5 Cent (Eon, Leverkusen). Damit wurde Fernwärme viereinhalbfach bzw. fast vierfach so teuer.
Und in Oberhausen? Die Energieversorgung Oberhausen (EVO) sah sich gezwungen, den Fernwärmepreis gleich dreimal zu erhöhen - im Herbst 2022, im Herbst 2023 sowie zuletzt im April 2024: von 8,6 Cent brutto je Kilowattstunde über 11,5 Cent und 15,92 Cent auf 18,9 Cent. Das ist kein so großer Preissprung wie bei den Eon-Extremfällen, aber für die 7000-EVO-Fernwärmekunden schon mehr als eine Verdoppelung der Heizkosten.
Wie kann das sein? Zwar wurde Energie, ob Strom, Gas oder Öl, durch den Ukraine-Krieg sehr teuer, aber die Abwärme eines Müllkraftwerkes ist durch die Verbrennung des Hausabfalls doch wie immer günstig vorhanden; ein Strom erzeugendes Gaskraftwerk wirft doch immer Wärme quasi als kostenloses Nebenbeiprodukt ab. Zudem sind die Infrastrukturkosten, das Rohrleitungsnetz, seit Jahren ähnlich hoch.
Preisexplosion der Fernwärme ruiniert das gute Image dieser Heiztechnik
Die Preisexplosion der Fernwärme hat das Image der umweltfreundlichen Heiztechnik jedenfalls bei Normalbürgern ruiniert. Bundesweit schalten Bürger Mietervereine ein, Verbraucherschutzverbände führen Musterklagen gegen den Eon-Konzern, sogar das Bundeskartellamt leitet Musterverfahren gegen sechs Stadtwerke und Fernwärmeversorger ein, weil sie in Verdacht stehen, die Preise ungerechtfertigt hoch angehoben zu haben.
Der Oberhausener Leser Michael Jarzembowski ist einer von den vielen enttäuschten Fernwärmekunden - er bedauert, sich jemals an die Fernwärme gebunden zu haben: „Die Klimaschutz-Argumente haben mich überzeugt, unser Haus Ende 2022 an das Oberhausener Fernwärmenetz anschließen zu lassen und im April 2023 unsere Gasheizung aufzugeben. Dies bedeutete für uns eine erhebliche Investition. In der Folgezeit musste ich lernen, was es bedeutet, sich in die Abhängigkeit von einem Monopolinhaber für Energielieferungen zu begeben: phänomenale Preissteigerungen mit einer völlig intransparenten Preisgestaltung.“
Wer sich für einen Fernwärmeanschluss entscheidet, muss in der Regel mit Kosten für die Erdarbeiten, für die Systeme im Keller zur Übergabe an Heizung und Duschwasser zwischen 15.000 und 30.000 Euro rechnen, selbst wenn die dicke Fernwärmeleitung bereits in der Straße verlegt ist. Er bindet sich zudem mehrere Jahre an diese Heiztechnik vertraglich - und kann im Gegensatz zu Gas und Strom zu keinem anderen Anbieter wechseln. Er liefert sich also einem Monopolisten aus.
Preiserhöhungsklausel der Fernwärme ist undurchschaubar
An jährlichen Kosten fällt ein Fixpreis in Höhe von mehreren hundert Euro für Netz und Anschluss-Service eines Einfamilienhauses an, hinzu kommt der Arbeitspreis für den tatsächlichen Energieverbrauch. Die Kalkulation dieses Arbeitspreises ist äußerst problematisch: Denn der richtet sich nach einer undurchschaubaren Preiserhöhungsklausel. Bei der EVO sieht die so aus: Arbeitspreis (AP) = AP0 x (0,5 x WP / WP0+ 0,2 x EP / EP0 + 0,2 x I / I0 + 0,1 xL /L0). In dieser fließen der an den Börsen gehandelte Gaspreis (zu 20 Prozent bei der EVO), die allgemeinen Wärmekosten aller Haushalte in Deutschland unabhängig von der Heizart ein (Wärmemarktindex). Hinzu kommen Preiselemente wie Personalkosten, Kapitalkosten, Wartung, Instandhaltung und die Kostenentwicklung von Investitionsgütern.
Der Rahmen für diese quasi automatisch funktionierende Preisanpassungsklausel ist auch vom Gesetzgeber vorgegeben in den Bedingungen für die Wärmeversorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV§24 Abs.4). Willkürlich anheben können die Monopolanbieter der Fernwärme ihre Preise also nicht. Irritierend für viele: Preisanpassungen vollziehen sich auch noch stark zeitverzögert, weil die statistischen Daten für die Klausel offiziell von Behörden erhoben werden müssen. So musste die EVO die Fernwärmepreise genau dann anheben, als die Gas-Börsenpreise schon längst wieder gesunken waren.
Der Fernwärmepreis richtet sich also maßgeblich nach den an den Börsen gehandelten Rohstoff- und Erdgaspreisen - auch bei der EVO. Dabei ist die Oberhausener Fernwärme durch die Koppelung an Kraftwerke und durch die Müllverbrennungswärme besonders umweltfreundlich erzeugt. Die EVO erhitzt ihr Wasser zu 23 Prozent aus erneuerbaren Energien und zu 48 Prozent durch Kraftwerke, die im Kern erst einmal Strom erzeugen. Sie hat deshalb einen bundesweit hervorragenden Primärenergiefaktor von 0,23 Prozent, der den Verbrauch an fossilen Brennstoffen beschreibt.
Fernwärmepreise orientieren sich erstaunlich stark an den Öl- und Gaspreisen
Die starke Orientierung der Fernwärmepreise an den Kosten für andere Heizarten wie Gas und Öl hat der Gesetzgeber früher in guter Absicht getätigt: Die Monopolisten sollten mit so einem virtuell erzeugten realistischen Wettbewerb zu anderen Heizarten eine nachvollziehbare Messlatte für ihre Preispolitik haben. In Zeiten, in denen die Bundesregierung gerade auch mithilfe der Fernwärme die Wärmewende im Gebäudesektor schaffen will, ist es so kurios wie korrekt, wenn die EVO beteuert: „Ein Zusammenhang zwischen dem niedrigen Primärenergiefaktor und der Preiskalkulation besteht nicht.“
Dass dies vollkommen aus der Zeit gefallen ist, hat auch das Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck erkannt. Es besteht Handlungsbedarf. Die Fernwärme-Verordnung soll reformiert werden. Der Grünen-Minister fordert eine andere Orientierung der Preise als an Gas und Öl, räumte aber im Februar 2024 im Bundestag ein: „Ich habe noch nicht das goldene Ei gefunden.“ Ein Fernwärmegipfel soll im Laufe des Jahres Lösungen erarbeiten. Schließlich sollen alle Anbieter ihre Fernwärme schon in 20 Jahren komplett klimaneutral erzeugen, da kann es nicht sein, dass sich die Fernwärmepreise nach den Gaspreisen richten.
Wie teuer kauft die EVO die Abwärme der Müllverbrennungsanlage ein?
Mit der Änderung der Preisanpassungsklausel ist es aber noch längst nicht getan. Für den möglichen Preisspielraum der EVO-Manager kommt es schon heute darauf an, mit welchen Preisen die EVO beispielsweise die Abwärme der Oberhausener Gemeinschafts-Müllverbrennungsanlage GMVA einkauft. Eine gesetzliche Regelung gibt es dazu nicht, letztendlich verhandeln darüber zwei Vertragspartner.
Die Einkaufspreise und deren Entwicklung werden nach Angaben der EVO langfristig vereinbart - und hierbei fließt auch die allgemeine Energiepreisentwicklung ein. „Auch diese Energie war und ist während der Energiekrise deutlich teurer als in Zeiten mit niedrigen Börsenpreisen für Energie.“
Und das kann man gerade auch an den Bilanzen der GMVA, zur Hälfte im Eigentum des Entsorgers Remondis, zur anderen Hälfte im Eigentum der Städte Duisburg und Oberhausen, ablesen: Die Einnahmen schnellten im Energiekrisenjahr 2022 um über 50 Prozent in die Höhe, der Gewinn explodierte regelrecht - er verdoppelt sich auf 33,6 Millionen Euro.
Zumindest hier sieht der EVO-Fernwärmekunde, wohin ein Teil seiner Gelder geflossen ist. Und die EVO? Die hat ihren Gewinn 2022 halbiert, von 11,4 auf 6,2 Millionen Euro - und holt sich jetzt im Nachhinein die teuer eingekaufte Wärme von ihren Kunden zurück.
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