Rees. Vor 30 Jahren traf letztmals ein bedrohliches Hochwasser den Niederrhein. Thementag in Rees gegen das Vergessen. Der Stand der Deichsanierung.
Dauerregen prasselte am Donnerstagnachmittag auf das Pflaster in der historischen Reeser Innenstadt. Der untere Weg der Rheinpromenade vom Krantor stromabwärts war bei einem Pegelstand von 5,10 Meter und steigender Tendenz für Fußgänger gesperrt. Aber ein Hochwasser bedeutete dies längst nicht.
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Dramatische Tage Ende Januar 1995
Sehr viel dramatischer war die Lage genau 30 Jahre zuvor, als der Rheinpegel am 31. Januar 1995 in Rees die bedrohliche Marke von 10,56 Meter erreichte – mehr als sieben Meter über dem normalen Mittelwasserstand. Am Vorabend war zum ersten und bislang einzigen Mal in der Geschichte des Kreises Kleve der Katastrophenfall ausgerufen worden, weil in den Niederlanden Deiche zu brechen drohten.
Das Schlimmste blieb glücklicherweise aus, weil die vollgesogenen niederrheinischen Deiche zwar weich wurden, aber letztlich hielten. „Wir haben am Niederrhein Glück gehabt“, stellte Harry Schulz auf der Bühne des Bürgerhauses in Rees fest. Wie groß erst die Sorgen und später die Erleichterung damals waren, kann sich eine ganze Generation jedoch kaum vorstellen. „Es wurden viele Menschen geboren, die ein Hochwasser wie 1995 gar nicht kennen“, sagte der Deichgräf des Deichverbandes Bislich-Landesgrenze.
Phänomen der Hochwasser-Demenz
Deswegen veranstalteten die niederrheinischen Hochwasserschützer einen „Thementag gegen die Hochwasser-Demenz“. „Die Gefahr scheint oft weit weg, wenn Jahre oder gar Jahrzehnte ohne größere Überschwemmungen vergehen. Hier setzt das Phänomen der Hochwasser-Demenz ein, das Vergessen der Katastrophen“, so Schulz.
Dagegen kämpfte der rechtsrheinische Deichverband mit informativen wie abwechslungsreichen Vorträgen, praktischen Tipps für Bürger und dem Technischen Hilfswerk aus Emmerich im Übungseinsatz eindrucksvoll in Rees an. „Wir dürfen nicht warten, bis das Wasser uns wieder mit voller Wucht trifft“, mahnte der Deichgräf. Die Hochwasserereignisse von 1993 und 1995 hätten gezeigt, wie schnell der Rhein zur Bedrohung werden könne.
Deichbrüche hätten katastrophale Folgen
Ein Animationsfilm über ein Deichbruchszenario bei Rees-Haffen führte den Hunderten Besuchern im gut gefüllten Bürgerhaus auf der großen Leinwand vor Augen, was solch eine Katastrophe für den unteren Niederrhein und die Nachbarn in den Niederlanden bedeuten würde: Bereits nach wenigen Stunden hätte das Wasser den Reeser Stadtkern komplett umschlossen und nach 25 Stunden die Niederlande erreicht. Evakuierungen wären bei dann überspülten Bundesstraßen und Autobahnen höchst aufwendig.
„Wir können uns die Kosten eines Deichbruchs nicht leisten – weder finanziell noch emotional.“
Angesichts von 100.000 betroffenen Menschen, vielen Toten und angenommenen Schäden in Höhe von 30 Milliarden Euro betonte Deichgräf Harry Schulz: „Wir können uns die Kosten eines Deichbruchs nicht leisten – weder finanziell noch emotional.“
Sven Plöger und Ressa
Den Abschluss des Thementags gegen die Hochwasser-Demenz gestaltete der aus dem TV bekannte Diplom-Meteorologe Sven Plöger mit einem Vortrag zum Klimawandel. In dem mehrstündigen Programm, das sich sowohl an ein Fachpublikum als auch an interessierte Laien richtete, zeigte unter anderem der Reeser Geschichtsverein Ressa historische Fernsehberichte zum Hochwasser. Jürgen Baetzen, Leiter des Krisenstabs Kreis Kleve, erklärte zudem anschaulich, wie sich die Arbeit der Krisenstäbe in den vergangenen 30 Jahren verändert hat.
Stand der Deichsanierung
Deshalb saniert der Deichverband von Bislich bis zur Landesgrenze auf einer Strecke von 55 Kilometern die Deiche, die nach dem Umbau breiter, höher und technisch neu aufgebaut sind. 74 Prozent dieser Mammutaufgabe sind bereits geschafft. Bei den fehlenden zwölf Kilometern möchte der Deichverband in diesem Jahr große Schritte vorankommen.
Das gilt besonders für den sanierungsbedürftigen 5,5 Kilometer langen Deich zwischen Rees und Bienen, für den es seit dem vergangenen Jahr den Planfeststellungsbeschluss gibt. Geschäftsführer Holger Friedrich konnte nun verkünden, dass sein Deichverband Bislich-Landesgrenze in dieser Woche den Zuwendungsbescheid in Höhe von 27,5 Millionen Euro von der Bezirksregierung Düsseldorf erhalten hat. „Für dieses Jahr ist der Deichbaustart geplant. Wir stehen alle in den Startlöchern“, sagte Friedrich.
Während der Deichverband 2025 für das 2,7 Kilometer lange Stück zwischen Haffen-Mehr und Rees-Bergswick sowie für die 1,2-Kilometer-Strecke in Bislich jeweils den Antrag auf Planfeststellung einreichen möchte, rechnet er für die 1,5 Kilometer in Bislich-Vahnum sogar mit der Planfeststellung.
Komplexe Genehmigungsverfahren
Voraussetzung dafür ist, dass die ohnehin langwierigen Genehmigungsverfahren nicht noch weiter durch Klagen oder andere Verzögerungen ausgebremst werden. „Wir verlieren viel Zeit. Es wird immer schwieriger, Dinge nach vorne zu bringen“, beklagte Holger Friedrich.
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Dies liege an zahlreichen Nutzungs- und Interessenkonflikten, mit denen sich der Hochwasserschutz konfrontiert sehe, analysierte der renommierte Wasserbau- und Wasserwirtschaftsexperte Prof. Holger Schüttrumpf von der RWTH Aachen. Etwa mit der Land- und Forstwirtschaft oder aber mit Städten, die gerne einen Radweg auf der Deichkrone sehen, um den Tourismus zu stärken.
NRW-Umweltminister Oliver Krischer appellierte, sich auf den Hochwasserschutz zu konzentrieren und die komplexen Verfahren nicht mit zu vielen anderen Fragen zu überfrachten. „Wir wollen deutlich schneller werden“, gelobte Regierungspräsident Thomas Schürmann als Kopf der Genehmigungsbehörde. Aber: „Die Planfeststellungsbeschlüsse müssen möglichst rechtssicher sein.“