Düsseldorf. Im neuen Marie-Burde-Haus in Düsseldorf wohnen 19 zuvor wohnungslose Frauen. Was das besondere ist und was die Frauen beim Einzug als erstes machen.
Wer in den Eingangsbereich des neuen Marie-Burde-Hauses in der Düsseldorfer Innenstadt tritt, wird von einem Street-Art-Kunstwerk an der Wand begrüßt: „What if we can‘t do it?“ („Was, wenn wir es nicht schaffen?“) steht dort. Doch eine dargestellte Mädchenfigur hält einen pinken Stift, hat den Schriftzug mit einer Linie in sein Gegenteil verändert: „What if we can do it?“ kann man lesen. Gegenüber des hoffnungsvollen Bildes einer Düsseldorfer Street-Art-Künstlerin begrüßt Besucherinnen und Besucher schon das Team der Einrichtung. Wie Portiers sitzen sie hinter einer Scheibe in einem kleinen Aufenthaltsraum. Nur: Hier grüßen nicht Concierges, sondern erfahrene Sozialarbeiterinnen.
Haus ist ein Schutzraum für Frauen
„Das ist Teil des Konzeptes“, erklärt Stefanie Volkenandt, Leiterin der Diakonie-Abteilung Selbstbestimmung und Teilhabe. Beim Weg rein und raus geben die 19 Bewohnerinnen des Hauses ihre Schlüssel ab oder bekommen sie zurück – ein niedrigschwelliger Kontakt mit den Mitarbeiterinnen, um eventuelle Probleme oder Anliegen mitzuteilen. Besetzt ist die Stelle 24 Stunden lang.
Alle der Frauen, die das Haus nun bewohnen, kommen aus der Wohnungslosigkeit. Zielgruppe sind Frauen, die schon einige Erfahrungen in Hilfesystemen gemacht haben, und denen bisher nicht geholfen werden konnte. Hier haben sie einen Schutzraum – spezifisch als Frauen. Dabei seien queere Personen, die sich als Frauen oder nicht-binär identifizieren, mit eingeschlossen, erklärt Volkenandt. Das elfköpfige Team der Einrichtung ist komplett weiblich besetzt, was es für die Bewohnerinnen einfacher macht, sich an die Sozialarbeiterinnen zu wenden. Viele von ihnen haben zuvor schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht.
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Am 10. Oktober feierte das Haus sein „Soft Opening“: die Bewohnerinnen sind bereits nach und nach seit Juli eingezogen. Die jüngste der Frauen ist 18 Jahre alt, die älteste Ende 50. Viele Bedingungen müssen sie nicht erfüllen, um als Bewohnerinnen in Frage zu kommen, auch etwa Alkohol- oder Drogensucht ist kein Ausschlusskriterium. Doch in der Einrichtung gelten klare Regeln: Konsum im Haus ist verboten und auch Gewalt gegen Bewohnerinnen oder Team ist ein absolutes No-Go. So musste leider auch bereits eine eingezogene Frau wieder gehen, berichten die Mitarbeiterinnen. Probleme, einen freien Platz neu zu besetzen, gibt es nicht: bereits jetzt ist die Warteliste zehn Personen lang.
Eigener Rückzugsort bietet Ruhe und Privatsphäre
Geleitet wird das neue Marie-Burde-Haus von Theresa Frisch. Die Sozialarbeiterin hat zuvor lange im „Icklack“-Wohnangebot der Diakonie gearbeitet, das sich ebenfalls an Frauen richtet. Eine neue Einrichtung wie das Marie-Burde-Haus aufzubauen, bringt Herausforderungen: „Aktuell vor allem, dass das, was man in der Theorie geplant hat, auch in der Praxis funktioniert“, berichtet Frisch. Womit sie und ihre Kolleginnen nicht gerechnet haben: Viele der Frauen fragten schnell auch nach einem Gemeinschaftsangebot. Auf Initiative der Bewohnerinnen richtete das Team ein samstägliches, gemeinsames Frühstück ein – das von vielen gerne angenommen wurde.
Das erste, was die meisten neuen Frauen im Marie-Burde-Haus machen: Sich in ihrem Zimmer richtig ausruhen – oft, bevor sie überhaupt ihre Sachen ausgepackt haben, berichtet Frisch. „Eigentlich möchten die meisten nur ihre Tür zu machen und Ruhe haben.“ Einen privaten Rückzugsort zu haben, mit abschließbarer Tür, das ist für zuvor wohnungslose Personen ein wichtiger Luxus.
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Und: Wie sehr sie am Gemeinschaftsleben im Haus teilnehmen wollen, wie viel Zeit sie alleine verbringen, das ist komplett den Frauen überlassen. Die hellen und ruhigen Wohnungen sind vollständig eingerichtet, verfügen über eine Küchennische ebenso wie ein eigenes Badezimmer. Je nachdem, auf welchem der fünf Stockwerke die Frauen unterkommen, sind die Apartments mal 15 Quadratmeter groß, mal etwas größer. Durch einen Aufzug ist das Haus barrierearm. Unten gibt es einen Gemeinschaftsraum und einen Waschkeller.
Erste Schritte zurück in ein eigenständiges Leben
Wohnungslosigkeit ist für Frauen mit besonderen Risiken verbunden. Dazu gehört die Gefahr sexualisierter Gewalt. Aber auch andere Besonderheiten gibt es, wenn Frauen ihre Bleibe verlieren: „Etwa 30 Prozent der wohnungslosen Menschen sind Frauen“, erklärt Stefanie Volkenandt. Doch es gebe wahrscheinlich eine erhebliche Dunkelziffer. Denn: Viele Frauen leben in „verdeckter Wohnungslosigkeit“ und sind auf der Straße oft nicht anzutreffen. „Sie schlagen sich über Jahre von Couch zu Couch durch, tingeln von einem zum nächsten Abhängigkeitsverhältnis.“
Die neue Einrichtung ist kein Frauenhaus – die Adresse ist problemlos zu finden – aber doch ein Schutzraum, in dem Bewohnerinnen auch etwa vor missbräuchlichen Ex-Partnern geschützt sind. Grundsätzlich dürfen Männer die Einrichtung tagsüber, bis 22 Uhr, betreten, allerdings nur als Besucher der Bewohnerinnen.
Wie die meisten ähnlichen Einrichtungen ist das Marie-Burde-Haus mehr als Zwischenstation gedacht, statt als dauerhafte Bleibe – im Unterschied etwa zum Programm Housing-First. Aber: Die Frauen bekommen hier viel Zeit, die sie erfahrungsgemäß auch brauchen, erklärt Volkenandt. „Deshalb arbeiten wir hier nach ihrem Tempo.“ Ein festes Limit für die Zeit im Haus gibt es nicht. Hier sollen die Frauen mit Unterstützung ihre ersten Schritte gehen können, wieder in ein eigenständiges Leben zu kommen – angefangen mit der Beantragung von Sozialhilfe und einer Krankenversicherung. Für ihre Verpflegung, Einrichtung et cetera können sie so nach kurzer Zeit selbst aufkommen.
Auch bei jedem Verlassen des Hauses macht der Schriftzug im Eingangsbereich klar: Die Zeichen stehen hier auf Hoffnung.
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