Düsseldorf. Partner prügeln, manchmal töten sie sogar: Bricht NRW sein Schutzversprechen für Frauen? Diese Fakten lassen jetzt aufhorchen.
Fachkräfte aus Beratungsstellen, Polizistinnen und Polizisten sowie Teile der Landespolitik fordern einen besseren Schutz von Frauen vor prügelnden Partnern und gewalttätigen Familienangehörigen. „Wir brauchen endlich ein funktionierendes Hilfe- und Unterstützungsnetz“, sagte Gabriele van Stephaudt vom Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen in NRW am Montag in einer Anhörung des Landtags zu häuslicher Gewalt.
Wie groß ist die Gefahr?
Die Fallzahlen bei häuslicher Gewalt steigen: Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) deutschlandweit um 6,5 Prozent zwischen 2022 und 2023. Die SPD-Landtagsfraktion, deren Antrag auf mehr Schutz für Frauen der Expertenanhörung voranging, stellt diesen besorgniserregenden Trend auch für NRW fest: Zwischen 2018 und 2022 sei die Zahl der bekannt gewordenen Fälle um 27 Prozent auf fast 34.000 Fälle gestiegen.
Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland laut dem BKA 155 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. In diesem Jahr sind es bisher 44, in NRW gab es in diesem Jahr bisher acht bekannt gewordenen „Femizide“ – das ist der Fachbegriff für tödliche Gewalt, die sich gezielt gegen Mädchen und Frauen richtet.
Vor dem Landtag demonstrierten am Montag rund 40 Mitarbeiterinnen von autonomen Frauenberatungsstellen, um an die vielen Morde zu erinnern. Hier drei Fälle aus dem Februar 2024: In Schwelm wurde eine 50-Jährige von dem von ihr getrenntlebenden Ehemann (48) mit Messerstichen getötet. Ein Dortmunder verletzte seine Ehefrau durch „massive Gewalt gegen Hals und Brust“ so schwer, dass sie verstarb. In Essen wurde eine 41-Jährige Opfer ihres Ehemannes. Der Täter stach mehrfach mit einem Messer auf sie ein. Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Die Frau starb noch in der Wohnung.
Welche Probleme gibt es in NRW?
Expertinnen und Experten sind sich darin einig, dass Frauen viel besser geschützt werden müssen. „In der Gewalt gegen Frauen und Mädchen spiegelt sich die zunehmende Gewalt in der ganzen Gesellschaft“, sagte Christina Garberding, Vorstandsmitglied im Dachverband der 51 autonomen Frauenberatungsstellen NRW.
Eines der größten Probleme: Die freien Frauenberatungsstellen sind offenbar chronisch unterfinanziert und hangeln sich mühsam von Jahr zu Jahr. „Wir sind seit 37 Jahren im Projektstatus“, ärgern sich Lisa Lebbe, Silke Kutz und Ute Speier-Lemm vom Frauenzentrum „Courage“ in Bottrop. Von neuen Beratungsstellen wagen sie und die anderen Demonstrierenden kaum zu träumen, obwohl die Nachfrage wohl da wäre. Im Moment müsse es vor allem darum gehen, die heutigen Angebote zu retten.
Problem Nummer zwei: In den Frauenhäusern in NRW sind trotz eines Ausbaus in den vergangenen Jahren zu wenige Plätze frei. Andreas Derks, Erster Polizeihauptkommissar in Bochum, gehört zu den führenden Experten in NRW beim Thema häusliche Gewalt und hat in mehr als 30 Dienstjahren rund 1000 entsprechende Einsätze gehabt. Gegenüber dem Landtag beschreibt er, wie schwer es mitunter sogar in einer Notlage ist, Frauen in geschützte Räume zu vermitteln:
Eine Frau erscheint mit drei Kindern in einer Polizeiwache und erstattet Anzeige wegen häuslicher Gewalt. Sie erklärt, zu Hause seien sie und die Kinder nicht mehr sicher. Polizist Derks sucht über die Seite „frauen-info-netz.de“ vergeblich einen geeigneten Platz in 57 Frauenhäusern im Umkreis von 100 Kilometern. Am Ende wird die Frau von der Polizei in ein 137 Kilometer entferntes Frauenhaus in Ostwestfalen gefahren.
Gabriele van Stephaudt vom Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen in NRW sagte, in der vergangenen Woche sei in ganz Deutschland kein einziger Schutzplatz für Frauen mit Kindern frei gewesen.
Brechen NRW und Deutschland das Schutzversprechen für Frauen?
Das Versprechen wird zumindest nur zum Teil gehalten. Die „Istanbul-Konvention“ des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt trat in Deutschland schon 2018 in Kraft. Darin steht zum Beispiel, wie viele Frauenhaus-Unterkünfte es pro 10.000 Einwohner geben sollte. Derzeit zählt NRW rund 1400 Plätze, gemäß der Istanbul-Konvention müssten es aber rund 1800 sein.
Bund bereitet Gewalthilfegesetz vor
Die Bundesregierung arbeitet an einem Gewalthilfegesetz, das überall den Anspruch von Opfern häuslicher Gewalt – Frauen, Männer und Kinder -- auf Schutz und Beratung garantieren soll, und zwar unabhängig von Einkommen, Wohnort, Behinderungen und Aufenthaltsstatus. Finanzierungslücken sollen geschlossen werden.
Kann die Polizei die Frauen schützen?
Ja, und sie tun dies auch. Aber Polizistinnen und Polizisten, die zur Hilfe gerufen werden, müssen schwierige Entscheidungen treffen. Zum Beispiel die, einen gewalttätigen Partner aus der Wohnung zu verweisen. Die SPD-Landtagsfraktion schlägt daher vor, die rechtlichen Hürden für eine Wohnungsverweisung abzusenken. Die Länder Bremen, Hamburg und Rheinland-Pfalz haben dies schon getan.
Dagegen gibt es allerdings juristische Bedenken. „Eine Änderung des entsprechenden Paragrafen 34a im Polizeigesetz würde nicht wirklich etwas an der Polizeipraxis ändern“, gibt Prof. Fabian Wittreck, Experte für Öffentliches Recht an der Uni Münster, zu bedenken. Auch die Düsseldorfer Verwaltungsrichterin Andrea Houben hält die aktuellen Möglichkeiten. Gewalttäter aus einer Wohnung zu verweisen, für „auskömmlich“.
Polizist Andreas Derks aus Bochum dringt auf mehr Aus- und Fortbildung bei der Polizei bei diesem komplexen Thema. Die Polizei werde nämlich durch die vielen Neueinstellungen „immer jünger“. Nicht selten stießen 22- oder 23-jährige Beamtinnen und Beamte ohne große Lebenserfahrung auf hochkomplexe Konfliktsituationen in einer Familie. „Es gibt keine andere Einsatzsituation, bei der so viele Maßnahmen geprüft werden müssen“, erklärt Derks.
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