Düsseldorf. Wagenbauer Jacques Tilly wird vom Land geehrt. Im Interview spricht er über die Gefahr von Rechts und warum er über den Tik-Tok nachdenkt.
Jacques Tilly kommt nicht in seinem roten Arbeitsoverall, sondern im schwarzen T-Shirt mit der Aufschrift „Heimathafen Düsseldorf“ und in kurzen Hosen. Der berühmte Mottowagenbauer sieht zum Termin mit der NRZ ein wenig zerstrubbelt aus. „Ich bin nicht ganz ausgeschlafen, komme unmittelbar aus dem Matratzenlager“, grinst der Satiriker, dessen bissige Karnevalskunst auf der ganzen Welt geachtet und gefürchtet ist. Der Mann kokettiert mit dem Ruf des Berufsstudenten, denn eigentlich hat er gerade jede Menge Arbeit. Für die nächste Karnevalssession steckt er schon mitten in den Ideen, entwirft Skizzen und Zeichnungen. Am Freitag, 23. August, bekommt er vom NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst den Landesverdienstorden überreicht.
Unverkennbare Handschrift
Jacques Tilly erhält am Freitag, 23. August, den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen. Der 61-Jährige habe den Düsseldorfer Karneval über die Grenzen der Landeshauptstadt hinaus geprägt, teilte die Staatskanzlei mit. „Jacques Tilly baut und entwirft seit 1984 Karnevalswagen für den Düsseldorfer Rosenmontagszug, die mit seiner unverkennbaren politisch-satirischen Handschrift aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen verarbeiten.“ Seine Kreationen hätten auch international für Aufsehen und Diskussionen gesorgt.
Tilly gehört zu elf neuen Trägern des Landesverdienstordens, mit dem seit 1986 außerordentliches Engagement gewürdigt wird. Dazu zählen die ehemalige Präsidentin des Landesverfassungsgerichts Ricarda Brandt aus Bochum und die frühere NRW-Opferschutzbeauftragte Elisabeth Auchter-Mainz (Aachen). dpa
Herr Tilly, am Freitag bekommen Sie den Landesverdienstorden aus den Händen des Ministerpräsidenten überreicht. Inwiefern ist das für Sie eine Ehre - oder auch nicht?
Vor zwanzig Jahren hätte ich wohl gedacht: Oh, was habe ich falsch gemacht. Ein Satiriker will eigentlich keine Orden von Staatsrepräsentanten bekommen, sondern eher Beschwerdebriefe oder gar Anzeigen. Aber nun habe ich mich schon darüber gefreut, dass die Arbeit des Karnevals auch in der hohen Politik gewürdigt wird. Ich mache das ja nicht alleine. Es ist eine Zusammenarbeit zwischen Comitee, meinem Team und mir. So etwas gibt immer auch Rückenwind. Ich hätte die Ehrung auch ablehnen können, aber es bringt dem Karneval Pluspunkte.
Welche Frage werden Sie Hendrik Wüst am Freitag stellen, haben Sie eine dringende?
Ob ich ihn mir mal wirklich etwas länger anschauen kann, von allen Seiten, weil ich so schnell diese Gelegenheit nicht mehr haben werde. Wüst als Objekt der Satire. Ich werde ihn ja hoffentlich bald bauen, da ich glaube, dass die K-Frage bei der CDU noch nicht ganz ausdiskutiert ist. Man weiß ja nie, wie es kommt. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich ihn zeitnah in die Pfanne hauen werde. Da wird der Orden nichts dran ändern.
Sie werden unter anderem geehrt für Ihre gesellschaftspolitische Satirekunst. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in Deutschland ein?
Wir haben es seit ungefähr einem Jahrzehnt mit einer sehr stark ausgeprägten antidemokratischen Gegenkultur zu tun, die aus dem rechtsextremen Lager kommt. Das hat uns Satiriker dazu gebracht, die Seiten zu wechseln. Früher war man gegen den Staat, systemkritisch und regierungskritisch. Heute stellt man sich vor das System und ist froh, wenn die Standards, die aus dem scheindemokratischen, aber faktisch zutiefst totalitären Lager sehr scharf angegriffen werden, erhalten bleiben können.
Antidemokratische Tendenzen kommen ja mittlerweile nicht nur aus dem Lager der extremen Rechten, sondern aus der Mitte der Gesellschaft.
Ja, die echten Rechtsextremen sind in der Minderheit, das haben wir ja beispielsweise in Düsseldorf gesehen, als im Januar 100.000 Menschen gegen die Rechtsradikalen auf die Straße gegangen sind. Also die meisten Menschen verachten das. Aber die rechten Demokratiefeinde sind gerade sehr laut und auch auf Social Media sehr gut aufgestellt. So wird eine Stärke und Dominanz suggeriert, die sie in Wirklichkeit gar nicht haben. Aber das ist auch eine Stärke: Stärke zu suggerieren. Und deshalb muss man denen immer wieder sagen: Ihr seid nicht die schweigende Mehrheit, sondern nur ein kleiner Haufen verrückter Fanatiker. Und wir werden alles dafür tun, dass ihr keine politische Macht bekommt.
Was kann man konkret gegen Rechts tun?
Alles, was ins demokratische Spektrum passt, bis hin zu einem Parteiverbot der AfD beispielsweise. Ich finde, der Staat sollte seine Zähne zeigen.
Er macht es aber nicht wirklich, oder?
Naja, das Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins war schon die richtige Richtung, finde ich.
Das Verbot ist fürs Erste wieder aufgehoben worden.
Ja, aber das wird erst endgültig in einer Hauptverhandlung entschieden werden. Wer weiß, wie das ausgeht. Ich finde es in diesem Zusammenhang schon sehr richtig, dass sich der Staat nicht alles gefallen lässt und vor allem nicht diejenigen finanziert, die ihn bekämpfen. Man sollte auch keine Stiftungen oder Parteien unterstützen, die alles daran setzen, den Staat, wie wir ihn jetzt haben, abzuschaffen - oder sich an Putin orientieren, wie es die AfD ja tut. Wer Zustände wie in Russland haben will, kann gerne AfD wählen. Wer will, dass in Gefängnissen oder beim Militär gefoltert wird, der kann AfD wählen. Aber dann muss man wissen, was man bekommt, nämlich das Ende der Freiheit und einen totalitären Terrorstaat.
Stichwort Ende der Freiheit: Was geht in Ihnen vor, wenn Sie die Bilder der Neonazi-Aufmärsche bei den CSD-Veranstaltungen in Bautzen und Leipzig sehen? Das erinnert doch an die Schlägertrupps der SA aus der Endzeit der Weimarer Republik.
Ja, das stimmt. Historische Vergleiche hinken zwar meistens, aber man kann sich schon an historischen Analogien orientieren. Damals war es eben auch ein Angriff auf den Rechtsstaat. Es war unglaublich, wie wenig der Staat damals an Immunkräften entwickelt hatte, um diesen Angriff von vornherein abzuwehren. Das sollte uns eine Lehre sein, dass also der demokratische Rechtsstaat seine Werte viel offensiver verteidigen muss.
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Haben Sie das Gefühl, dass wir als Gesellschaft die Gefahr angemessen einschätzen?
Ich denke schon, zumindest in meinem Lebensumfeld wird das wahrgenommen. Es ist ja auch ein weltweites Phänomen: Es sind die Orbans und die Trumps und die Le Pens und eben die AfD, die als Scheindemokraten auftreten, die aber Pluralismus und Gewaltenteilung abschaffen werden, wenn sie ans Ruder kommen. Als ich jung war, gab es eine linksextreme Gegenkultur, jetzt gibt es eine rechtsextreme Gegenkultur, die sich massiv und offensiv um die jungen Menschen bemüht und leider da auch recht erfolgreich ist.
Macht Ihnen das Angst?
Angst habe ich nicht, aber ich sehe das in sehr langen Zeiträumen. Wir haben dank der Aufklärung glücklicherweise ein Zeitalter gehabt, in dem Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sehr lange gültig waren. Es kann jetzt ein Zeitalter kommen, in dem das nicht mehr so ist. Das alles ist kein Naturgesetz. Es ist von Menschen gemacht und kann von Menschen auch wieder abgeschafft werden. Dieser Fragilität muss man sich immer wieder bewusst sein.
Wir sind nicht in Bautzen, aber dennoch machen sich viele Menschen hier Sorgen um die Zukunft. Noch einmal die Frage: Was kann jeder Einzelne, abseits des großen politischen Apparats, jeden Tag tun, um diesen rechtsextremen Strömungen entgegenzutreten. Der Hashtag #niewiederistjetzt reicht da doch nicht.
Es findet in den sozialen Medien tatsächlich ein Info-Krieg statt. Man hat das Netz als Kampfarena auserkoren. Ich würde mir wünschen, dass man denen da nicht das Feld überlässt. Das ist auch eine Aufforderung an mich: Ich habe mich bisher bei TikTok und Instagram in einer bequem-arroganten Art herausgehalten. Die AfD ist da sehr erfolgreich. Es gibt Leute, wie Maximilian Krah oder Erik Ahrens, die sehr netzaffin sind und es schaffen, dass junge Leute ihre Partei wählen. Das kann man eigentlich gar nicht glauben. Also: Auch ältere Semester wie ich sollten sich nicht zu schade sein, sich dort blicken zu lassen und gute Memes zu setzen. Das ist doch eigentlich meine Stärke, gute Bilder zu liefern, die sofort ins Emotionale gehen. Da kann man auch polemisch, verletzend und gemein sein. Das können die ja auch.
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Ich halte fest, Tilly macht jetzt aus Demokratie schützenden Gründen TikTok...
Ich habe mir das vorgenommen, ja. Es ist anstrengend und hart, man hat sofort die Trolle an der Backe - aber die Alternative wäre, dass man den Rechtsextremisten das Feld überlässt. Und das gönne ich denen nicht.
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