Erinnern Sie sich noch an Orwells “1984“? Genau - diese furchtbar reale Utopie mit dem unvergessenen Satz “Big Brother is watching you“. Heute hat...

Erinnern Sie sich noch an Orwells "1984"? Genau - diese furchtbar reale Utopie mit dem unvergessenen Satz "Big Brother is watching you". Heute hat Big Brother seinen Schrecken verloren und ist nur ein Container voller peinlicher Selbstdarsteller im Unterschichtenfernsehen. Inzwischen heißt es nämlich "Bahnchef Mehdorn is watching you". Immerhin: Die Leistung, die Daten aller, wirklich aller Bahn-Mitarbeiter überprüfen zu lassen, verdient Anerkennung. Genosse Mielke hätte Mehdorn dafür mindestens die Verdienstmedaille der Kampfgruppen der Arbeiterklasse an die breite Brust gepinnt.

Klar ist: Der Mann mit dem Vornamen Bahnchef hat jedes Vertrauen verloren, selbst wenn seine Absicht vordergründig eine hehre war, nämlich Korruptionsfälle aufzudecken. Doch wenn ich nur ein paar Fische angeln will, muss ich nicht mit dem Schleppnetz fischen. Die Bespitzelungsaffäre beweist vor allem eins: Der Bahnvorstand misstraut seinen Mitarbeitern, und zwar allen. Das sind mehr als 200 000. Vielleicht ist das die Art von Unternehmenskultur, die ein Rambo-Typ wie Mehdorn schätzt. Wer allerdings kein Vertrauen in seine Mannschaft hat, darf sich nicht wundern, wenn er selbst nicht mehr mitspielen darf.

Vertrauen ist der Leim des Lebens, es ist der Kitt, der Beziehungen und Organisationen zusammenhält. Ist das Vertrauen zerstört, ist eine Partnerschaft kaputt. In Unternehmen läut es nicht anders. Der Management-Berater Reinhard K. Sprenger hat einen Bestseller über dieses Thema geschrieben, dass Manager wie Mehdorn vermutlich niemals gelesen geschweige denn verinnerlicht haben. "Vertrauen führt" heißt das Buch, und Sprenger wirbt in ihm dafür, dem Vertrauen zu vertrauen und dem Misstrauen zu misstrauen.

Vertrauen sei die Antriebskraft für schnelleres Handeln und Entscheiden, weil Freiräume entstehen und nicht durch bürokratische Kontrollen blockiert werden, erklärt Sprenger. Die Mitarbeiter setzen auf das Vertrauen ihrer Vorgesetzten und erwarten, dass Fehler in einem gewissen Rahmen toleriert werden. Ohne diese Sicherheit sind Mitarbeiter nicht bereit, Risiken einzugehen. So wird Vertrauen zur Grundbedingung von Kreativität und Innovation - und damit für den unternehmerischen Erfolg.

"Die Gesellschaft der Zukunft ist zum Vertrauen verurteilt", schreibt der Philosoph Peter Sloterdijk. Typen wie Mehdorn haben dann wohl keine Zukunft mehr.


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