Arbeitnehmervertreter hoffen auf Neuanfang und Erhalt der Arbeitsplätze - Huber: „Es geht um die Zukunft von Opel insgesamt
Bochum/Rüsselsheim. Betriebsrat und Gewerkschaften haben den Rücktritt des Opel-Vorstandsvorsitzenden Karl-Friedrich Stracke überwiegend mit Erleichterung aufgenommen. „Wir nehmen die Entscheidung von General Motors zum personellen Umbau positiv zur Kenntnis“, sagte am Freitag der Erste Vorsitzende der IG Metall, Berthold Huber.
Die Personalentscheidung des Mutterkonzerns aus Detroit bietet nach Ansicht der Gewerkschaft auch die Chance zu einem Neuanfang. Jetzt müsse der GM „entschlossen und zielstrebig daran gehen, an der Zukunft von Opel zu arbeiten“, sagte Huber.
Ähnliche Hoffnungen brachte der Betriebsratsvorsitzende des vom Aus bedrohten Bochumer Opel-Werks, Rainer Einenkel, zum Ausdruck. Entscheidend für die Beschäftigten sei nun, „dass der dringend notwendige Wachstumskurs umgesetzt“ werde und keine Kahlschlagpolitik“ erfolge, erklärte Einenkel. Um die Arbeitsplätze und das Überleben der Marke zu sichern, forderte er vom GM-Management eine „Öffnung der außereuropäischen Märkte“ für die Marke Opel.
Am Vortag hatte der Frankfurter IG-Metall-Bezirksleiter Armin Schild noch Strackes gute Zusammenarbeit mit der Belegschaft betont und sein Bedauern über die Entscheidung zum Ausdruck gebracht.
In die Hoffnung der Arbeitnehmervertreter auf neue Perspektiven mischt sich allerdings große Sorge vor einem erneuten Aufflammen der Debatte um vorzeitige Werksschließungen. Aus Gewerkschaftssicht sei „nur ein Zukunftskonzept tragfähig, dass keine Schließung von Standorten vorsieht“, sagte IG-Metall-Chef Huber. “Es geht um nicht weniger als die Zukunft von Opel insgesamt.“
Eine neuerliche Diskussion über Werkschließungen würde “Belegschaften und Autokunden weiter verunsichern„, warnte auch der Bochumer Betriebsratschef Einenkel. Solche Schritte hätten einen “nicht reparablen Imageschaden„ für die Marke und weitere Absatzeinbrüche zur Folge.
„Wir werden darauf achten, dass bestehende Zusagen und Verträge eingehalten werden“, sagte Einenkel mit Blick auf die von Ex-Vorstandschef Stracke in Aussicht gestellte Bestandsgarantie. Der vom Aufsichtsrat Ende Juni abgesegnete Sanierungsplan sah eine Beschäftigungsgarantie für die insgesamt 20.800 Mitarbeiter bis 2016 vor. Danach galt das Aus für das Werk Bochum mit rund 3.000 Mitarbeitern als beschlossene Sache.
Diese Sichtweise will der dortige Betriebsrat nicht gelten lassen. Der Standort im Ruhrgebiet sei „nachweisbar das produktivste, effektivste und flexibelste Werk in Europa“, sagte Einenkel. Die Belegschaft brauche “endlich eine Perspektive über 2016 hinaus“.
Rückendeckung erhielten die Arbeitnehmervertreter aus der Politik. „GM verzockt gerade das Vertrauen seiner Mitarbeiter, der Verbraucher und das Vertrauen der Politik“, sagte der stellvertretende hessische Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn (FDP) dem “Handelsblatt“ (Onlineausgabe). Im hessischen Rüsselsheim befinden sich die Unternehmenszentrale und das Stammwerk der Marke mit dem Blitz, wo bis 2015 noch das Volumenmodell Astra produziert wird. Er erhoffe sich nun „ein Ende der Zick-Zack-Taktik für Opel“, sagte Hahn.
Auch der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) forderte Kontinuität in der Unternehmenspolitik ein. Beck sagte in Mainz, er gehe davon aus, “dass die mit Stracke ausgehandelten Grundlinien für die Opel-Modellpalette und die offensive Strategie des Autobauers beibehalten„ würden.
Die Politik werde darauf achten, dass die Opel-Standorte „nicht gegeneinander ausgespielt werden“, kündigte der Ministerpräsident an. Zugleich bot Beck auch der künftigen Opel-Spitze ein weiterhin „konstruktives Miteinander“ an.
Das Auf und Nieder beim Autohersteller Opel
November 2008: Opel bemüht sich wegen der Absatzkrise und des Milliardenminus' bei der Konzernmutter General Motors (GM) um eine staatliche Bürgschaft.
April/Mai 2009: Der österreichisch-kanadische Zulieferer Magna, der italienische Autohersteller Fiat, der US-Finanzinvestor Ripplewood und der chinesische Autohersteller BAIC interessieren sich für Opel.
27. Mai 2009: GM macht den Weg frei für eine eigenständige Zukunft Opels. Der US-Mutterkonzern überträgt die europäischen Fabriken, Rechte an den Technologien sowie Patente an die Adam Opel GmbH.
30. Mai 2009: Magna einigt sich mit Bund, Ländern und GM auf ein Rettungskonzept. Magna will die vier deutschen Werke erhalten. Zuvor hatten sich Fiat und RHJI aus dem Bieterwettstreit zurückgezogen.
11. August 2009: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht sich für Magna aus.
3. November 2009: Kehrtwende: Der GM-Verwaltungsrat lehnt den Verkauf von Opel ab. Der Mutterkonzern will Opel und die britische Schwestermarke Vauxhall in Eigenregie restrukturieren.
15. Januar 2010: GM-Manager Nick Reilly wird neuer Opel-Chef.
21. Mai 2010: GM einigt sich mit den Opel-Mitarbeitern auf einen Sanierungsplan. Die Beschäftigten sollen 265 Millionen Euro zur Sanierung beitragen.
9. Juni 2010: Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) lehnt den Antrag von GM auf eine Staatsbürgschaft über 1,1 Milliarden Euro ab.
16. Juni 2010: GM zieht alle Bürgschaftsanträge in Europa zurück.
4. Oktober 2010: GM macht das Werk im belgischen Antwerpen dicht.
18. November 2010: Nur 17 Monate nach dem Konkurs kehrt GM an die Wall Street zurück. Beim größten Börsengang der Geschichte nimmt die Opel-Mutter mehr als 23 Milliarden Dollar ein.
11. April 2011: Reilly wechselt als Chefkontrolleur in den Aufsichtsrat der europäischen GM-Tochter Opel/Vauxhall. Karl-Friedrich Stracke wird neuer Opel-Vorstandschef.
5. Mai 2011: Für das erste Quartal 2011 weist GM für das Europageschäft einen Verlust von 270 Millionen Euro aus.
4. August 2011: Im zweiten Quartal 2011 erzielt GM im Europageschäft einen Gewinn vor Steuern und Zinsen von 72 Millionen Euro.
16. August 2011: GM droht mit Kündigungen im Bochumer Opel-Werk.
12. Oktober 2011: Nach starkem Personalabbau leidet das Opel-Werk Bochum unter Personalmangel und muss bis zu 160 Mitarbeiter aus der Kurzarbeit zurückholen.
7. November 2011: Die Zukunft des Bochumer Opel-Werks ist nach Einschätzung von Unternehmenschef Stracke auf absehbare Zeit gesichert. Das Werk sei in den nächsten drei, vier Jahren gut ausgelastet, sagt er.
22. November 2011: GM ernennt Stephen Girsky zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden von Opel. „GM steht zu Opel und möchte die Marke zu profitablem Wachstum führen“, sagt Girsky.
23. November 2011: Girsky kündigt wegen der schwachen wirtschaftlichen Lage in Europa einen Sparkurs an.
13. Januar 2012: Der 50-jährige Wolfgang Schäfer-Klug wird neuer Gesamtbetriebsrats-Vorsitzender. Er folgt auf Klaus Franz, der in den Ruhestand ging.
8. Februar 2012: Ein Bericht über angebliche Schließungspläne sorgt im Bochumer Opel-Werk für Aufregung.
16. Februar 2012: Opel rutscht trotz schmerzhafter Sanierung tief in die Verlustzone. GM meldet für 2011 im Europageschäft einen Verlust vor Steuern und Zinsen von 575 Millionen Euro.
19. März 2012: Opel fährt angesichts großer Absatzprobleme seine Produktion kräftig zurück. Die beiden Hauptwerke Rüsselsheim und Eisenach arbeiten seit Jahresbeginn deutlich weniger.
22. März 2012: Die Opel-Firmenleitung fordert von der Belegschaft den Verzicht auf Tariferhöhungen und Teile des Weihnachts- und Urlaubsgelds.
23. März 2012: Nach einem Bericht des „Wall Street Journal“ plant GM die Schließung von ein bis zwei europäischen Werken. Ganz oben auf der Streichliste stehen demzufolge die Werke in Bochum und im britischen Ellesmere Port.
24. März 2012: Bis 2014 soll es beim angeschlagenen Autohersteller Opel keine Werksschließungen geben, sagt Vorstandschef Stracke.
31. März 2012: Die Mitarbeiter des Bochumer Opel-Werks treffen sich zu einer Belegschaftsversammlung. Im Mittelpunkt stehen die Gerüchte über eine Schließung des Standorts.
3. April 2012: Der Inlandsabsatz bricht ein: Opel verkaufte im März 12,3 Prozent weniger Neufahrzeuge in Deutschland, während der Gesamtmarkt um 3,4 Prozent zulegte.
3. Mai 2012: Opel-Chef Stracke schließt Werksschließungen vor 2014 aus. Pläne zur „Anpassung der Kapazität“ würden aber mit den Vertretern der Belegschaft besprochen, sagt er.
8. Mai 2012: Trotz Drohungen und eines Warnstreiks der IG Metall wiederholt Stracke Überlegungen, die Astra-Produktion ab 2015 aus Deutschland abzuziehen.
11. Mai 2012: Die Ministerpräsidenten der vier deutschen Bundesländer mit Opel-Werken schicken ein gemeinsames Warnsignal an GM: Die Regierungschefs fordern, die globalen Märkte für Opel zu öffnen.
14. Mai 2012: Opel bekräftigt sein Bekenntnis zum Stammwerk in Rüsselsheim. Bochum muss weiter zittern.
17. Mai 2012: Das Stammwerk in Rüsselsheim verliert die Produktion des Modells Astra. Die neue Generation wird von 2015 im britischen Ellesmere Port und im polnischen Gliwice hergestellt.
18. Mai 2012: Die IG Metall wirft der Opel-Führung bei der Entscheidung für den Abzug der Astra-Produktion aus Deutschland Spaltung vor und kündigt einen harten Kampf für die heimischen Standorte an.
13. Juni 2012: Für die 20.800 Opel-Beschäftigten in Deutschland zeichnet sich eine Jobgarantie in den nächsten vier Jahren ab. Das Opel-Werk in Bochum soll aber nach 2016 geschlossen werden.
14. Juni 2012: Die seit Mai fällige Tariferhöhung in Deutschland wird vorerst ausgesetzt.
17. Juni 2012: Opel hat für den Fall einer Schließung seines Bochumer Werks 500 Millionen Euro für den Personalabbau bereitgestellt. Das sagt der Bochumer Betriebsratschef Einenkel.
3. Juli 2012: Opel büßte im Juni in Deutschland acht Prozent Absatz gegenüber dem Vorjahr ein. Der Gesamtmarkt legte um 2,9 Prozent zu.
12. Juli 2012: Opel-Chef Stracke tritt zurück. Er wird künftig Sonderaufgaben für General Motors übernehmen. Girsky übernimmt den Opel-Vorstandsvorsitz kommissarisch.
13. Juli 2012: Die IG Metall nimmt den Rücktritt Strackes „positiv zur Kenntnis“. Er biete nach auch die Chance zu einem Neuanfang. Gewerkschaftschef Berthold Huber warnte gleichzeitig vor der Schließung von Werken. Die „Bild“-Zeitung berichtet unter Berufung auf Firmenkreise, dass die Opel-Verkäufe im ersten Halbjahr um rund acht Prozent geschrumpft seien.
Mit Material von dapd