Kurz vor dem Krisengipfel zeichnet sich noch keine klare Lösung ab, wie die Regierungs- und Staatschefs das Problem lösen wollen.
Berlin/Brüssel. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Hoffnungen auf durchgreifende Entscheidungen zur eskalierenden Euro-Schuldenkrise gedämpft. Das Euro-Stabilitätsproblem sei nicht mit „einem spektakulären Schritt“ zu lösen. Es bedürfe vielmehr eines „kontrollierten und beherrschbaren Prozesses“, sagte Merkel bei der Pressekonferenz mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew am Dienstag in Hannover. Auch vom Euro-Gipfel der Staats- und Regierungschefs an diesem Donnerstag in Brüssel sei kein solcher „abschließender großer Schritt“ zu erwarten.
Die Äußerungen Merkels wirkten an den Märkten wie eine kalte Dusche; heftige Kursreaktionen blieben aber aus. Von dem Krisengipfel werden Beschlüsse zu einem zweiten Hilfspaket für das pleitebedrohte Athen erhofft, aber auch eindeutige Signale zur Lösung der eskalierenden Euro-Schuldenkrise. Der Internationale Währungsfonds (IWF) forderte die Euro-Staaten in der Schuldenkrise erneut zu einem stärkeren Zusammenhalt auf. Sonst bestünde Gefahr, dass die Defizitprobleme von Ländern wie Griechenland in einem großen Maße mit schweren Folgen auf die Gemeinschaft überschwappten.
Kurz vor dem Gipfel kommt in den Streit um eine Bankenbeteiligung offensichtlich Bewegung, wie EU-Diplomaten am Dienstag berichteten. Die Euroländer seien um eine Entschärfung des Konflikts bemüht. Es gebe wachsende Unterstützung für eine Finanzsteuer, die allen Banken auferlegt werden könnte. Damit solle vermieden werden, dass Ratingagenturen einen kompletten oder teilweisen Zahlungsausfall Griechenland ausrufen. Allerdings gilt solch ein Modell nicht als kurzfristig umsetzbar, da es erst in den Mitgliedstaaten rechtlich verankert werden müsste.
Unmittelbar vor dem Gipfel jagen sich Telefonkonferenzen und Beratungen. Es zeichne sich ab, dass ein neues Griechenland-Paket ein ganzes Bündel von Maßnahmen umfassen werde, hieß es. Dazu könnten beispielsweise Kredite des europäischen Rettungsfonds EFSF gehören, eine Verlängerung bestehender Kredite, Maßnahmen zur Verringerung des griechischen Schuldenbergs wie etwa ein Anleihenrückkauf oder die Finanzsteuer.
Die fünf Wirtschaftsweisen fordern in einem Appell an die Bundesregierung einen Schuldenschnitt für Griechenland, sonst drohten immer neue Stützungsprogramme und ein Auseinanderbrechen der Währungsunion. „Anzustreben ist ein Schuldenschnitt auf die ausstehenden Anleihen um etwa 50 Prozent. Dadurch würde der Schuldenstand von 160 Prozent (vom Bruttoinlandsprodukt) auf etwa 106 Prozent sinken“, heißt in einem gemeinsamen Beitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ/Mittwoch). Zugleich sollten Banken griechische Anleihen in solche des Euro-Rettungsfonds EFSF tauschen können, schlugen die Wirtschaftsweisen vor. Es ist laut FAZ das erste Mal, dass alle fünf Mitglieder des Sachverständigenrats, Wolfgang Franz, Peter Bofinger, Lars P. Feld, Christoph M. Schmidt und Beatrice Weder di Mauro, sich gemeinsam zur Euro-Krise äußern.
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler wandte sich allerdings gegen den Kauf griechischer Staatsanleihen durch den Rettungsschirm EFSF. „Aber auch, wenn eine Feuerwehraktion notwendig sein sollte: Zentrale Positionen müssen gewahrt bleiben, so, wie sie der Deutsche Bundestag festgelegt hat.“ Das bedeute, auch Eurobonds dürfe es nicht geben, sagte der FDP-Vorsitzende und Vizekanzler der „FAZ“ (Dienstag).
EZB-Präsident Jean-Claude Trichet stemmt sich weiter beharrlich gegen einen Schuldenerlass, der von den Ratingagenturen als Zahlungsausfall gewertet werden könnte. Bei jeder Art von Zahlungsausfall will die EZB keine weiteren Anleihen des hochverschuldeten Eurolands als Sicherheiten akzeptieren, was das Aus griechischer Banken und die Gefahr einer schweren Finanzkrise heraufbeschwören würde. Ein teilweiser Rückkauf griechischer Schulden in Athen mit Hilfe des Rettungsfonds EFSF könnte als (teilweiser) Zahlungsausfall gelten. Dieser Schritt ist ebenso umstritten wie ein möglicher Schuldenschnitt, die Einführung gemeinsamer Anleihen, den Eurobonds, oder eine Bankenabgabe, kombiniert mit einer Beteiligung des Privatsektors.
Doch selbst im EZB-Rat gibt es abweichende Meinungen. Eine mögliche Lösung der Griechenland-Krise mit einem „sehr kurzen Kreditausfall“ könnte möglicherweise „keine größeren negativen Auswirkungen“ haben, sagte EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny dem US-Fernsehsender CNBC. Damit deutete er an, dass die EZB unter gewissen Umständen doch weiter griechische Staatsanleihen akzeptieren könnte.
Die Konsequenzen einer Umschuldung Griechenlands führte der frühere Bundesbank- und EZB-Chefvolkswirt, Otmar Issing, klar vor Augen. Der Ökonomieprofessor ist einer der Architekten des gemeinsamen Währungsraums. Ein harter Schuldenschnitt sei unvermeidlich. „Bleibt Griechenland danach Mitglied in der Währungsunion und kann auf weitere Hilfen sowie Refinanzierung bei der EZB vertrauen, ist das Ende der Währungsunion eingeläutet“, sagte Issing der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Dienstag). Das Land erhielte einen Freibrief, die Ausbreitung auf andere Mitgliedstaaten wäre der GAU.
Deutsche Finanzexperten befürchten, dass die Schuldenkrise den Konjunkturmotor abwürgen könnte. Ihre Konjunkturzuversicht trübte sich im Juli erneut ein, wie das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim berichtete. Auch die wirtschaftliche und finanzpolitische Lage der USA werde von den Finanzmarktexperten mit zunehmender Sorge betrachtet. „Vor dem Hintergrund des instabilen weltwirtschaftlichen Umfeldes stellt sich die Frage, wie lange der Konjunkturmotor noch mit der derzeitig hohen Drehzahl laufen wird“, sagte ZEW-Präsident Wolfgang Franz. (dpa/abendblatt.de)