Belässt die EZB den Leitzins bei 1,0 Prozent oder wird sie angesichts der Krise die Zinsschraube sogar noch weiter nach unten drehen?
Frankfurt/Main. Die Krise im Euroraum nimmt kein Ende und die Europäische Zentralbank (EZB) soll mal wieder einspringen. Wenn der EZB-Rat wegen des Feiertages schon am Mittwoch und nicht wie sonst üblich am Donnerstag im Frankfurter Euro-Tower über die Geld- und Krisenpolitik berät, könnte am Ende nach Ansicht einiger Beobachter sogar eine Zinssenkung um einen viertel Prozentpunkt herauskommen. Es wäre eine Premiere: Noch nie lag nämlich der Leitzins der Notenbank seit Bestehen der Währungsunion unter einem Prozent .
Da sich die Lage in Griechenland und zuletzt in Spanien immer mehr zuspitzte, gibt es durchaus Argumente für einen solchen Schritt oder neue Krisenmaßnahmen der Währungshüter. Wahrscheinlicher scheint allerdings, dass Notenbankchef Mario Draghi den zweiten Urnengang in Athen Mitte des Monats abwarten will und den Druck bis zum Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs Ende Juni aufrecht erhält, ehe er gegebenenfalls handelt. Erst in der vergangenen Woche hatte Draghi vor dem Europa-Parlament die Politik mit einem dramatischen Appell aufgefordert , endlich die Krise zu lösen und nicht ausschließlich auf die EZB und ihr Waffenarsenal zu setzen.
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In einer am vergangenen Mittwoch veröffentlichten Reuters-Umfrage hatten noch 62 der 73 befragten Analysten und Ökonomen erklärt, dass es für weitere Schritte der EZB bereits im Juni zu früh sein dürfte. Doch die Front bröckelt angesichts der verschärften Krise und der konjunkturellen Schwierigkeiten: „Die Gründe für eine Zinssenkung sind überwältigend“, sagt etwa der für die Euro-Zone zuständige Chefvolkswirt der französischen Großbank BNP Paribas, Ken Wattret. James Nixon von der Societe Generale hält dagegen: „Jedes Mal, wenn die EZB interveniert, nimmt sie den Druck von den Regierungen, und die tun dann nichts. Dieses Mal wird sie dieses Spiel nicht mehr mitspielen. Sie wird wegen des unsicheren Ausgangs der Wahlen in Griechenland ihr Pulver trocken halten.“
Und angesichts der Flut von Geld, die sich nach den beiden Drei-Jahres-Geschäften der EZB vor ein paar Monaten in das Finanzsystem ergießt, sowie angesichts des mit einem Prozent schon sehr niedrigen Leitzinses stellt sich ohnehin die Frage, welchen Nutzen ein weiterer Zinsschritt nach unten noch stiften könnte. Nicht undenkbar erscheint allerdings, dass Draghi & Co. einen Sinn darin erkennen könnten, den Einlagenzins auf null zu senken. So würde den Instituten der Anreiz genommen, Liquidität lieber bei der EZB zu parken, als sie anderen Häusern zu leihen oder als Kredite in die Realwirtschaft zu pumpen.
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Doch ob das in einer so massiven Vertrauenskrise ausreicht, um wieder etwas Ruhe einkehren zu lassen, scheint fraglich. Was also könnte die EZB noch alles tun, um die Finanzmärkte zu beruhigen? So gut wie sicher dürfte sein, dass die Notenbanker ihr im Juli auslaufendes Versprechen verlängern, den Banken jederzeit so viel Liquidität zu geben wie diese wollen. Am Zeitraum, um den diese im Fachjargon „Vollzuteilung“ genannte Maßnahme verlängert wird, werden die Finanzmärkte dann ablesen können, für wie schlimm die EZB die Lage wirklich hält.
Ob die Währungshüter abermals Milliarden in das Finanzsystem pumpen wie zuletzt, erscheint eher fraglich angesichts der bereits wieder schwindenden Wirkung der beiden Feuerstöße der von Draghi in Anlehnung an ein Kriegsgeschütz aus dem Ersten Weltkrieg „Dicke Bertha“ getauften Waffe. Anna Grimaldi von der italienischen Bank Intesa Sanpaolo kann sich dennoch vorstellen, dass Draghi die „Dicke Bertha“ noch einmal abfeuert – vielleicht sogar mit einer noch höheren Reichweite: „Eine Operation mit längeren Laufzeiten würde wahrscheinlich die Lage erst mal wieder beruhigen und dafür sorgen, dass die Furcht vor einem Liquiditätsengpass der Banken in den Peripherieländern abnimmt. Das würde den Banken jedenfalls mehr Zeit geben“, sagt sie.
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Möglich wäre auch, dass Draghi wieder Staatsanleihen von in die Schusslinie der Märkte geratenen Ländern kauft. Zuletzt haben die Währungshüter das entsprechende Programm zwar nicht mehr genutzt – es könnte aber jederzeit reaktiviert werden. Seit Mai 2010 hat die EZB für mehr als 200 Milliarden Euro Bonds der überschuldeten Euro-Länder am Markt gekauft – gegen erbitterten Widerstand der Bundesbank . Deren Chef Jens Weidmann wäre es sicherlich am liebsten, wenn die EZB die Füße stillhält. Doch ob sich Weidmann mit seinen wenigen Verbündeten gegen eine Mehrheit der Südländer im EZB-Rat durchsetzen könnte, bleibt abzuwarten.