Hamburg. Aufsichtsratschef Marcell Jansen hat beim HSV auf fast allen Ebenen den Rückhalt verloren. Tritt er möglicherweise zurück?
Es war ein „guter Tag für den HSV“, sagte Marcell Jansen. Der frühere Linksaußen stand wenige Minuten nach seiner erneuten Wahl zum Vereinspräsidenten an der Außenlinie des Volksparkstadions und sprach über die Herausforderungen des HSV. „Vereint 2025 soll nicht nur ein Schlagwort sein“, sagte Jansen, hellblaues Polohemd, graues Sakko.
Es war der 7. August 2021, die Mitgliederversammlung war soeben zu Ende gegangen. Gemeinsam mit seinen Vizepräsidenten Bernd Wehmeyer und Michael Papenfuß setzte sich Jansen vor allem ein Ziel für seine Amtszeit: den gespaltenen HSV wieder zu vereinen.
Marcell Jansen – der isolierte HSV-Präsident
Ein Jahr und fast vier Monate später steht Jansen wie einst als Fußballer weit außen. Dabei wollte der 37-Jährige eigentlich als Spielmacher das Geschehen beim HSV gestalten und ein gelungenes Kombinationsspiel zwischen dem e. V. und der AG leiten.
Als Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender wäre Jansen in der Theorie dafür der prädestinierte Mann, der zudem durch seine Doppelfunktion im Volkspark noch immer so viel zu sagen hat wie kein anderer. Doch in der Praxis steht Jansen nun ziemlich alleine da.
Jansens Kandidat für HSV-Aufsichtsrat durchgefallen
Das wird er spätestens am Dienstag erfahren haben, als er sich mit Papenfuß und Wehmeyer zur Präsidiumssitzung traf, um über die Neubesetzung des Aufsichtsrats zu entscheiden. Die genauen Inhalte der Sitzung sind zwar noch nicht bekannt, doch schon zuvor sickerte durch, dass Jansen bei der wichtigsten Frage von seinen beiden Stellvertretern überstimmt werden würde.
So soll Hans-Walter Peters auch künftig einer von sieben Aufsichtsräten sein. Jansen wollte den Berenberg-Banker eigentlich aufgrund der Nähe zu Investor Klaus-Michael Kühne ersetzen und stattdessen HanseMerkur-Vorstand Eric Bussert für das Gremium gewinnen. Doch der Marketingmanager des HSV-Hauptsponsors wurde aufgrund einer möglichen Geschäftsverbindung zu Jansen nach Abendblatt-Informationen vom Beirat des e. V. als Kandidat abgelehnt.
Jansen bestreitet zwar, mit seinem Unternehmen S’TATICS über zwei Ecken mit der HanseMerkur zu tun zu haben, und sieht keinen Grund, einen neuen Kandidaten zu finden. Doch der Beirat des Vereins hat dazu ein anderes Urteil gefällt.
Jansen: Streit um HSV-Aufsichtsrätin Schrum
Es ist nicht der einzige Fall, in dem sich das für die Überprüfung der Aufsichtsratskandidaten verantwortliche Vierergremium vom HSV-Präsidenten distanziert hat. Zuvor hatte es schon ein klärendes Gespräch gegeben, weil Jansen behauptet hatte, die geplante Abberufung von Unternehmerin Lena Schrum aus dem Aufsichtsrat sei eine gemeinsame Entscheidung des Beirats und des Präsidiums gewesen. Der Beirat bestreitet das. Eigentlich sollte sich daher der Ehrenrat einschalten. Weil hier aber Aussage gegen Aussage steht, sieht er davon ab.
Jansen hat damit denselben Beirat gegen sich aufgebracht, der ihn vor einem Jahr noch als einzigen Kandidaten für die Wahl zum Präsidenten zugelassen hatte, weil es Bedenken um das Team des Gegenkandidaten Marinus Bester gab. Nun hat Jansen im Beirat viel Vertrauen verloren. Gleiches gilt für seine Beziehung zu den Minderheitsaktionären, die ihm als Aufsichtsratsvorsitzenden in einer gemeinsamen Mail das Vertrauen entzogen hatten.
Noch im März hatte Jansen die letzten 0,74 Prozent Anteile an der HSV Fußball AG an die AMPri Handelsgesellschaft um Geschäftsführer und HSV-Fan Thomas Böhme verkauft. Nun war Böhme einer der Gesellschafter, die Jansen aufgrund seines Verhaltens kritisierten.
Hält nur noch Dinsel zu Jansen beim HSV?
Isoliert ist der langjährige Nationalspieler aktuell auch im Aufsichtsrat. Mit Schrum und Peters wollte Jansen seine größten Kritiker ersetzen. Schrum hatte Jansens Verhalten vor allem in der Phase hinterfragt, in der dieser trotz der vielen Vorwürfe gegen den mittlerweile zurückgetretenen Interimsvorstand Thomas Wüstefeld an seinem Vertrauten festhielt. Jansen hatte Schrum genau wie Peters erst vor einem Jahr selbst in den Aufsichtsrat geholt.
Peters wiederum wandte sich gegen Jansen, weil dieser sich zunehmend von Kühne distanzierte. Dass Jansen den Aufsichtsrat künftig ohne Peters besetzen wollte, hatte Kühne im Abendblatt-Interview als „Stück aus dem Tollhaus“ bezeichnet und sich eine HSV-Zukunft ohne Jansen in der Führung gewünscht. Auch Markus Frömming, der Interessenvertreter von Kühne im Aufsichtsrat, sieht den Kontrollchef mittlerweile kritisch, obwohl die beiden vor einem Jahr noch eng miteinander gearbeitet hatten.
In der Summe hat Jansen beim HSV auf nahezu allen Ebenen die Rückendeckung verloren. Einzig Detlef Dinsel gilt im Aufsichtsrat noch als Verbündeter. Persönliche Konsequenzen schloss Jansen bislang dennoch aus. Er klebe zwar nicht an seinem Stuhl, heißt es. Doch die Entscheidung über den künftigen Kurs will Jansen den Mitgliedern überlassen, die ihn in das Amt gewählt hatten. Bei der nächsten Mitgliederversammlung, die im Januar stattfinden soll, wird es aller Voraussicht nach einen Abwahlantrag gegen Jansen geben. Ob es der Präsident wirklich darauf ankommen lassen wird, ist unklar.
HSV: Was passiert bei Jansen-Rücktritt?
Klar ist, das es im Falle eines vorzeitigen Rücktritts Jansens auf dieser Versammlung keine Neuwahl eines Präsidenten gäbe. Das wäre zeitlich gar nicht möglich, da es durch den Beirat erst eine neue Ausschreibung geben müsste und auch die Überprüfung der Kandidaten dauern würde. Wahrscheinlicher wäre in diesem Fall, dass e.V.-Geschäftsführer Kumar Tschana die Position übergangsweise ausfüllt, wozu er auch berechtigt wäre. Laut Satzung könnte das Präsidium vorerst aber auch nur mit zwei Mitgliedern geführt werden, also mit den Stellvertretern.
Genau das aber wollte Vizepräsident Bernd Wehmeyer verhindern, als er sich im Sommer vergangenen Jahres von Jansen überzeugen ließ, in seinem Team zu kandidieren. Wehmeyer ist bei der HSV Fußball AG angestellt und würde als e.V.-Verantwortlicher in einen Interessenkonflikt geraten. Dass Wehmeyer sich im Präsidium für Kühne starkmacht, könnte ohnehin schon kritisch gesehen werden. Schließlich würde auch er als AG-Mitarbeiter davon profitieren, wenn Kühne den HSV weiterhin finanziell unterstützt.
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Und so stellt sich nun die große Frage, ob es mit Jansen sowohl im Präsidium als auch im Aufsichtsrat noch eine Grundlage für ein vertrauliches Miteinander gibt. Insbesondere in der Konstellation mit Peters und Jansen im Kontrollgremium dürfte das schwierig werden. Von Jansens Konzept Vereint 2025 ist der HSV in jedem Fall weit entfernt. Unvereint 2022 wäre aktuell die passendere Beschreibung.