Wedel. Für den umstrittenen Rathauschef geht es am Sonntag parallel zur Europawahl um seine Zukunft. Das müssen Bürger jetzt wissen.

Am kommenden Sonntag entscheiden in einem Abwahlverfahren alle Wedelerinnen und Wedeler über die Zukunft von Gernot Kaser, seit Mai 2022 Bürgermeister der Stadt. Dass ein Bürgermeister weit vor dem Ende seiner Amtszeit abgewählt werden soll, ist nicht nur ein Novum in der Stadtgeschichte. Es ist auch der Showdown in einer beispiellosen öffentlichen Schlammschlacht, die sich neutralen Beobachtern seit Monaten in Wedel bietet.

Hintergrund dieses Verfahrens sind schwere Vorwürfe gegen Kaser: Binnen knapp zwei Jahren hat der bis zur Abstimmung freigestellte Bürgermeister, 62 Jahre alt und gebürtiger Österreicher, so gut wie alle Entscheidungsträger der Stadt gegen sich aufgebracht – allen voran die Stadtpolitik. Das Verhältnis zwischen allen Parteien in der Ratsversammlung und dem Rathauschef ist von Misstrauen und gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägt. Auch die Rathausmitarbeiter, deren Chef Gernot Kaser ist, lassen in einer Umfrage kein gutes Haar an ihrem Vorgesetzten. Hinzu kommt ein Dauerclinch mit dem Marketingverein und zuletzt noch ein offener Streit mit der politisch eigentlich neutralen Stadtsparkasse.

Abwahl in Wedel: Das müssen Bürger zur Abstimmung gegen Gernot Kaser wissen

Die Folge vor dem Abwahltermin: Stadt und Bürger müssen auf einen Taktgeber in der Verwaltung bei den nicht wenigen drängenden Problemen verzichten. Die Geschäfte im Rathaus führt bis auf Weiteres (und relativ geräuschlos) Julia Fisauli-Aalto (CDU) als Stellvertreterin des Bürgermeisters. Zudem ermittelt das Land Schleswig-Holstein in einem Disziplinarverfahren gegen Kaser, die Staatsanwaltschaft geht Anzeigen der Stadt wegen Untreue gegen ihn nach. Kaser selbst hat Anzeige wegen Verleumdung gestellt und behauptet trotz der Vielzahl der unabhängig voneinander agierenden Kritiker, es laufe eine Kampagne gegen ihn.

Bis zum 9. Juni führt Wedels stellvertretende Bürgermeisterin Julia Fisauli-Aalto die Amtsgeschäfte.
Bis zum 9. Juni führt Wedels stellvertretende Bürgermeisterin Julia Fisauli-Aalto die Amtsgeschäfte. © Frederik Büll | Frederik Büll

An diesem Sonntag, 9. Juni, müssen nun die Bürger in Wedel entscheiden, ob sie trotz einer nur noch schwer vorstellbaren konstruktiven Zusammenarbeit aller Beteiligter an Bürgermeister Kaser festhalten wollen oder eine Neuwahl bevorzugen. Deshalb beantwortet das Abendblatt in einem großen Überblick die zehn wichtigsten Fragen zur weichenstellenden Entscheidung.

1. Warum gibt es überhaupt ein Abwahlverfahren in Wedel?

In der gut zweijährigen Amtszeit des Bürgermeisters ist es zu einem Zerwürfnis mit der Stadtpolitik, den eigenen Mitarbeitern, dem Verein Wedel Marketing und nun sogar der Stadtsparkasse gekommen. Die Stadtpolitik spricht unter anderem von einem gestörten Vertrauensverhältnis zum Bürgermeister, wirft ihm Falschaussagen und kompetenzüberschreitende Alleingänge vor, die nicht der Gemeindeordnung des Landes Schleswig-Holstein entsprechen. Kurz gesagt: Kaser halte sich nicht an die demokratischen Spielregeln.

Diese offenkundig gestörte Zusammenarbeit von Verwaltung, Politik, Sparkasse und Rathauschef, gepaart mit Disziplinarverfahren und Anzeigen gegen Gernot Kaser, reiche aus Sicht der Politik aus, ein Abwahlverfahren zu initiieren. Gemäß Paragraph 57d Absatz 1 der Gemeindeordnung bedarf es eines Beschlusses des Rates mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder, um ein Abwahlverfahren gegen den Bürgermeister einzuleiten. Am Gründonnerstag entschieden sich 38 von 39 anwesenden Ratspolitikern über alle Parteigrenzen hinweg dafür, dem Bürgermeister auf dieser Grundlage das Vertrauen zu entziehen. Die Bürger entscheiden nun als Souverän über die Zukunft von Gernot Kaser im Wedeler Rathaus.

2. Was wird Bürgermeister Gernot Kaser konkret vorgeworfen?

Eine mangelhafte Zusammenarbeit und Probleme in der Amtsführung sehen laut interner Umfrage die eigenen Rathaus-Mitarbeiter, der dazugehörige Personalrat der Stadt Wedel, das Stadtmarketing oder auch die Stadtsparkasse. Kaser ist laut der Personalumfrage im November 2023 unbeliebt, soll Mitarbeitern nicht vertrauen, sie mitunter einschüchtern und bedrohen. Zudem wird ihm vorgeworfen, Sachthemen inhaltlich nicht durchdringen zu können.

Es läuft auch ein Disziplinarverfahren der Kommunalaufsicht gegen ihn, weil ein Mitarbeiter behauptet, er sei vom Bürgermeister bedrängt worden, Rechnungen zu unterschreiben. Wegen des Verdachts der Untreue – juristische, persönliche Beratungen von Kaser sind von der Stadtkasse bezahlt worden – hat die Stadt Wedel Strafanzeige gegen ihn gestellt. Die Politik hat beschlossen, das Geld vom Bürgermeister zurückzufordern. Der Bürgermeister hat ebenfalls Strafanzeige gegen die Stadt Wedel gestellt, unter anderem wegen übler Nachrede und Verleumdung.

Gernot Kaser und Wedel Marketing befinden sich zudem im Dauerclinch. Kaser möchte unter anderem das Stadtmarketing professioneller gestalten. Das Stadtmarketing soll nach eigenen Angaben für alle Ideen offen sein – konkret habe es von Kaser, der die Zusammenarbeit gern schon Ende 2023 mithilfe der Politik gekündigt hätte, jedoch nie Vorschläge gegeben, meint der Marketingvorstand. Zudem wäre er selten bei Vorstandssitzungen dabei gewesen, obwohl er durch das Amt zum Vorstand von Wedel Marketing gehört. Kaser wirft den Ehrenamtlern überdies vor, privatwirtschaftliche Interessen bei städtischen Veranstaltungen zu verfolgen. Belegt wurde das nicht, Unregelmäßigkeiten bei jährlichen Rechnungsprüfungen seien nie festgestellt worden, entgegnet das Stadtmarketing.

Die Stadtsparkasse und Gernot Kaser streiten sich wiederum um Zinszahlungen an die Stadt aus einem Anleihegeschäft. Zuletzt wies die Sparkasse, deren Verwaltungsratsvorsitzender Gernot Kaser qua Amt seit zwei Jahren ist und demnach in alle Vorgänge eingebunden sei, die Aussage des Bürgermeisters „in aller Deutlichkeit zurück“, dass es um die Stadtsparkasse Wedel ein „Spiel“ gebe und sie gegebenenfalls der „Schlüssel für das Abwahlverfahren“ sei. Die Stadtsparkasse Wedel sei und bleibe politisch neutral sowie ihrer Satzung verpflichtet.

Die Wedeler Ratsversammlung hat das Abwahlverfahren gegen Gernot Kaser eingeleitet.
Die Wedeler Ratsversammlung hat das Abwahlverfahren gegen Gernot Kaser eingeleitet. © privat | Privat

Auf politischer Ebene hatte bereits der „alte“ Rat keine vernünftige Basis mit Kaser gefunden. Das änderte sich auch nach der Kommunalwahl 2023 in neuer Zusammensetzung nicht. Die Politiker werfen Kaser bewusste Täuschungsmanöver vor, etwa bei der Schließung der Kita „Kleine Strolche“. Generell entscheidet die Politik über das Geschehen in Wedel, der Bürgermeister und das Verwaltungsteam bereiten diese Beschlüsse vor – und sorgen für die Umsetzung.

3. Wie läuft die Entscheidung am 9. Juni ab?

Abgestimmt wird wie bei allen Wahlen in der Zeit von 8 bis 18 Uhr – das Wedeler Stadtgebiet ist wie üblich in 16 Abstimmungsbezirke eingeteilt. Das jeweilige Abstimmungslokal ist auf der Abstimmungsbenachrichtigung angegeben.

4. Wie lautet die Abstimmungsfrage und welche Antwort bedeutet was?

Die Abstimmungsfrage auf dem Wahlzettel, der in den jeweiligen Wahlbüros parallel zu den Stimmzetteln der Europawahl ausgegeben wird, lautet: „Soll Bürgermeister Gernot Karl Kaser abgewählt werden?“ Wer möchte, dass der amtierende Bürgermeister abgewählt wird, kreuzt also „ja“ an. Wer Gernot Kaser im Amt behalten will, macht das Kreuz bei „Nein“.

5. Wie viele Stimmen sind für eine Abwahl nötig?

Von den 27.410 stimmberechtigten Wählern müssen mindestens 20 Prozent mit „Ja“ stimmen, damit der derzeit freigestellte Amtsinhaber seinen Posten räumen muss - das entspricht 5482 Stimmen. Die Abwahl ist gescheitert, wenn weniger als 20 Prozent der Stimmberechtigten mit „Ja“ stimmen oder wenn mehr Stimmberechtigte mit „Nein“ stimmen. Die Zahl der Abstimmungsberechtigten am Abstimmungstag ist für diese Berechnungen maßgeblich. Also: Wird die 20-Prozent-Hürde nicht erreicht – oder es gibt mehr „Nein“-Stimmen, bleibt Kaser bis zur nächsten Bürgermeisterwahl 2028 im Amt. Da am 9. Juni auch die Europawahl stattfindet, wird mit einer Mindestwahlbeteiligung von 20 Prozent gerechnet. Der Versuch Genot Kasers, den Wahltermin zu verschieben, wurde zuvor gerichtlich abgeschmettert.

6. Europawahl oder Bürgermeisterwahl: Welche Stimmen werden zuerst gezählt?

Nach Schließung der Wahllokale um 18 Uhr werden zunächst die Stimmen der Europawahl ausgezählt. Anschließend wird dann das Votum zur Abwahl des Bürgermeisters geprüft. Das Ergebnis wird voraussichtlich erst in den späten Abendstunden feststehen.

7. Was passiert, wenn Gernot Kaser abgewählt wird?

Bei einer erfolgreichen Abwahl tritt der Amtsinhaber mit Feststellung des Ergebnisses in den einstweiligen Ruhestand ein. Gemäß Gemeindeordnung muss die Wahl zur Neubesetzung der Stelle spätestens sechs Monate nach Freiwerden der Stelle erfolgen. Zu dieser Wahl könnte auch Gernot Kaser wieder antreten, sofern er – wie alle anderen Bewerber auch – erneut die notwendigen Unterschriften vorher einsammeln kann. Der 62 Jahre alte Amtsinhaber hat während seiner Freistellung bis zum Juni sein volles monatliches Gehalt bezogen. Dies soll nach Abendblatt-Informationen mehr als 9700 Euro brutto (Besoldungsgruppe B5) betragen. Auch im Fall seiner Abwahl stehen ihm bis zum Ende seiner Amtsperiode im Mai 2028 monatlich 71,75 Prozent davon zu. Bei einem Rücktritt würden diese Ansprüche entfallen.

8. Was passiert, wenn der Bürgermeister nicht abgewählt wird?

Nach der Abstimmung stellt der Gemeindeabstimmungsausschuss das Ergebnis in seiner öffentlichen Sitzung voraussichtlich am 20. Juni 2024 fest. Sollte die Abstimmung zum Ergebnis haben, dass Gernot Kaser als Bürgermeister nicht abgewählt ist, kann er nach der Feststellung dieses Ergebnisses durch den Gemeindeabstimmungsausschuss seine Amtsgeschäfte direkt wieder aufnehmen.

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Die Politik hatte unmittelbar nach dem eingeleiteten Abwahlverfahren für dieses Szenario erklärt, den Willen des Wählers zu respektieren. Da die Fronten allerdings verhärtet sind, erscheint eine vernünftige Zusammenarbeit bis zum Jahr 2028 schwer vorstellbar. Möglicherweise könnten Politiker ihr Ratsmandat niederlegen. Der Personalrat der Stadt Wedel hatte bereits prophezeit, dass ein Drittel der gut 450 Verwaltungsmitarbeiter im Fall einer Bestätigung ihres Chefs ihren Job kündigen werden.

9. Wie hoch wären die Kosten für die Stadt Wedel im Fall einer Neuwahl des Bürgermeisters?

Die Kosten für eine Neuwahl binnen der kommenden sechs Monate werden von der Verwaltung auf 80.000 Euro geschätzt.

10. Wo und wann finden Bürger das Abstimmungsergebnis?

Das Abstimmungsergebnis finden Interessierte wie von Wahlen gewohnt direkt nach Auszählung aller Stimmen auf abendblatt.de sowie der Stadtseite wedel.de. Eine öffentliche Präsentation findet nicht statt. Erst wenn die Stimmen zur Europawahl ausgezählt und an die Landeswahlleitung übermittelt worden sind, wird mit der Auszählung der Stimmen zur Abstimmung über die Abwahl des Bürgermeisters begonnen. Deshalb wird mit einem vorläufigen Endergebnis für die Abstimmung erst von 20 Uhr an gerechnet.