Wedel. Wähler entscheiden, ob der Bürgermeister bleibt. Kritik: Fehlendes Demokratieverständnis. Was Verschwörungstheorien damit zu tun haben.

Ratsherr Dr. Detlef Murphy ist Diplom-Politologe und hat ein jahrzehntelanges Faible für Theater und Film. Nach der Ratsversammlung am Gründonnerstag, in der die Einleitung des Abwahlverfahrens von Bürgermeister Gernot Kaser politisch klar beschlossen worden war, verglich er auf der Pressekonferenz die Situation in Wedel mit dem Film „Die Caine war ihr Schicksal“ von 1954.

Dort wird ein Schiffskapitän bei einer Meuterei abgesetzt, um das Schiff zu retten. „Mir scheint, der Bürgermeister hat das Wesen der kommunalen Demokratie nicht verstanden“, meint Murphy. Der über die Kommunalwahl gewählte Rat sei der Vertreter des Souverän – also des Wedeler Wählers. Und eben nicht ein Bürgermeister, der in diesem System weitgehend eine ausführende Rolle einnehme.

Wedel: Bürgermeister maße sich mehr Rechte an, als ihm zustünden

Und dieses Verständnis sei nach Meinung des sogenannten Ältestenrats – gemeint sind damit die Fraktionsspitzen Julia Fisauli-Aalto (CDU), Dagmar Süß (Bündnis 90/Die Grünen), Lothar Barop (SPD), Angela Drewes (WSI), Nina Schilling (FDP) und Murphy (Die Linke) bei Kaser, dessen Amtsgeschäfte nun bis zum Bürgerentscheid am 9. Juni ruhen, nie gewachsen.

Er überschätze seine Befugnisse und maße sich mehr Rechte an als beispielsweise „der Bundeskanzler gegenüber dem Bundestag“, so Murphy. Immer wieder hätten alle Politiker, über die Parteigrenzen hinweg, kommunikativ auf Kaser eingewirkt. „Die gereichten Hände“ und „Vier-Augen-Gespräche“ in der bald zweijährigen Amtszeit seit Mai 2022 könnten gar nicht mehr gezählt werden. Seit Wochen, sogar Monaten habe es nun fraktionsübergreifend einen intensiven Austausch gegeben, ehe der Entschluss stand, das Abwahlverfahren zu starten.

Wedel Nord oder Kita Kleine Strolche: Kaser verprellt die Wedeler Politik

Und es wurden konkrete Beispiele, wie Kaser der Politik vor den Kopf stieß, genannt. Etwa bei der Schließung der Kita Kleine Strolche. Der Bürgermeister hatte den Termin für ein Gespräch verschoben, und teilte dann beim neuen mit, dass tags zuvor die Einspruchsfrist für einen Bauaufsichtsbeschluss abgelaufen sei. „Da wurde die Politik von ihm einfach gelinkt“, sagt Süß.

Auch die öffentliche Positionierung Kasers gegenüber Wedel Nord habe die Ratspolitiker verärgert, denn: „Wenn der Rat entscheidet, dass es gebaut werden soll, ist es die Pflicht und Schuldigkeit des Bürgermeisters, die Beschlüsse durchzusetzen“, so Murphy. Damit sei er dem Rat in den Rücken gefallen, dem Planungsausschuss und „auch den Mitarbeitern der Bauverwaltung“.

Plötzliche Kehrtwenden sorgen für Irritationen bis Verärgerungen

Stadtpräsident Julian Fresch (r.) vereidigt die kommissarischen Bürgermeister Wedels. Die Stellvertreterinnen sind Julia Fisauli-Aalto (CDU) und Tobias Kiwitt (Bündnis 90/Die Grünen).
Stadtpräsident Julian Fresch (r.) vereidigt die kommissarischen Bürgermeister Wedels. Die Stellvertreterinnen sind Julia Fisauli-Aalto (CDU) und Tobias Kiwitt (Bündnis 90/Die Grünen). © Frederik Büll | Frederik Büll

Genannt wird auch die Ratssitzung vom 23. November des Vorjahres, als er den Personalrat öffentlich anwies, die Gründe für die miese Stimmung detailliert herauszufinden – obwohl er längst alle Ergebnisse der Befragung aus einer vorherigen nicht-öffentlichen Sitzung gekannt habe. Mehrfach sei in Sitzungen des Ausschusses für Bildung, Kultur und Sport darüber gesprochen worden, dass der gebundene Ganztag als Schulform an der Albert-Schweitzer-Schule bleiben solle.

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„Gernot Kaser nimmt es zur Kenntnis, äußert sich nicht. Dann erklärt er wenige Tage später bei der Einwohnerversammlung, dass haushaltstechnisch gesehen ein offener Ganztag doch viel günstiger wäre“, sagt Murphy. Solche plötzlichen Kehrtwenden seien Zeugnis dafür, dass „der Wähler ihm immer wichtiger war als die Politik“. Kasers terminliche Unzuverlässigkeit, auch Unternehmen aus der Wirtschaft gegenüber, sei ebenfalls problematisch zu bewerten

„Verschwörungstheorie“ im Internet sorge für „Wunden, die nicht so schnell verheilen“

Auch die vor allem im Internet in den Wedeler Facebook-Gruppen verbreitete „Verschwörungstheorie“, dass der Bürgermeister das Opfer einer Hetzkampagne, eines Komplotts aus Verwaltung, Politik und Presse sei, quasi dass „finstere Kräfte“ nun das Wahlergebnis von 2022 rückgängig machen wollten, inklusive der niveaulos geführten Diskussionen würde laut Murphy „Wunden aufreißen, die nicht so schnell verheilen“.

Muss um den Job als Verwaltungschef zittern: Wedels Bürgermeister Gernot Kaser ist von der Politik vorläufig seines Amtes enthoben worden. Nun entscheiden die Wedeler über die Abwahl.
Muss um den Job als Verwaltungschef zittern: Wedels Bürgermeister Gernot Kaser ist von der Politik vorläufig seines Amtes enthoben worden. Nun entscheiden die Wedeler über die Abwahl. © Frederik Büll | Frederik Büll

Sollte der Bürgermeister im Amt bestätigt werden, würden die Politiker die Entscheidung der Wedeler natürlich respektieren, bis zum Termin am 9. Juni wolle man jedoch gemeinsam – auf rechtlich sicherem Boden – öffentliche Aufklärungsarbeit leisten.

Die neue stellvertretende Bürgermeisterin Julia Fisauli-Aalto sagte bereits nach ihrer Vereidigung auf der Ratssitzung: „Ich hätte sicherlich nicht damit gerechnet, hier jetzt Übergangsbürgermeisterin zu werden. Aber ich werde nun nach bestem Wissen und Gewissen, politisch neutral und teamorientiert das Amt ausüben.“