Der von der Schleswig-Holsteinischen Polizei befürchtete Bandenkrieg zwischen den Motorrad-Gangs Hells Angels und Bandidos (das Abendblatt berichtete) ist nicht die einzige Sorge der Ermittler.
Denn längst handelt es sich nicht mehr einfach um "Rocker", die für Gewalt und Schutzgelderpressungen verantwortlich sind. Der Mythos von langhaarigen Motorrad-Rockern, die unter dem geflügelten Totenkopf-Emblem prügelnd Angst und Schrecken verbreiten, wandelt sich.
Statt langer Haare und Lederklamotten treten Hells Angels heute gern auch kurz geschoren im Anzug - und durchaus mit Manieren - auf. Denn die Rocker-Gang etabliert sich nach Kripo-Erkenntnissen auch außerhalb ihrer klassischen Kriminalität: Sie wächst langsam in legale Geschäftsbereiche hinein. Mit Immobilienaufkäufen und Geschäftsübernahmen macht sie über Strohleute die ersten Schritte in die Finanzwelt.
Geldwäsche spielt dabei nach Überzeugung der drei Landeskriminalämter von Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen eine Rolle.
"Es ist reine organisierte Kriminalität, die die Hells Angels betreiben", sagt der Leitende Kriminaldirektor Volker Kluge vom LKA Hannover, wo acht Sonderermittler sich nur um die Motorrad-Gangs kümmern. Es gibt nach Erkenntnissen der Polizei in den drei Nord-Ländern nur 82 echte Mitglieder, die jedoch mit ihrer paramilitärischen Organisation und dem Aktionsradius ihrer Motorräder einen kleinen Staat im Staate bilden - und sie haben Hunderte Unterstützer.
Es geht wie früher um Gebietsansprüche, Machtverteilung, aber auch um ein neues Image als seriöse Eventmanager, Partymacher, Security-Unternehmer.
Hells Angels als Drahtzieher im Finanzgeschäft - eine Horror-Vorstellung für Kripobeamte, denn in keiner anderen kriminellen Vereinigung in Deutschland werde das "Gesetz des Schweigens" so brutal verfolgt wie bei den Hells Angels.
Im Fokus der Ermittler stehen Hannover, die deutsche "Angels"-Zentrale und "der Lange", Frank H., Chef der Deutschen Hells Angels, 2001 wegen gefährlicher Körperverletzung zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt - eine ehemalige Hamburger Kiezgröße. Und ein Mann, der heute auch gern mal im Anzug als Geschäftsmann auftritt. Seine "Manieren" kommen bei manchen an. Ein Hannoveraner Oberbürgermeisterkandidat Clemens Stroetmann (CDU) lobte vor Pressekameras Frank H., weil der Hannovers Rotlichtmeile "sicher" gemacht habe. Was Frank H. freute und den Politiker die Kandidatur kostete.
Der Arm des "Langen" reicht bis nach Hamburg. Kein Motorradfahrer - auch keiner aus einem anderen Klub - trägt hier eine "Kutte", das ist eine Weste mit Klub-Insignien, das "Heiligste". Die Hells Angels bekennen sich auch ganz offen zur Gewalt. Ein Mann, Rudolf T., der sich mit Vorliebe "Django" nennen lässt und Vize-Präsident des "Charter West Side" ist, sagt gern vor TV-Kameras: "Für mich ist Gewalt unabänderlich ein Teil der menschlichen Natur."
Hamburg ist bei den Angels ein Sonderfall, weil hier das Klub-Verbot besteht. Offiziell gibt es sie nicht. Inoffiziell gibt es längst einen Nachfolge-Klub; der nennt sich "Harbour-City" und hat sich in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt. Felix Schwarz, stellvertretender Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität beim Hamburger Landeskriminalamt, sagt zur Rolle der Rocker im Hamburger Rotlicht: "Es gibt viele Typen an den Türen, die den Hells Angels nahe stehen, mit ihnen sympathisieren und deren Unterstützer-T-Shirts tragen." Dennoch sei die Lage im Griff: "Die Hells Angels in Hamburg machen keine Machtdemonstrationen; sie wirken in dem Umfeld, das wir kennen", sagt Felix Schwarz.
In Hannover ist alles anders; hier liegt nicht nur die Hauptstadt des Klubs. Sondern auch das, was die Polizei am meisten fürchtet: ein Viertel, das die Hells Angels übernommen haben, der "Party-Plan". Das ist ein Rotlicht- und Eventquartier im Steintorviertel, das zu 90 Prozent vom Klub kontrolliert werde. Der Hannoveraner Hells-Angels-Präsident Frank H. hat das in nur neun Jahren aufgebaut.
Die alarmierende Entwicklung des Hells Angels folgt nach Polizei-Erkenntnissen einem Drei-Phasen-Modell: Phase 1: Prügeln, Kutte tragen, Macht und Gewalt offen zeigen. Phase 2: Schleichend in die Legalität wachsen, dabei illegales Geld einsetzen, ganze Straßenzüge und Viertel aus der Schmuddelecke in einen Eventbereich umfunktionieren. Phase 3: In die Finanzwelt gehen. Über Strohleute Immobilien kaufen. Die Marke Hells Angels über Medien im Eventbereich etablieren.
Kluwe: "Wir gehen davon aus, dass in Hannover die Phase 3 begonnen hat." Das habe schon manchmal kuriose Züge. Selbst ältere Zuhälter, die die Pensionsgrenze überschritten haben, würden plötzlich Mitglieder der Motorradgang werden, Kutte tragen, und im "Party Plan" Harley fahren.
Die "Hells Angels" betreiben eine sehr aufwendige Medienarbeit auch über ihre Internetauftritte und Werbung für ihr mittlerweile großes Merchandising-Programm.