Schneverdingen. Traumatisierte Schweine und Käfighühner: Auf einem Hof bei Schneverdingen schöpfen Vierbeiner neue Hoffnung. So kann man ihn besuchen.
Mitten in der Lüneburger Heide, wo der Raps auf den Feldern leuchtet, Bienen in blühenden Apfelbäumen summen und hunderte Jahre alte Höfe das Ortsbild prägen, werden noch Märchen wahr. Zum Beispiel in Großenwede bei Schneverdingen. Dort rettet eine ehemalige Hamburger Schauspielerin Käfighühner, Straßenhunde, heimatlose Hamster und Katzen.
Und sie gibt Pflegekindern ein Zuhause. Fast nebenbei hat sie in dieser Idylle auch noch ihren Prinzen gefunden – und geheiratet. Eines der neuesten Projekte von Julia Finkelberg ist ein kulturelles. Am Freitag vor Pfingsten, 17. Mai, veranstaltet sie erstmals einen Poetry Slam in ihrem Domizil im Heidekreis.
Lebenshof in der Lüneburger Heide: Wo traumatisierte Schweine vor Freude grunzen
Unablässig wuselt Julia Finkelberg, ein graziles, zartes Persönchen, auf dem Hof des Fachwerkhauses an der Dorfstraße hin und her. Mal schiebt sie eine Ladung Stroh zum Putenstall, wo sich ihr eine Putenhenne mit weit geöffneten Flügeln zum Schmusen anbietet – unter den neidischen Blicken eines Prachtputers. Mal schaut sie bei den Gänsen nach dem Rechten.
Und das ist wirklich ein Hingucker: Das Gänsepaar Herr und Frau Meyer, seit zehn Jahren glücklich miteinander, liefert immer mal wieder ein Schreiduett der Extraklasse ab. Ihre Lautstärke wurde den Tieren einst zum Schicksal, denn der Besitzer wollte sie so schnell wie möglich loswerden. In Großenwede dürfen sie nun lärmen, soviel sie mögen.
Spenden und Patenschaften finanzieren die Mission, Tieren zu helfen
Gerade kommt die junge Tierretterin aus dem Stall, wo sie eine „Notaufnahme“ hatte: Ein dunkelgefärbtes Kaninchen, das – nun behaglich unter der Wärmelampe sitzend – sein Glück noch gar nicht fassen kann. „Ich habe den armen Kerl, der aus einem verwahrlosten Käfig kommt, erstmal gebadet, um eventuelle Schädlinge abzutöten“, sagt Julia Finkelberg, die viele unter ihrem Mädchennamen Kröger kennen.
Tieren zu helfen ist ihre Mission. Geld verdient sie damit nicht. Was sie tut, finanziert sie durch Spenden und Patenschaften, die Tierfreunde für die gequälten Kreaturen übernehmen.
Den Großteil ihres Lebens hat Hündin Cindy in einem Käfig verbracht
Alle Tiere, die auf dem Hof leben, teilen eine schlimme Vergangenheit. So wie Cindy. Eine federleichte, schneeweiße Wolke von Hund, dessen rosa Zunge fast kokett aus dem Mäulchen hängt. „Cindy hat keine Zähne mehr“, erklärt ihre Wohltäterin. „Sie hat den Großteil ihres Lebens als Gebärmaschine einer Hundezucht in einem Käfig im Keller verbracht.“
Doch auf ihre alten Tage scheint die Hundedame das Vertrauen in Menschen wiedergewonnen zu haben. So wie auch die anderen Mitglieder der fünfköpfigen Hundemeute, die Julia Finkelberg, die alle nur Juli nennen, auf Schritt und Tritt folgt. Und es sind viele Schritte an diesem Morgen auf dem weitläufigen Gelände. Akkord könnte man die Arbeit nennen, die sich die Tierfreundin aufgehalst hat.
Rückblick: „Schreien der Schweine und Gestank waren die Hölle auf Erden“
Schon als 16-Jährige hat sie auf dem Hof in Großenwede gelebt. Ihr Stiefvater züchtete damals noch Schweine. Als er krank wurde, übernahmen Juli und ihre Schwester das Verladen der Tiere für den Transport zum Schlachthof. „Das Schreien der Schweine, der Gestank – rund um die Uhr war das die Hölle auf Erden“, erinnert sie sich. Seither ist sie überzeugte Veganerin.
Mit 18 floh die Heidjerin in die Stadt, absolvierte in Hamburg eine Schauspielausbildung. Trat auf Bühnen in Hildesheim und Wilhelmshaven auf. Und lernte ihren ersten Ehemann kennen. Eine Familie zu gründen, war ihr wichtiger als die Karriere. Julia bekam einen Sohn, zog nach Brandenburg. Und scharte dort schon viele Tiere um sich.
Bei der Rückkehr hatte der Stiefvater die Schweinezucht aufgegeben
Als die Ehe auseinanderging, kehrte sie mit 28 Jahren auf den Hof in Großenwede zurück, wo sie mit offenen Armen empfangen wurde. Ihr Stiefvater hatte die Schweinezucht inzwischen aufgegeben. Und Julia bekam die Möglichkeit, etwas Eigenes aufzubauen. Es entstand ein Mehrgenerationenhaus, für das die Spielregeln erst gefunden werden mussten.
Auch das gelang. „Jeder weiß um seinen Platz. Und alle ziehen an einem Strang“, erklärt die junge Frau. Die liebevoll gepflegten Beete, die schönen Sitzplätze inmitten freier Natur und vor allem die Auffangstation „Land of Healing“ – das alles ist Julis Werk.
Bei den Yoga-Kursen auf dem Lebenshof sind die Hunde immer dabei
Neben ihrem Fulltime-Job als Tierpflegerin und Mutter zweier kleiner Kinder ist sie Yoga-Lehrerin. Viermal die Woche wird trainiert, und zwar direkt auf dem Hof. Die Hunde machen mit, „die Teilnehmerinnen lieben das“. Die Einnahmen aus den Yoga-Kursen helfen Juli, die sich nebenher noch als Heilpraktikerin ausbilden lässt, die Tierhaltung zu finanzieren.
In jedem Wesen, das zu ihr kommt, entdeckt die Heidjerin „einen neuen Kosmos, ein neues Energiefeld“ und bekennt: „Es ist gut, dass mein Stiefvater mir Grenzen bei der Neuaufnahme setzt, ich könnte niemals nein sagen.“
„Land of Healing“: Auch Tierschutzorganisationen unterstützen das Projekt
Mittagszeit: Julis Ehemann Benedikt kommt mit Gemüseresten vorgefahren, die die Tafel für die Tiere gespendet hat. Auch Tierschutzorganisationen unterstützen das „Land of Healing“. Ein Anreiz sind die Beiträge über das Leben auf dem Hof, die Juli auf Instagram postet und die ihr helfen, für ihre Tiere Paten zu finden.
Zum Beispiel für Berta und Schoki, zwei Schweinedamen. Im Kastenstand sollten die sensiblen Tiere zur Schnitzelreife gemästet werden. Sie konnten sich kaum bewegen, nicht hinlegen und mussten den durchdringenden Gestank ertragen, der typisch für nicht artgerechte Tierhaltung ist.
Glücklicherweise wurden sie gerettet und wohnen jetzt bei Juli im Stall, in direkter Nachbarschaft zu einer Hühnerschar, die öfter vorbeikommt, um die Körnerreste aus Trog und Maul der rosa Riesen zu picken. Berta ist die Ruhe selbst und geht täglich auf dem Hof spazieren. Schoki – benannt nach dem schokofarbenen Fleck auf ihrer Schweineschnauze – ist noch immer so traumatisiert, dass sie sich nicht nach draußen traut.
Tiere helfen traumatisierten Kindern, ihre Emotionen zu regulieren
Aber ihre Erziehungsaufgabe für den einjährigen Neo nimmt sie ernst. Das Ferkelchen darf erst fressen, wenn seine Tanten Berta und Schoki satt sind. Täglich werden die Tiere mit der Bürste gereinigt und mit Kokos-Lavendelöl eingerieben. Einmal im Monat kommen die Schweine-Pateneltern – zum Streicheln und Schmusen.
„Land of Healing“ – der Name ist auf dem Lebenshof Programm. Nicht nur Tieren wird hier die Chance gegeben, wieder heil zu werden an Körper und Seele.
Der gute Geist des Ortes wirkt auch auf Menschen positiv. Eines der Pflegekinder, die die Familie im Mehrgenerationenhaus aufnahm, ein scheuer Junge mit vielen Behinderungen, saß bald stundenlang im Hühnerstall, wo die Tiere auf seinem Kopf und Schoß hockten, während er ihnen etwas vorlas. „Die Tiere haben dem traumatisierten Kind geholfen, seine Emotionen zu regulieren“, berichtet Juli.