Hamburg. Zwei Hamburger Tierschützer sind in eine Schweinezucht eingebrochen – ihre Videoaufnahmen sind grauenhaft.
Es fing ganz nett und lustig an. Zwei Freunde starteten vor wenigen Jahren einen Selbstversuch: Würden wir es schaffen, uns vegan zu ernähren? Nie mehr Schnitzel, nie mehr McDonald’s, keine Milch, kein Käse mehr? Sie gründeten dazu auf YouTube den Kanal „Vegan ist ungesund“. Schnell erreichten ihre lustigen Clips über Veganismus und Umweltthemen immer mehr Leute, heute hat der Kanal 140.000 Abonnenten.
Viele Hundert mit Sars-CoV-2 infizierte Arbeiter in deutschen Schlachthöfen lenken nun noch mehr Blicke auf ihre These, nämlich dass es eine Industrie gibt, in der Tiere und Menschen ausgenutzt werden. „Das ganze System beruht auf Ausbeutung“, sagt Gordon Prox. „Die Arbeiter schneiden im Akkord für wenig Geld Schweinen die Kehlen durch und bekommen für 60 Stunden nur 1200 Euro brutto.“ Der Arzt Aljosha Muttardi verweist neben den harten Arbeitsbedingungen auf das hohe Infektionsrisiko und die posttraumatischen Belastungsstörungen.
Aljosha Muttardi: „Für mich war es die Hölle auf Erden“
Der Unternehmer Prox und der Arzt Muttardi sind nicht nur YouTube-Schnacker, sie handeln selbst. Im vergangenen Jahr wollten sie sich ein Bild über die Nutztierindustrie machen und schlichen sich nachts gemeinsam mit Tierrechtlern vom Deutschen Tierschutzbüro in eine Schweinezucht im Münsterland. In dem Betrieb wurden mehr als 500 Zuchtsauen und mehrere Zehntausend Ferkel gehalten. Die vorgefundenen Zustände waren katastrophal: blutende, verletzte und tote Tiere. Ein kleines Ferkel liegt beispielsweise wimmernd auf dem Boden und stirbt so langsam vor sich hin. Andere liegen im Plastikmülleimer. Müttersäue können sich in dem engen Gehege nicht umdrehen zum Nachwuchs oder zerquetschen ihn.
Wer empfindlich ist (oder einfach nur ein Herz hat), kann diese Aufnahmen kaum anschauen. „Ich weiß, es ist kaum auszuhalten“, sagt der 33-jährige Prox. „Doch jeder, der tierische Produkte konsumiert, ist eigentlich verpflichtet, es anzusehen.“ „Es gibt keine Beschreibung für das, was wir da drinnen gefühlt haben“, sagt Aljosha Muttardi und hat Tränen in den Augen. „Für mich war es die Hölle auf Erden. Ich habe in die Augen der Tiere gesehen und sah gebrochene Seelen.“
Tiere werden psychotisch
Der 32-Jährige arbeitet als Anästhesist im Klinikum Heidberg. In der Schweinezucht entdeckte er allerdings fast mehr Antibiotika als bei sich am Krankenhaus. Die Medikamente werden den Tieren kiloweise verabreicht. Rein präventiv aufgrund der schlechten hygienischen Zustände. Überall Kot und Blut. Tiere, die unter Platzmangel leiden, werden psychotisch und beißen sich gegenseitig die Ohren ab.
Natürlich mussten die beiden YouTuber sich dem Vorwurf stellen, mit dem Einbruch eine Straftat begangen zu haben. „Wir sollten uns fragen, was legal oder illegal ist“, sagt Muttardi. „Jeder, der die Aufnahmen anschaut, sagt: ‚Wie grausam, das muss bestraft werden!‘ Doch das geht gar nicht so leicht. Es ist erlaubt, ein Ferkel auf den Boden zu legen, ihm mit einem Hammer den Kopf zu zertrümmern und dann ein Messer in sein Herz zu rammen.“
Die gewagte Aktion stand im Fokus
Prox und Muttardi wollten den Fokus nicht auf ihre gewagte Aktion setzen, es ging ihnen nicht darum, Strafanzeige gegen den einen Betrieb zu erstatten. „Wir verändern nichts, indem wir auf den einen Landwirt oder den einen Schlachtbetrieb zeigen. Wir alle sind Teil des Problems“, sagt Muttardi. Es gehe um die grauenhafte Fleischindustrie an sich. „Ein Tisch hat mehr Grundrechte als ein Lebewesen. Unser Videomaterial stellt die Information dar, die wir dem Verbraucher geben wollten: Mit unserem Konsum sorgen wir für diese Zustände.“
Dabei sei es so leicht heutzutage, auf tierische Produkte zu verzichten. Tatsächlich sind die Supermarktregale voller veganer Alternativen. Allein milchähnliche Produkte schießen wie Pilze aus dem Boden. Vor Kurzem hat beispielsweise die Hamburger Firma Harvest Moon einen Drink auf pflanzlicher Basis entwickelt, der bei einer Blindverkostung als Milch durchgehen würde – jede Wette. Er schäumt sogar wie Milch, was bei vielen Hafer- oder Mandelmilch-Produkten bislang ein kleines Problem darstellte. Oatly hat es mit seiner Barista-Edition zu weltweiter Bekanntheit in veganen Kreisen geschafft, weil das Unternehmen als erstes einen guten milchfreien Schaum ermöglichte.
Worin liegt der Unterschied zwischen einem Schwein und einem Hund?
„Wir haben als Konsumenten eine solche Macht. Wir müssen niemanden anzeigen, damit setzen wir nur einen Haken hinter unser Gewissen. Das ganze Problem existiert nur, weil wir weiter Fleisch essen und Milch trinken wollen“, sagt Muttardi. Interessant ist schon, warum sich in unserer westlichen Gesellschaft niemand die Frage stellt, worin der Unterschied zwischen einem Schwein und einem Hund liegt. Warum essen wir das eine Tier, und dem anderen geben wir ein Zuhause? „Darauf gibt es keine Antwort, außer die, dass wir es so gelernt haben“, sagt Gordon Prox. Die Mehrheit lege eine Norm fest, diese sollten wir aber mit dem heutigen Wissen über die Zustände in der Massentierhaltung verändern.
Die US-Sozialpsychologin Melanie Joy schreibt in ihrem Buch „Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen“ von einem unsichtbaren gesellschaftlichen System von Überzeugungen, das Tiere in die Kategorien „essbar“ und „nicht essbar“ sortiert. Sie nennt diese Ideologie „Karnismus“. Sie sei notwendig, um den Konsum von Fleisch, Eiern und Milch als normal, natürlich und notwendig aufzufassen.
„Unsere Message ist nicht, dass alle ab jetzt nur noch vegane Schnitzel essen sollen“, sagt Prox. Ihm gehe es darum, den Leuten vor Augen zu halten, dass wir fühlende, denkende Lebewesen zu uns nehmen, die nicht sterben wollten. Die Bio-Argumentation lässt er deshalb nicht gelten: „Und wenn ein Tier nun auf der Weide gelacht hat, dann dürfen wir es trotzdem umbringen? Warum? Es ist doch nicht notwendig. Wir würden nicht verhungern.“
Anstieg von multiresistenten Keimen
Gerne wird in dem Fall mit dem Vitamin-B12-Mangel argumentiert, unter dem manche Veganer leiden. Dabei handele es sich nicht um ein veganes Problem, sondern um ein Zivilisationsproblem und ein Marketinginstrument der Fleischindustrie, entgegnet Muttardi: „Ein Mythos von vielen. B12 ist nicht tierischen Ursprungs, es wird den Tieren ins Futter beigemischt. Das wäre in etwa so, als würde ich den guten Sauerstoff über die Zigarette zu mir nehmen wollen.“ Es sei wesentlich gesünder, Nährstoffe in Tablettenform zu substituieren, als sie über Umwege gemischt mit Antibiotika durch ein Stück Fleisch aufzunehmen.
„Es werden wesentlich mehr Medikamente in der Massentierhaltung verwendet als für Menschen“, führt der praktizierende Arzt weiter aus. Während alle derzeit über Corona reden, sei eine stetig größer werdende Gefahr der Anstieg von multiresistenten Keimen. „Ich arbeite im Krankenhaus, ich sehe das direkt.“ Immer wieder zeigen Untersuchungen, dass Fleisch mit antibiotikaresistenten Keimen belastet sein kann. MRSA-Keime (Multiresistente Staphylococcus aureus) können Wundinfektionen verursachen und sind vor allem als „Krankenhauskeime“ für viele Todesfälle verantwortlich.
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Fleischkonsum hat außerdem Auswirkungen auf die Umwelt. Tiere sind besonders ressourcenintensiv und benötigen Futter. „Für ein Kilogramm Rindfleisch braucht es zehn Kilogramm Getreide und 16.000 Liter Wasser, dazukommen die Fäkalien, die das Grundwasser verseuchen, und der CO2-Ausstoß der Tiere“, rechnet Muttardi vor. „Die Tierindustrie ist schlimmer als der Verkehrssektor!“
Das sei totaler Quatsch, hören die beiden regelmäßig, doch sie sind Kritik gewohnt. „Ihr stinkt nach Tofu und Scheiße“, steht beispielsweise als Kommentar unter einem ihrer YouTube-Videos. Die beiden Hamburger zucken mit den Schultern. Egal. Sie wollen nicht gemocht werden, sie befinden sich auf einer Mission. Und auf dieser gibt es immerhin auch positiven Zuspruch. Eine in ihrem Profilbild sehr gut aussehende junge Frau schreibt: „Ihr seid so toll. Könnt ihr mich bitte beide heiraten?“