Jork. Janina Stemmer holt Küken und Hennen aus der Massentierhaltung – und rettet dabei auch schon einmal mit „Mund-zu-Schnabel-Beatmung“.

„Hühner retten macht glücklich“, sagt Janina Stemmer. „Es sind wundervolle und neugierige Individuen.“ Die „Hühnerretterin“ aus dem Jorker Ortsteil Klein Hove hat vor rund drei Jahren die private Tierhilfe „Federglück“ gegründet, bei der sich alles um das sogenannte „Federvieh“ dreht. Mit Hühnern beschäftigt sich die Sozialpädagogin und Lehrerin, die an der Schule Marmstorf arbeitet, aber schon seit rund 20 Jahren.

„Das Wohl von Hühnern ist mir eine Herzensangelegenheit und die Grundlage meiner ehrenamtlichen Arbeit“, sagt Stemmer.

Hühnerexpertin aus Jork hilft auch Tierärzten

Sie hilft Hühnern in Not – egal ob aus privater Haltung, einer Beschlagnahme oder aus der industriellen Tierhaltung. Die private Tierhilfe nimmt ihre Freizeit fast komplett in Anspruch: Regelmäßig übernimmt sie geschwächte und verletzte Hennen aus der Massentierhaltung, organisiert Tierrettungen aus Legebetrieben, vermittelt gerettete Hühner an geeignete Halter, mit denen sie zuvor spricht oder sie besucht.

Sie wird zu ausgesetzten Hühnern gerufen und möchte als erklärte Veganerin Aufklärungsarbeit rund ums Huhn leisten, etwa bei Kursen an der Volkshochschule in Buxtehude oder bei anderen Informationsveranstaltungen. Inzwischen gilt Stemmer als Hühner-Expertin, führt Beratungen telefonisch oder vor Ort bei anderen Hühnerhaltern durch und wird von Tierärzten kontaktiert.

Stemmer rettet unproduktive Hühner vor der Schlachtung

Dazu kommen die täglichen Pflichten wie Füttern, Ausmisten, Ställe und Auslauf pflegen und vieles, vieles mehr, um das es sich zu kümmern gilt. Stemmers Lohn: zutrauliche und offenbar zufriedene Hühner, die mit so einem umsorgten Dasein nicht rechnen konnten. Eigentlich durften sie mit gar keinem Leben rechnen, das diesen Namen verdient hätte.

Denn den meisten der derzeit knapp 50 Hühnern, die heute auf dem saftig grünen Grundstück bei Janina Stemmer direkt an der Este wohnen dürfen, war ein anderes Schicksal bestimmt: Sie kommen aus der industriellen Masttierhaltung oder sind Legehennen, die nicht mehr „produktiv“ genug waren und die deshalb geschlachtet werden sollten.

„Auf Hochleistung gezüchtete Tiere müssen massiv leiden“

In Deutschland ist der Bedarf an Eiern nach wie vor sehr hoch: Im vergangenen Jahr sank der Pro-Kopf-Verbrauch nach Angaben des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft auch aufgrund von Preissteigerungen zwar um drei Eier pro Person leicht auf 230 Eier, doch das ist immer noch ein hohes Niveau.

Viel zu hoch, wie Janina Stemmer findet: „Die auf Hochleistung gezüchteten Tiere müssen dafür massiv leiden“, sagt sie. Ein Legehuhn „produziere“ heute bis zu 320 Eier im Jahr. Und um die Legeleistung möglichst hochzuhalten, müsse ein Huhn Schlimmes über sich ergehen lassen.

Janina Stemmer aus Jork holt Küken und Hennen aus der Massentierhaltung und will aufklären.
Janina Stemmer aus Jork holt Küken und Hennen aus der Massentierhaltung und will aufklären. © HA | Sabine Lepél

„Das andauernde Eierlegen laugt die Hühner aus und macht den Darm kaputt“, so die Lehrerin. Nach etwa eineinhalb Jahren gehe die Legeleistung der Hennen zurück, weshalb sie nicht mehr ertragreich seien und getötet würden. Bei guter Haltung könnten Hühner bis zu zehn Jahre alt werden.

Konsum von Geflügelfleisch geht nur leicht zurück

Die Lebenserwartung von Masthühnern ist dagegen sehr kurz: Sie werden vielfach innerhalb von 42 Tagen zum „idealen“ Schlachtgewicht gebracht – nur zu dem Zweck, möglichst günstig beim Konsumenten auf dem Teller zu landen. Pro Jahr werden nach Zahlen der Umweltschutzorganisation WWF hierzulande zirka 620 Millionen Hühner geschlachtet, nachdem die meisten von ihnen in nicht einmal eineinhalb Monaten „turbogemästet“ wurden.

Die Deutschen lieben das fettarme Geflügelfleisch. Auch, wenn der Fleischkonsum allgemein im vergangenen Jahr klar rückläufig war, sank er beim Geflügelfleisch nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung lediglich um 300 Gramm pro Kopf : Etwa 13 Kilogramm Geflügel aßen die Deutschen im Jahr 2020 im Durchschnitt pro Person. 2022 waren es immer noch 12,7 Kilogramm.

Legehennen stehen  in einem Betrieb für die Produktion von Eiern aus Freilandhaltung in Niedersachsen.
Legehennen stehen in einem Betrieb für die Produktion von Eiern aus Freilandhaltung in Niedersachsen. © picture alliance / dpa | Julian Stratenschulte

Hühnerretterin: „Die Tiere sollten einmal die Sonne sehen“

„Mit dieser industriellen Tierhaltung sind für die Hühner unglaubliche Qualen verbunden“, sagt Janina Stemmer. Leid, dass die 37-Jährige nicht einfach hinnehmen will – auch, wenn sie weiß, dass ihre private Tierhilfe ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Etwa 250 Hühner hat sie seit dem Bestehen von „Federglück“ erfolgreich gerettet und vermittelt. Angesichts von etwa 50 Millionen Legehennen und 67 Millionen Masthühnern in deutschen Ställen ist das eine verschwindend geringe Zahl.

Und dennoch hat jedes einzelne gerettete Hühnerleben für die Lehrerin einen hohen Stellenwert. „Die Tiere sollten einmal die Sonne sehen. Und ich möchte mit meiner Arbeit den Leuten die Augen öffnen für ihr Leid“, sagt die „Hühnerretterin“ aus dem Alten Land. Viele hätten einen kaputten Darm oder einen viel zu dicken Körper und entsprechende Krankheiten.

„Manche Hühner sind sehr lustig, manche auffallend mutig oder frech!“

Bei Janina Stemmer sehen die Tiere nicht nur das Tageslicht, wann immer sie wollen. Sie picken im Gras, scharen oder nehmen ein Sandbad. Sie ziehen sich aus der Gruppe in einen der Ställe zurück, wenn sie mögen. Kommt ihre Retterin zum Arbeiten oder Füttern in den Auslauf, sammeln sie sich gackernd um ihre Füße, und besonders Kecke hüpfen ihr sogar auf die Schulter.

„Manche Hühner sind sehr lustig, manche auffallend mutig oder frech und andere besonders abenteuerlustig“, sagt Stemmer. Einige haben einen Namen, wie „Igel“, „Roadrunner“, „Muri“, „Mariechen“ oder „Mutti“. „Alle haben einen individuellen Charakter, obwohl sie doch vom Menschen hin zu einem möglichst widerstandslosen Eier- oder Fleischproduzenten gezüchtet wurden“, sagt sie.

Legehennen in einem Betrieb in Niedersachsen.
Legehennen in einem Betrieb in Niedersachsen. © picture alliance / dpa | Julian Stratenschulte

Stemmers Hühnerschar ist nur durch ihren Einsatz noch am Leben. Oder auch durch ein kleines Wunder, wie es Küken „Mariechen“ und ihren drei Geschwistern widerfuhr: „Ihr Schicksal sollte eigentlich die Turbomast und ein Tod nach 42 Tagen mit einem genormten Schlachtgewicht von 2,6 Kilo sein“, berichtet die Lehrerin. „Dank einer Freundin und ihrem Kontakt zu einem Mitarbeiter des Legebetriebs, in dem sie ausgebrütet wurden, konnten wenigstens die vier Küken gerettet werden.“

„Mariechen“ per Mund-zu-Schnabel-Beatmung reanimiert

„Mariechen“, das kleinste von ihnen, lag allerdings einen Tag später wie tot im Stall, erzählt Janina Stemmer weiter. „Gerade gerettet und jetzt gestorben – das wollte ich nicht akzeptieren. Deshalb habe ich ohne Nachdenken mit einer Mund-zu-Schnabel-Beatmung und einer Herz-Druck-Massage angefangen.“

Das höre sich vielleicht verrückt an, räumt die „Hühnerretterin“ ein: „Mein Verstand hat auch gesagt, dass das Küken tot ist, aber mein ,Mama-Gefühl’ war größer. Und auf einmal macht es tatsächlich den Schnabel auf und die Atmung setzt wieder ein. Das war irre! Was für eine kleine Kämpferin!“

Ein weiteres kleines Wunder kam hinzu: „Eine gluckende Hybridhenne nahm sich der geretteten Küken an. Auch das ist erstaunlich, weil der Mensch diesen Hennen den Bruttrieb eigentlich abgezüchtet hat“, sagt die Lehrerin.

Stemmer finanziert Tierhilfe überwiegend selbst

Für diese vier Küken und auch für die anderen Hühner, die Janina Stemmer auf dem Grundstück ihrer Eltern hält, sucht die „Federglück“-Initiatorin tierliebe Menschen, die eine Patenschaft übernehmen würden. Denn im Moment finanziert Stemmer die gesamte Tierhilfe überwiegend aus ihrem privaten Einkommen.

Demnächst steht wieder eine große Rettungsaktion an, bei der aus einem Legebetrieb in Schleswig-Holstein in Absprache mit dem Unternehmen „ausrangierte“ Hühner übernommen werden sollen, die sonst getötet würden.

„Bei etwa 100 Hühnern steckt hinter so einer Aktion viel Logistik und ein hoher finanzieller Aufwand“, so Stemmer. Das beginne bei der Organisation des Transports und ende nicht bei den Tierarztkosten. Zwar würden immer Plätze bei kompetenten Hühnerhaltern gesucht, die wissen, was es bedeutet, ein Huhn aus der industriellen Tierhaltung aufzunehmen, denn oft seien diese sehr angeschlagen. Aber auch andere finanzielle Hilfe von außen werde benötigt, so Janina Stemmer: „Nur dann kann ich auch in Zukunft solche Rettungen machen“, sagt sie.

Verein vergibt Patenschaften für gerettete Hühner

Deshalb vergibt sie neuerdings Patenschaften für die geretteten Tiere. „Es sind Teil- und Vollpatenschaften möglich. Die Paten können ,ihrem’ Huhn auch einen Namen geben, wenn es noch keinen hat“, sagt sie. Zudem sei jede Spende außerhalb einer Patenschaft willkommen.

„Und auch eine Futterspende hilft mir sehr viel“, sagt die 37-Jährige, für die übrigens jede Haltungsform der industriellen Tierhaltung Tierleid bedeutet – selbst, wenn „Bio“ draufsteht: „Alle Hühner erleben die Hölle der Aufstallung und des Schlachthofes.“

Kontakt und Spenden

Janina Stemmer ist per Mail an federglueck-tierhilfe@web.de oder unter der Telefonnummer 0163/747 11 51 zu erreichen. Wer eine SMS oder eine Whatsapp-Nachricht schreibt, werde schnellstmöglich zurückgerufen, verspricht die „Hühnerretterin“. Mehr Infos gibt es auf ihrer Homepage (privatetierhilfefederglueck.de). Die Kontoverbindung für Spenden lautet: Kontoinhaberin Janina Stemmer, IBAN DE33 2075 0000 3580 4825 07, BIC NOLADE21HAM